Süddeutsche Zeitung

"Tatort" aus Frankfurt:Einmal Ratte, immer Ratte

In seinem letzten "Tatort" sitzt Joachim Król mit drei Jugendlichen in Geiselhaft, eingesperrt von Armin Rohde. Ein Krimi voller Duelle. Da verkommt selbst der Kampf Schäuble vs. Varoufakis zur Kindergartennummer.

Von Holger Gertz

Es dauert ungefähr eine halbe Stunde, bis die Geschichte da angekommen ist, wo sie richtig anfängt: im Haus am Ende der Straße. Dort begegnen sich drei Jungganoven, außerdem der Kommissar Frank Steier in seinem letzten Fall und der Hausherr Rolf Poller, der sämtliche Gäste in Geiselhaft nimmt.

Das versammelte Personal ist auch im über-tragenen Sinn am Ende der Straße angelangt. Die drei Ganoven haben gerade jemanden erschlagen, Kommissar Steier fühlt sich verantwortlich für den Tod eines kleinen Mädchens, das bei einem Routineeinsatz erschossen worden ist, und Poller hängt eh nur noch so halb im Leben, sein Sohn ist an Drogen verreckt. Jetzt also hat Poller diese Leute im Haus, lauter Gesandte einer Welt, mit der er schon lange und sehr endgültig abgeschlossen hat.

Ein Kammerspiel wie dieses hat den Vorteil, dass das besinnungslose und so Tatort -typische Hin-und-her-Gefahre im Dienstwagen schon mal wegfällt. Und es fragt auch keiner danach, wer am vergangenen Samstag zwischen vier und acht wo gewesen ist - alle Fristen sind längst abgelaufen. Die sehr gute Episode von Regisseur Sebastian Marka und den Autoren Michael Proehl und Erol Yesilkaya ist ein Gedankenstück, ein philosophischer Thriller, in dem mit der Legende aufgeräumt wird, man wachse an Niederlagen. "Man geht an Niederlagen zugrunde, und wo man nicht zugrunde geht, wird man deformiert", hat schon Jan Philipp Reemtsma geschrieben. Wenn die Verlierer Steier und Poller über das Verlieren reden, kommen sie an dieser Einsicht nicht vorbei. Steier (Joachim Król) trägt den Mantelkragen hochgeschlagen und sieht von hinten aus wie ein mürber Vampir. Poller wirkt wuchtig, der Name weist ja darauf hin, aber es ist alles noch warm und wund in ihm. Armin Rohde ist großartig als Poller.

Die beiden Männer belauern sich, beschuldigen sich, fraternisieren mit den anderen, suchen echte Nähe, gehen scheinbar auf Distanz. Poller droht und füttert, quält und tröstet. Er hat sich lange dem Schicksal gefügt: "Manches wird man einfach, das sucht man sich nicht aus." Jetzt spielt er Schicksal. Er zieht der Junkie-Frau die Heroinspritze auf und gibt sie ihr nicht. Er schiebt dem Säufer Steier den Wodka rüber; der schiebt ihn zurück. Er stellt ein einziges Brot für drei hin. Poller testet seine Gäste: Wer ist der Schuldigste der Schuldigen? Poller ist der Moderator in seiner eigenen Horrorshow. Er ist der einzige, der nicht mehr zu retten ist, die anderen wollen sich retten, und sie verraten einander dafür. "Einmal Ratte, immer Ratte", sagt Poller, der natürlich weiß, dass nur Idioten das so sehen.

Poller sagt zu Steier: "Die Frage ist: Was mache ich mit Ihnen? Sie sind ein Problem." Ein Tatort voller Duelle. Moral gegen Anstand, Egoismus gegen Solidarität, Mensch gegen Mensch. Und sogar der Kampf Schäuble vs. Varoufakis ist eine Kindergartennummer, verglichen mit Poller gegen Steier. Sehr sehenswert.

ARD, Sonntag 20.15 Uhr.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2359773
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.02.2015/perl
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.