Tagung:Aus dem Echoraum

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Was ist die Aufgabe von Journalisten? Diese und andere Fragen wurden bei der zweitägigen Medien-Konferenz "Formate des Politischen" kritisch beleuchtet. (Foto: Oliver Weiken/dpa)

Eine Tagung in der Bundespressekonferenz beschäftigt sich mit dem gewandelten Verhältnis von Politik und Medien.

Von Hannah Beitzer

Komm zum Hotel und bring Klamotten für den nächsten Monat mit: Wer als Reporter einen solchen Anruf erhält, der ahnt: Es könnte spannend werden. Und das wurde es auch. Der Journalist Robert Rosenthal erzählt vom Jahr 1971, als der New York Times eine der spektakulärsten Enthüllungen ihrer Geschichte gelang. Sie veröffentlichte die Pentagon-Papiere, die zeigten, wie lange die USA schon Kriegspläne in Vietnam hegten.

Er wechselte 2008, als er in konventionellen Medien nicht mehr die gewünschten Arbeitsbedingungen vorfand, vom San Francisco Chronicle zum durch spendenfinanzierten Center for Investigative Reporting (CIR). Seitdem gestaltet er mit seinem Team Enthüllungsgeschichten als Animationsfilme und lässt sie von Rappern vertonen. Damit habe das CIR "jeden Journalistenpreis, den es in den USA gibt" gewonnen, erzählt er. Und wirkt ziemlich stolz.

Schon vor Jahrzehnten hätte es geheißen: Wenn es dem Kollegen gefällt, reicht mir das

Rosenthal wirft eine wichtige Frage auf bei der zweitägigen Medien-Konferenz "Formate des Politischen", die Bundeszentrale für politische Bildung und Deutschlandfunk im Haus der Bundespressekonferenz vergangene Woche in Berlin ausrichteten. Was ist die Aufgabe von Journalisten? Rosenthals Antwort: die Mächtigen piesacken, Missstände aufdecken. Das mag heute, in Zeiten des digitalen Wandels, auf andere Art geschehen als noch 1971. Doch Rosenthals Geschichte soll zeigen: Es geht.

Allein, sein Bild vom Journalismus als Gegenspieler der Politik verfängt bei Teilen des Publikums nicht mehr. Stattdessen sieht manch ein Leser, Zuhörer, Zuschauer "die Medien" als Teil der Elite, die es zu kontrollieren gilt. Das schildert Nadine Lindner, Sachsen-Korrespondentin des Deutschlandradios, am Beispiel der wöchentlichen Pegida-Demonstrationen, wo sie zusehends aggressiv, auch körperlich bedrängt wird. "Wir sollen für das Publikum immer mehr und immer besser berichten. Aber gleichzeitig misstraut es uns immer mehr", fasst Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff den Eindruck vieler Kollegen zusammen.

Aber stimmt das? Deutschlandradio- Intendant Willi Steul glaubt nicht daran: "Der Feuerwehrmann war schon immer beliebter als der Journalist." Als Problem macht die Runde jedoch mangelndes Interesse an der Lebensrealität des Publikums aus, den Verbleib in den eigenen "Echoräumen". Das bestätigt zum Beispiel Hans-Josef Vogel, Bürgermeister der Stadt Arnsberg: "Was den Bürger am meisten betrifft, ist selten Nachricht Nummer eins, zwei oder drei der Medien", sagt er.

Das ist kein ganz neues Phänomen. Casdorff etwa berichtet von einem Jahrzehnte zurückliegenden Gespräch mit einem Journalisten, der damals gesagt habe: Wenn der Kollege nebenan gut findet, was ich mache, dann reicht mir das. "Kriegen wir da im Moment nicht einfach etwas zurück dafür, was wir dem Publikum jahrelang zugemutet haben?", fragt er. Korrespondentin Lindner widerspricht: "Sie tun so, als ob es da immer eine Rationalität gäbe." Die gebe es bei Pegida nicht. Auch Bürgermeister Vogel findet, dass diesem Teil des kritischen Publikums zu viel Aufmerksamkeit geschenkt werde; es gebe schließlich noch andere, die mehr Beachtung verdienten.

Zum Beispiel die vielen Flüchtlingshelfer - und auch die neuen Mitbürger, die sie unterstützen: "Das ist eine Bewegung der jüngsten bis hin zu den ältesten, ein irrsinniges Generationenprojekt", sagt Vogel. Er findet: "Vor allem der Lokaljournalismus muss da mehr Möglichkeiten schaffen, keine Echoräume."

Wo Medien diese Möglichkeiten nicht schaffen, haben Bürger heute leichter die Möglichkeit als früher, sie selbst zu gestalten - das macht der Medienjournalist Stefan Niggemeier in der Abschlussdiskussion der Tagung deutlich. "Ich habe das Gefühl, dass es sehr viel weniger Orte gibt, wo sich heute die Gesellschaft als Ganzes trifft", sagt er. Das kann die Facebook-Gruppe mit den Nachrichten aus der Flüchtlingsinitiative sein. Aber auch die Texte von Verschwörungstheoretikern wie dem ehemaligen FAZ-Redakteur Udo Ulfkotte. Jedem seinen eigenen Echoraum.

Christoph Keese vom Axel-Springer-Verlag, der auf einem Podium mit dem US-Journalisten Rosenthal diskutierte, liefert eine weitere wichtige Frage: "Warum stellen wir keine wirklich jungen Menschen ein, warum muss bei uns jeder zwei Studienabschlüsse haben?" 20-Jährige hätten ja vielleicht eine Antwort darauf, was das wegbleibende junge Publikum interessiere. Dieselbe Frage könnten sich übrigens auch die Organisatoren der Tagung stellen. Jünger als 30 Jahre war keiner auf dem Podium. Die Kolumnistin Mely Kiyak, Jahrgang 1976, wurde zu ihrem eigenen Erstaunen immer wieder als "Vertreterin der jungen Generation" angesprochen.

Einen Hinweis auf ihren Echoraum gibt die Veranstaltung "Wie sich das Fernsehen die Politik neu erfindet", zu der zwei Macher der erfolgreichen Politik-Comedy Heute Show eingeladen waren. Sendungen wie die Heute Show im ZDF ersetzen für viele jüngere Zuschauer inzwischen die klassischen Nachrichten. Die Moderatoren kommentieren spöttisch die Verfehlungen der Politik, die Reporter bringen Delegierte auf Parteitagen in Verlegenheit.

Dass die Sendung manchmal treffsicher und witzig, gar aufklärerisch, manchmal aber auch ganz schön daneben ist, scheint den Teilnehmern des Forums eine banale Erkenntnis. Sie stellen die Frage: Was macht das mit dem Politikverständnis eines Zuschauers, wenn ihm das politische Tagesgeschehen ausschließlich in Form von pointiertem Spott vermittelt wird, weil er klassische Nachrichten meidet?

Er wollte lieber über Ursachen von Politik erzählen als über Folgen. Und schrieb eine Comedy-Serie

Marie Sagenschneider vom Deutschlandradio Kultur fragt also Heute Show-Reporter Carsten van Ryssen: Wie ist es um die Aufklärung bestellt, wenn ein Satz wie der von Innenminister Thomas de Maizière nach dem abgesagten Fußball-Länderspiel von Hannover ("Ein Teil dieser Antwort würde die Bevölkerung verunsichern") aufgespießt wird, ohne auf die Hintergründe einzugehen? Unterstützung bekommt van Ryssen von dem Medienwissenschaftler Andreas Dörner, der das aufklärerische Potenzial der Heute Show-Interviews lobt. Sie würden in lockerer Atmosphäre zu Tage fördern, was in konventionellen Interviews verschwiegen werde.

Stefan Stuckmann hingegen hat lange als Autor für die Heute Show gearbeitet und die Sendung vor einigen Jahren verlassen. "Die Heute Show arbeitet am Symptom, mich interessiert die Ursache", sagt er. Also nicht: Was hat de Maizière gesagt? Sondern: Warum? Stuckmann entwickelte drei Jahre lang die Comedy-Serie Eichwald, MdB über dem Politikalltag eines Hinterbänklers. Politik da erklären, wo sie geschieht. Auch wenn es Satire ist.

© SZ vom 30.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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