Süddeutsche Zeitung

"Judensterne" auf Corona-Demos:"Tagesspiegel" löscht umstrittene Kolumne

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Die Berliner Regionalzeitung zieht einen Text zum Thema Antisemitismus und Corona-Demos zurück. Die Chefredaktion sieht sich offenbar in Erklärungsnot.

Von Anna Ernst

Nach zahlreicher Kritik hat Berlins führende Regionalzeitung, der Tagesspiegel, eine Kolumne aus dem Internet genommen. Der Text, der am 6. Februar veröffentlicht worden war, trug den Titel "Nazi-Vergleiche". Autor Harald Martenstein schrieb darin über Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen und über Fälle, in denen Impfgegner sich "Judensterne" mit der Aufschrift "ungeimpft" umgehängt hatten.

In seiner Kolumne erklärte Martenstein dazu, dass er hierin zwar "eine Anmaßung, auch eine Verharmlosung" erkenne, die "für die Überlebenden schwer auszuhalten" sei. Die Träger seien aber "sicher nicht antisemitisch", schließlich würden sie sich mit den in der NS-Zeit verfolgten Juden identifizieren. Diese Sichtweise wurde nicht nur in den sozialen Netzwerken stark kritisiert. Auch innerhalb der Tagesspiegel-Redaktion habe es Kritik an der Kolumne gegeben, heißt es nun in einer Stellungnahme der Chefredaktion.

Nach eingehenden Gesprächen - auch mit Wissenschaftlern und Betroffenen - komme man nun "zu dem Schluss, dass wir diese Kolumne so nicht hätten veröffentlichen sollen". Es gehöre zwar zum Selbstverständnis des Tagesspiegels, ein breites Meinungsspektrum abzubilden, dazu gehöre aber die Einhaltung redaktioneller Standards. "Nicht alles, was rechtlich betrachtet gesagt werden darf, ist dem Ton des Tagesspiegels angemessen", heißt es wörtlich. Auch Meinungsstücke wie Glossen, Kolumnen und Kommentare dürften "scharf" sein, "persönlich verletzen sollten sie nicht". Zynismus, gezielte Provokation und "Graubereiche, die zu Missverständnissen einladen oder verleiten", seien zu vermeiden.

Zahlreiche Fälle von "Judensternen" auf Corona-Demonstrationen beschäftigen derweil auch die deutsche Justiz. Die Polizei geht mittlerweile vielerorts gezielt dagegen vor. Vor zwei Wochen erst erklärte beispielweise Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange, dass das Tragen des Sterns durch Impfgegner auf künftigen Versammlungen vorsorglich sogar per Auflage untersagt werde. Es stelle eine "nicht hinnehmbare Symbolik" dar, die den planmäßig millionenfachen Mord an den Juden durch das nationalsozialistische Deutschland verharmlose. Dies gefährde den öffentlichen Frieden und verletzte die Gefühle der heute lebenden Hinterbliebenen. Die Polizei dulde keinen Antisemitismus.

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