Süddeutsche Zeitung

Tatort-Wiederholung aus Münster:Hölle, Hölle

In der Folge "Limbus" spielt sich der Wortwitz der Münsteraner in einem ganz neuen Setting ab.

Von Holger Gertz

Diese Rezension wurde erstmals zur Premiere des Tatorts im November 2020 veröffentlicht.

Der Experimentier-Tatort hat sich als eigenes Untergenre inzwischen etabliert. Impro-Stücke, ungeschnittene Ware, Horror-Einsprengsel - die Stoffentwickler reagieren auf den auch und gerade in den sozialen Netzwerken gern formulierten Vorwurf, die Reihe sei so unfassbar vorhersehbar. Andererseits verdichtet sich auch und gerade in den sozialen Netzwerken immer wieder die Sehnsucht nach der geradlinigen, einfachen Story: mal wieder ein Bankraub mit Geiselnahme. Das Tatort-Publikum will also das Neue, es will aber zugleich auch immer das Alte. Was also ist zu tun?

Der Münsteraner Tatort mit Axel Prahl und Jan Josef Liefers ist seit 2002 ein Traditionslieferant gut abgehangener Krimiware: nicht zu schwer bitte, das Leben ist hart genug. Die Münsteraner Krimis funktionieren über Wortwitz und die behagliche Energie eines eingespielten Ensembles. Man schaut immer mal wieder gern vorbei. Die Folge "Limbus" von Max Zähle (Buch Magnus Vattrodt) bricht nun mit den Konventionen, denn der Rechtsmediziner Karl-Friedrich Boerne (Liefers) verunglückt mit dem Auto und liegt als Komapatient in der Klinik, aber das ist nur die eine Ebene. Die zweite Ebene, das ist die Vorhölle (lat. Limbus), von der aus Boerne im Leben der alten Kollegen herumgeistert. Er ist auf diese Weise in der Lage, denen zuzuhören, die um ihn trauern, er hört die Nachrufe, die sie ihm flechten, und das ist eine Erfahrung, die jeder gern machen würde: mitbekommen, was alle wirklich über einen denken.

Boerne in der Zwischenwelt? Tatsächlich funktioniert die Kombination aus altem Wortwitz und ungewohnt neuem Setting ganz ordentlich - das liegt auch an der Liebe zum Detail. Die Vorhölle ist wunderbar ausstaffiert, da laufen immer Karnevalssendungen, da isst man Leberwurstbrot. Die Flure sind dunkel und ewig lang, und wenn man denkt, dass man raus ist, ist man noch immer nicht raus. Und eine Szene gibt es, die man natürlich nur bei diesem Ensemble so hinkriegen kann, das dem Publikum ewig lang vertraut ist. Boernes alte Kollegin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) taucht noch einmal auf, sie war im Neujahrs-Tatort "Das Team" ermordet worden und also grußlos verschwunden. Jetzt begegnen sich die beiden in der Vorhölle, Frau Krusenstern sagt: "Sind Sie etwa auch tot?" Und dann wird es - sehr rar im Tatort - für einen Augenblick beinahe rührend.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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