Kritik an Talkshows:Lasst uns weiterreden

Immer dieselben Gäste, immer dieselben Themen - die vier wichtigsten politischen Talkshows haben die "Goldene Kartoffel" verliehen bekommen. Überlegungen zu einem pauschalen Negativurteil.

Von Carolin Gasteiger

Politischen Talkshows geht es in Deutschland ein wenig wie der Bahn: Sie zu hassen, ist einfach. Die Verantwortlichen mögen sich noch so bemühen, die Zuschauer noch so wohlgesinnt einschalten - irgendwas läuft immer schief.

Zunächst hapert es an der Themenvielfalt: gefühlt Trump, Wahlen, Flüchtlinge. Talkshows folgen dabei der Aktualität - im schlimmsten Fall wird in vier unterschiedlichen Formaten in ähnlicher Besetzung über dasselbe Thema diskutiert. Um sich doch voneinander abzugrenzen, schicken die Talks reißerische Ankündigungen raus. "Heimat Deutschland - nur für Deutsche oder offen für alle?" oder "Angst vor dem Islam: Alles nur Populismus?" Von diesen Sendungstiteln dürften sich eben erst nach Deutschland Gezogene oder Muslime, Letztere immerhin zwischen 4,4 und 4,7 Millionen, nicht angesprochen fühlen.

Meist sitzen die immer gleichen Politiker in der Runde, meist sind diese männlich und eben keine Frauen, Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten oder Schwarze. Auch betroffene Bürger kommen selten zu Wort.

Wenn die Moderatorin oder der Moderator nicht beherzt eingreift, kann die Diskussion in ein einziges Phrasenjonglieren ausarten. Hängen bleibt der, der am lautesten krakeelt. Handelt es sich dabei um einen Vertreter der AfD oder anderer Radikaler, hagelt es Kritik, man öffne Demokratiefeindlichkeit und Rassismus die Pforten.

Vor allem an Letzterem stört sich der Verein "Neue deutsche Medienmacher*innen (NdM)" und zeichnet Anne Will, Hart aber fair, Maischberger und Maybrit Illner mit der "Goldenen Kartoffel" aus. Mit diesem Negativpreis kürt der Verein zum zweiten Mal seit 2018 die Berichterstattung in Fragen der Einwanderungsgesellschaft. Nun also Talkshows. Der Verein bezieht sich dabei auf die Ankündigungen der Sendungen, deren Inhalt sowie die Auswahl der Gäste. Die Jury habe zwar qualitative Unterschiede in den einzelnen Formaten erkennen können. Trotzdem heißt es in der Begründung, den vier Talkshows gelinge es nicht, tiefergehend zu informieren, vielfältige Perspektiven einzubinden und Ressentiments abzubauen.

Viele, die mit den Talkshows hadern, dürfte das freuen. Zu ihnen zählt auch Oliver Weber. In seinem Buch Talkshows hassen prangert der Student der Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an, die Sendungen seien "Anachronismen, die sich an der Spitze der politischen Debatte wähnen - und dabei mehr kaputt machen, als sie selbst zu sehen in der Lage sind". Talkshows seien Weber zufolge das anschaulichste Beispiel einer fehlerhaften Entwicklung politischer Debattenkultur und würden sich in einer endlosen Dauerschleife um die immer gleichen Protagonisten und Thematiken drehen. "Talkshows vermitteln ein Bild des Politischen, das nicht nur zynisch, verengt und erstarrt ist, sondern auch erschreckend lustlos, überraschungsarm und langweilig." Ähnlich sieht es Cigdem Toprak, die in der Welt fordert, Talkshows gleich komplett abzuschaffen.

Wer so pauschal argumentiert, verkennt, wie wichtig Talkshows für die politische Meinungsbildung sind. Auch wenn ihre besten (Quoten-)Zeiten vorbei sind, versammeln Anne Will, Hart aber fair, Maischberger und Maybrit Illner immer noch wöchentlich jeweils zwei bis vier Millionen Zuschauer vor dem Fernseher, Rezensionen am Tag danach gehören zu den meistgelesenen Artikeln im Internet. Talkshows sind ein wichtiges Forum des zivilgesellschaftlichen Diskurses. Wo sonst treffen noch Vertreter unterschiedlicher Meinungen - und Filterblasen - aufeinander, um ein Thema zu diskutieren?

Die Krux ist, dass Talkshows unterhalten sollen. Anders als politische Reportagen oder Nachrichtensendungen dienen sie nicht nur der Wissensvermittlung, sondern sollen beim Zuschauer auch Interesse an komplexen Themen wecken und ihm das Gefühl geben, mitreden zu können. In der FAZ lässt sich Politikberater Michael Spreng mit den Worten zitieren: "Talks sind ein Ort der kontroversen Debatte." Wer verfolge schon den Bundestag?

Dabei folgen sie, ein offenes Geheimnis, einer vorgegebenen Dramaturgie. Talkshowgäste übernehmen in der Runde eine vorbestimmte Rolle, die Redaktionen casten Protagonist und Antagonist, suchen vielleicht noch einen Experten zur Einordnung, dazu einen Aufwiegler oder einen Betroffenen. Je unterschiedlicher diese Rollen und je besser ausgefüllt, desto lebendiger die Diskussion.

Das kann natürlich schiefgehen. Wenn redegewandte Politiker einem unbeholfenen Bürger über den Mund fahren. Wenn etwa die Schweizer Muslimin Nora Illi bei Anne Will radikalislamische Ansichten vertreten darf oder Björn Höcke bei Günther Jauch plötzlich die Deutschlandfahne schwenkt. In ihrer Begründung für die "Goldene Kartoffel" schreibt die NdM, dass in Talkshows "Rassismus als Meinung durchgehe". Das sollte nicht vorkommen, ist aber in einer Livesendung mit Vertretern möglichst unterschiedlicher Geisteshaltungen nicht von vornherein auszuschließen. Es ist richtig und wichtig, das zu rügen. Aber in den meisten Fällen setzen sich fünf Teilnehmer intensiv mit einem Thema auseinander und versuchen zumindest, dem anderen etwas zu entgegnen.

Problematisch wird es, wenn rassistische oder antisemitische Äußerungen, wie jüngst bei Hart aber fair, als Momentaufnahme ohne Kontext im Netz kursieren. Oft regulieren sich die Teilnehmer untereinander und fangen so Entgleisungen auf. Wer aber, wie Buchautor Weber, durch Talkshows die Demokratie gefährdet sieht und sie verbieten oder ihnen, wie der Deutsche Kulturrat 2018, eine Auszeit verordnen will, geht holzschnittartig zu Werk. Nach dem Motto des in den USA als "Cancel Culture" bekannten Phänomens: Wer oder was einem nicht passt, muss verschwinden. Das ist zu kurz gedacht. Es spielt jenen in die Karten, die sich gern als vom Diskurs ausgeschlossen bezeichnen. Zu einer funktionierenden Zivilgesellschaft gehören auch Talkshows.

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´Maischberger" vom 12.07.2017; MED

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