Süddeutsche Zeitung

Tagesschau-App vor Gericht:Um was Verlage und ARD eigentlich streiten

Lesezeit: 3 min

Es geht um nicht weniger als die Zukunft der Pressekultur, sagen die einen. Nein, es geht nur um ein kleines technisches Hilfsmittel, sagen die anderen. Zeitungsverlage und ARD streiten hart um die App für die Tagesschau, jetzt sogar vor Gericht. Worum es dabei geht.

Caspar Busse

Dieter Kehl ist ein besonnener Mann und auf Ausgleich bedacht. An diesem Donnerstagmorgen hat der Vorsitzende Richter der 31. Zivilkammer am Landgericht Köln bereits einen kleinen Erfolg errungen: Zwei mittelständische Produzenten von Ventilmembranen haben sich auf einen Vergleich geeinigt. "Eine gütliche Einigung ist uns immer lieber", sagt Kehl mit einem Lächeln.

So leicht wird es der erfahrene Richter in seinem nächsten Fall, dem Streit um die Tagesschau-App, nicht haben. Acht Zeitungsverlage, darunter der Süddeutsche Verlag, die Axel Springer AG, WAZ, FAZ und DuMont Schauberg, haben in Köln Unterlassungsklage gegen die öffentlich-rechtliche ARD eingereicht. Es geht um die App der Tagesschau, die sich Smartphone-Benutzer kostenlos herunterladen können. Nach Ansicht der Zeitungsverleger ist sie ein presseähnliches und nicht sendungsbezogenes Produkt - und damit rechtswidrig.

Mit 20-minütiger Verspätung beginnt die erste Verhandlung. Und Richter Kehl, der sich offensichtlich sehr tief in die schwierige Materie eingearbeitet hat, stellt sich mit seinen Ausführungen fast genau in die Mitte der beiden Kontrahenten. Ja, mit dem Tagesschau-Angebot im Internet und mit der dazugehörenden App werden die Zeitungsverleger leben müssen, sagt er. Sie sei nicht grundsätzlich zu verbieten, sondern durch den, wenn auch schwammigen, Rundfunkstaatsvertrag gedeckt. Und gleichzeitig macht er deutlich, dass die ARD bei ihrem neuen Angebot den Bezug zu einzelnen Fernsehsendungen sehr viel deutlicher machen sollte. Die Inhalte müssten möglicherweise abgespeckt werden. Nach Ansicht der Zeitungsverleger ist das Tagesschau-App-Angebot in der jetzigen Form deutlich zu textdominant.

Die ARD hatte die umstrittene App für Smartphones aller Art vor Weihnachten 2010 gestartet. Mit großem Erfolg - sie wurde bisher bereits 2,4 Millionen Mal heruntergeladen. Etwa drei Viertel entfallen davon auf das iPhone von Apple, der Rest auf Blackberry und Google-Geräte. Die Verlage haben bei ihren - in der Regel kostenpflichtigen - Anwendungen dagegen nur Tausende oder höchstens Zehntausende Abrufe - sie wollen allerdings damit im Gegensatz zur ARD auch Geld verdienen. Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner hatte bereits im Vorfeld gewarnt: "Hier ist eine rote Linie überschritten worden. Die Klage ist der Warnruf einer ganzen Branche."

Die Existenz der Verlage werde durch den zügellosen Ausbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefährdet. Jemand bringe etwas auf den Markt, was das typische Geschäft der Verleger sei, sagte Michael Rath-Glawatz, der Anwalt der Verleger.

Die Tagesschau-App umfasst derzeit vor allem Texte, längere und kürzere Berichte zu aktuellen Ereignissen, dazu Videos und Fotos. Das ZDF hat im Gegensatz kein vergleichbares Angebot, hier gibt es lediglich einen Zugang zur Mediathek, bei der der Schwerpunkt auf bewegten Bilder liegt. Die ARD wehrte sich bisher vehement gegen die Vorwürfe. Die Tagesschau müsse in allen Medien präsent sein, sagte die WDR-Intendantin Monika Piel: "Unser Publikum erwartet zu Recht, dass es die Inhalte, für die es Rundfunkgebühren bezahlt hat, auch auf allen relevanten Endgeräten abrufen kann."

Das Internet sei eben eine eigene Darstellungsform, "und da finden sie halt in erster Linie Texte", sagte NDR-Justiziar Werner Hahn am Donnerstag. Er signalisierte aber auch Gesprächsbereitschaft und fügte an: Die App werde nicht grundsätzlich in Frage gestellt sein, ein Etappensieg sei das aber nicht. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) stellt sich dagegen auf ein langes Verfahren ein. Gespräche werde es nur im Rahmen des Prozesses geben, sagte eine Sprecherin nach der Verhandlung.

Der Antrag der Verleger müsse nun genauer formuliert werden, kritisierte Richter Kehl noch, und wies darauf hin, dass ein Zivilgericht nur Einzelfälle beurteilen kann und keine Grundsatzentscheidung treffen wird. "Vielleicht werden wir die Parteien nicht befrieden können", gab er zu bedenken. Er regte weitere Gespräche zwischen ARD und den Verlagen an, am besten ohne die Politik, um eine außergerichtliche Einigung zu finden. "Halten Sie das für völlig ausgeschlossen, dass man redet?", fragte er, es klang ein wenig verzweifelt. Monika Piel erklärte später, sie halte den Vorschlag des Richters für "sehr vernünftig". Und: Aus ihrer Sicht habe das Gericht "die Tagesschau-App auch grundsätzlich nicht in Frage gestellt". Die Verhandlung wurde vertagt, ein neuer Termin wird nicht mehr in diesem Jahr stattfinden. Es geht eben nicht um Ventilmembranen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1162310
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.10.2011
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.