"Tatort" aus Dresden:Wer erschoss den Boss?

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Kommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczewski, im Bild mit ihrem Kollegen Ingo Mommsen, gespielt von Leon Ullrich) verleiht diesem Tatort einen schön herben Ton. (Foto: MDR/Wiedemann & Berg/Gordon Mueh)

Der Dresdner "Tatort" erzählt vom Versicherungswesen als Verunsicherungswesen. "Auge um Auge" punktet dabei weniger durch den Plot als durch die Dialoge von "Stromberg"-Autor Ralf Husmann.

Von Holger Gertz

Dass in diesem Tatort aus Dresden das Versicherungsunternehmen ALVA eine Rolle spielt, erklärt sich aus der Biografie des Teams hinter der Kamera. Regisseurin Franziska Meletzky und Autor Ralf Husmann haben das Publikum beschenkt mit dem Versicherungsexperten Bernd Stromberg, der bei der CAPITOL im Ressort Schadensregulierung tätig war - wo er keine Schäden regulierte, sondern sie verursachte. Husmann und sein Team halten das Versicherungswesen für ein Verunsicherungswesen, und der Versuch eines Menschen, sich zu versichern, ist schon deshalb sinnlos, weil der Mensch dem Leben halt doch ausgeliefert ist. Wie man im Fall der ALVA feststellt. Der Boss wird erschossen. Nun ist die Frage: Wer erschoss den Boss?

Ein leidenschaftlicher Umgang mit Sprache

"Auge um Auge" ist etwas zum Mitraten, da freuen sich die Stammzuschauer. Wobei der Plot nichts Besonderes ist - die Dialoge gehören dafür zu den stärksten in der Reihe. Niemand kann so atmosphärisch wertvoll mit vollem Mund reden wie Alwara Höfels, die die Kommissarin Sieland spielt. Und die Kollegin Karin Gorniak (Karin Hanczewski) ist das schön herbe Gegengewicht zum gerade wieder überall hörbar werdenden Julia-Engelmann-Gesabbel. Sagt ein Mann im Rollstuhl: "Woll'n Sie sich nicht auch setzen?" Sagt zum Mann im Rollstuhl die Kommissarin: "Nein danke, ich steh' gern." Die Menschen sind auf sonderbare Weise zum Versicherungsfall geworden, und wer ein Stromberg-Kenner ist, wird nicht nur Stromberg hier wiederfinden, sondern auch eine entfernte Verwandte der Nebenfigur Erika Burstedt.

So wird ein mäßig spannender Fall gerettet von der leidenschaftlichen Arbeit mit Sprache, mal in ihrer ganzen Plattheit ("Ingo? Bingo!"), mal in philosophischer Tiefe. "Nichts heißt fast nie nichts", sagt Kommissariatschef Schnabel (Martin Brambach), der den Flüchtlingen in seiner Stadt skeptisch gegenübersteht. Während Kommissarin Sieland eine Syrerin bei sich aufnimmt. Das wirkt zwar holzschnittartig - andererseits, im Alltag wird das Thema ähnlich unversöhnlich verhandelt. Im Tatort schlägt immerhin der Dialog eine Brücke. Sagt Gorniak zu ihrer Kollegin: "Was hast du denn gedacht? Dass der Chef in der Freizeit Klamotten für Flüchtlinge sammelt? So wie der rumläuft, ist es eher umgekehrt."

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

© SZ vom 11.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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