"Tatort" aus Dresden:Woran glauben Jugendliche?

Tatort: Level X

Internetstar Simson wurde auf offener Straße erschossen - und die Fans waren live dabei. Links: Kommissarin Henni Sieland.

(Foto: dpa)

Der Dresdner "Tatort" stellt eine große Frage. Ein spannendes Thema, würden die Macher es nicht so hölzern angehen.

Von Carolin Gasteiger

Die Erkenntnis:

Auch wenn der Dresdner Tatort "Level X" suggeriert, Jugendliche würden die meiste Zeit vor ihrem Smartphone und im Internet verbringen: Gegen ihre Gefühle, ihre enttäuschte Liebe, ihren Neid, ihre Eifersucht kann auch das smarteste Handy nichts ausrichten.

Darum geht's:

Simson ist ein "Prankster", also jemand, der anderen vor laufender Kamera Streiche spielt. Mit den Clips dieser Streiche ist Simson zu einer Internetberühmtheit geworden und verdient Geld damit. Bei einem seiner "Pranks" muss er vor den Rockern, die er ausgetrickst hat, wegrennen. Sowohl Simsons Streich als auch die anschließende Flucht verfolgen seine Fans live im Internet mit. Zuletzt sehen sie aber auch das: Simson steht vor der Kamera, es fallen Schüsse und der Junge bricht tot zusammen. Die Kommissarinnen Henni Sieland und Karin Gorniak stehen vor einem Dilemma: Auf den Videoaufnahmen ist zwar deutlich zu sehen, dass Simson erschossen wird. Aber nicht, von wem.

Bezeichnender Dialog:

Kommissariatsleiter Schnabel trifft als Letzter am Tatort ein und lässt sich von Kommissarin Gorniak die Lage erklären.

Schnabel: Warum stehen die ganzen Leute hier rum?

Gorniak: Robin Kahle, Internetstar, wurde erschossen.

Schnabel: Internetstar?

Gorniak: Ja, er hat über eine Million Fans. Ungefähr 0,01 Prozent davon stehen gerade hier rum, weil sie es, wie ich, live im Netz gesehen haben. Er ist ein "Prankster".

Schnabel: Was ist er?

Gorniak: Er spielt anderen Leuten Streiche und verdient Geld damit. Zuletzt hat er einen Rocker auf dem Klo gefilmt.

Schnabel: Das heißt, er hat Scheiße zu Geld gemacht. (Schnabel bricht in Lachen aus, Gorniak guckt irritiert)

Bewegendste Szene:

Emilia Kohns Mutter will mit ihrer Tochter reden und klopft heftig an deren Zimmertür. Von der anderen Seite tönt ihr nur Musik entgegen, die immer lauter wird. Das Mädchen sitzt auf seinem Bett und ritzt sich mit einem Taschenmesser langsam den Oberschenkel auf. Im Hintergrund läuft der Song "No Church in the Wild" von Kanye West und Jay-Z, in dem es darum geht, woran man glauben soll und was etwa Gott einem Ungläubigen bedeutet. Der Song ist gut ausgewählt, denn: Ihren Glauben hat Emilia Kohn offenbar an die Trauer um ihren getöteten Freund Simson verloren.

Bester Auftritt:

Manager Magnus Cord ist ein arroganter Kotzbrocken - und das von der ersten Minute an. Schauspieler Daniel Wagner mimt diesen hippen Typen in all seiner Ekelhaftigkeit. Allein die Anglizismen, die er ätzend überheblich herausspuckt: "Er hatte Spirit" oder "Content ist King und er delivert". Verschlagen schart er junge Leute wie ein fanatischer Prediger um sich. Als er beim "Social Mourning", man könnte es auch einfach Gedenkveranstaltung nennen, von Simson schwärmt, fragt Gorniak ihre Kollegin: "Spricht er über Simson oder über Jesus?" Mit seiner pseudo-lässigen Art nervt Cord gewaltig und übertrifft damit selbst Kommissariatsleiter Schnabel mit seinen platten Altherrenwitzen.

Top und Flop zugleich:

"Level X" läuft innerhalb der ARD-Themenwoche "Woran glaubst du?" und fragt auf einer Metaebene, welche Informationen im Netz man glauben kann und welche nicht. Ein spannendes Thema in Zeiten von Fake News, Verschwörungstheorien und all den manipulierten Videos und Bildern, die im Netz kursieren. Aber das streift "Level X" nur. Letztlich dreht sich alles doch wieder nur um die verwirrten Gefühle von Heranwachsenden - und um die angeblich so erfolgreichen "Prankster" (nach denen man in der Realität auf Youtube übrigens lange suchen muss). Aber was endgültig alle inhaltliche Relevanz dieses Tatorts verdirbt, ist die altbackene Haltung, die so tut, als sei das Internet etwas völlig Neues und Gefährliches.

An einer Stelle ruft der Kommissariatsleiter verzweifelt: "Kann nicht mal jemand dieses verdammte Internet abschalten?", betreibt dann aber nach Dienstschluss interessiert Online-Dating. Na klar, weil das Internet einfach nicht mehr wegzudenken ist. Die Frage lautet nicht ob, sondern wie wir damit umgehen. Kommissarin Gorniak droht ihrem Sohn Aaron, nachdem der den Mord an Simson auch live mitverfolgt hat, mit einer Kindersicherung für seinen Laptop. Darauf Aaron: "Kann ich entriegeln." Auch wenn die vielen Anglizismen der jungen Internetzöglinge und die in die Szenen eingeblendeten Chattexte, die beim Tatort gerade eh en vogue sind, Innovation und Fortschrittlichkeit suggerieren. Dem Tatort geht es mit seinen Zuschauern ähnlich wie Kommissarin Gorniak mit ihrem Sohn Aaron: Man kann ihnen ruhig ein wenig mehr zutrauen.

Die besten Zuschauerkommentare:

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