Süddeutsche Zeitung

"Tatort" aus Göttingen:Eine Frage der Schlaghose

  • Im neuen Tatort aus Göttingen wird dafür gesorgt, dass die Fernsehzuschauer auch absolut nichts falsch verstehen.
  • Die Kommissarinnen Anaïs Schmitz (Florence Kasumba) und Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) werden zu eiskalten, aber ziemlich uninteressanten Rivalinnen.

Von Claudia Tieschky

Dieser Tatort aus Göttingen wirkt wie eine James-Bond-Story, die mit dem Universal-Werkzeugkoffer aus einem jetzt leider geschlossenen Baumarkt hingestellt wurde. Dabei hätte die Sache Thrill: Etwas schön Schauriges wird herbeigegruselt, Experimente, um Hirne zu manipulieren, Menschen als ferngesteuerte Marionetten. Davon jedenfalls stammelt der nach einem Mali-Einsatz verwirrte Soldat Vegener, der in der ersten Szene Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) im Präsidium ein Messer an den Hals hält und das natürlich nicht überlebt.

Dieser Anfang ist so sagenhaft vernuschelt, dass man froh ist, wenn später noch oft wiederholt wird, was Vegener gesagt hat. Auch sonst zeigt sich "Krieg im Kopf" durchweg als Comfort-Tatort, man kann absolut nichts falsch verstehen, dafür wird freundlich gesorgt. Auch die Kommissarinnen Anaïs Schmitz (Florence Kasumba) und Lindholm profitieren. Wenn sich eine Bösewichtin bei der Spurensicherung einschleicht, bekommt Lindholm nur Sekunden später das entscheidende Phantombild gemailt. Bei so viel Bequemlichkeit kann es passieren, dass man abschweift. Sind Lindholms Schlaghosen jetzt nicht wieder Mode?

Man fühlt sich auf jeden Fall ganz schlimm mitgemeint

"Die in meinem Kopf, die müsst ihr kriegen, die sind schuld", hat der Mann mit dem Messer immer wieder gesagt, zuerst zum Pförtner, der sich dafür später von Schmitz einen durchdringenden Blick einhandelt: "Und das hast du nicht ernst genommen?" Man fühlt sich da gleich ganz schlimm mitgemeint, denn man hätte echt genauso versagt und nix geglaubt. Soll nicht wieder vorkommen!

Überhaupt hat man häufig den Reflex, in Deckung zu gehen, so grundaggressiv ist die Stimmung der beiden Kommissarinnen. Buch (Christian Jeltsch) und Regie (Jobst Christian Oetzmann) machen sie zu eiskalten, dabei aber ziemlich uninteressanten Rivalinnen. Einmal stehen sie oben auf einem Hochhausdach. Die Fahrzeugdaten des toten Vegener ergaben, dass sein Auto vor der Messerattacke irgendwo da unten auf der Straße stand. Unten. Schwer zu sagen, warum Lindholm und Schmitz jetzt oben stehen, vielleicht wegen der Aussicht. Aber wo sie schon mal da sind, können sie auch schlussfolgern: "Benno Vegener hat bestimmt überlegt, hier runterzuspringen."

Bestimmt wird es Zuschauer geben, die trotzdem dabeibleiben, weil sie Fans von Maria Furtwängler und Florence Kasumba sind. Trotzdem ließen sich die eineinhalb Stunden besser mit dem liebevollen Betrachten ihrer Autogrammkarten verbringen.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr

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Quelle:
SZ vom 28.03.2020/tmh
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