Süddeutsche Zeitung

Serie: Spezialauftrag:Schönheit als Inhalt

Unterwegs mit Journalisten, die immer über etwas berichten, das nur in ihrem Land ein großes Ding ist. Folge zwei: Der philippinische Beauty-Reporter.

Von David Pfeifer

Wer denkt, Schönheitswettbewerbe seien eine alberne Sache, hat noch nicht erlebt, mit welchem Ernst die Kandidatinnen auf den Philippinen geprüft und befragt, trainiert und beschrieben werden. Bei der Vorstellung der "Miss Elite Philippines", einem international eher unbedeutenden Wettbewerb, sind schon etwa 40 Reporter anwesend, die hart nachfragen: "Wie hast du dich auf deine Gegnerinnen vorbereitet?", will einer wissen. "Was sind deine Ziele, wenn du Miss Elite World wirst?", fragt der nächste.

MJ Felipe, Entertainment-Redakteur für den größten philippinischen Nachrichtensender ABS-CBN, erklärt das mit großem Ernst und einer Freundlichkeit, die aus der Tiefe kommt, "auf den Philippinen lieben wir drei Bs: Boxen, Basketball und Beauty Pageants". Die Schönheitswettbewerbe werden in dem Inselstaat mit mehr als 125 Millionen Einwohnern zur besten Sendezeit übertragen. Es gibt Vor- und Nachberichte und Magazine, die sich ausschließlich mit den Kandidatinnen und Kandidaten befassen.

Eine "Miss"-Wahl im TV muss man sich als Aschenputtel-Erzählung mit Schärpen und Tiara vorstellen, von der Inszenierung her eine Mischung aus Fußball-WM-Übertragung und "Eurovision Song Contest". Es schadet auch nicht, wenn, wie 2021 geschehen, "Miss World" ihrer Nachfolgerin vor laufenden Kameras die neue Krone vom Kopf reißt, weil diese verschwiegen hat, dass sie geschieden ist. Hauptsache, Drama. "Die LGBQT-Community veranstaltet riesige Partys. Es gibt Autokorsos, wenn die Philippinen gewinnen. Und eine Miss Universe wird mit Kolonne durch alle Viertel von Manila gefahren, während die Menschen am Straßenrand jubeln", erklärt Felipe, der sein Alter nicht in der Zeitung lesen will, sich aber freut, wenn man ihn zehn Jahre jünger schätzt, als er ist.

Der Hype begann 1969, als Gloria Diaz als erste Philippinerin "Miss Universe" wurde. Ihr folgte Margie Moran 1973; seitdem hat es keinen Einbruch bei den Quoten gegeben, im Gegenteil. ABS-CBN hat das Programm immer mehr ausgeweitet, "obwohl es eine lange Dürrezeit gab. Wir haben andere, weniger prestigeträchtige Bewerbe gewonnen, aber keine Miss Universe mehr - bis Pia Ruiz 2015 und Catriona Grey 2018, das war gigantisch", erzählt Felipe. Es ist ein großes Geschäft geworden, die Sendeminuten sind wertvoll, die Werbung teuer.

Die "Miss Universe"-Wahl 2021 in Hollywood, Florida, wurde leider nicht gewonnen, aber ein Erfolg war die Veranstaltung trotzdem, zumindest was die Vermarktung angeht. MJ Felipe war beim Finale dabei. Hollywoods Bürgermeister durfte seine Stadt als Austragungsort bewerben ("Wir sind so aufgeregt und stolz"). Der Präsident der Hotelgruppe, in dem der Wettbewerb stattfand, durfte sein Hotel bewerben ("Es gibt kein größeres Ereignis als die Miss Universe"). Die Teilnehmerinnen durften ihre Länder bewerben ("Ich liebe das Wetter hier, weil es mich an mein Zuhause Thailand erinnert", so Amanda Obdam, Miss Universe Thailand 2020). Und das alles natürlich befeuert von viel Sendezeit, Instagram-Posts, Youtube- und Tiktok-Schnipseln, in denen die Missen präsent sein müssen, wenn sie die Wahl gewinnen und berühmt werden wollen.

Schönheitswettbewerbe wirken in Europa aus der Zeit gefallen, international wächst der Markt

MJ Felipe hat geholfen, die Botschaften bis auf die Philippinen zu transportieren. Er war in Hollywood eine Woche lang mit zwei Smartphones unterwegs, um sendetaugliches Material zu filmen. "Ich kann den Druck und Stress kaum beschreiben, ich war alleine." Er schnitt die Berichte an einem Laptop selbst oder sendete live. Er schlief kaum in dieser Woche. Jeden Abend musste er für die größte Nachrichtensendung des Landes einen Kommentar abgeben, dazu Berichte für den englischsprachigen Sender, die Magazine, das Radio. Und das alles mit zwölf Stunden Zeitverschiebung. Eigentlich hat Felipe Physik studiert, dann aber 2004 einen Anzeige des Senders ABS-CBN gesehen und ist zum Vorstellungsgespräch gegangen, der wiederum mehr ein Wettbewerb war. Er musste sich gegen zehn Kandidaten durchsetzen, Unterhaltungsgeschichten einsprechen, schneiden, produzieren. Seit 18 Jahren ist MJ Felipe nun Entertainment- und Lifestyle-Redakteur, der Job ist hart, aber die Misswahlen sind immer noch "ein großer Spaß", wie er sagt.

Mit Missen zu arbeiten, ist gewinnbringender, als mit bereits bekannten Stars. Felipe verschafft ihnen Sendezeit, sie erinnern sich später an ihn, wenn sie "Miss Universe" geworden sind, wenn sie zum Film oder ins Fernsehen gehen. Dann bekommt er wiederum exklusive Interviewzeit, "und das Schönste für einen Reporter sind doch exklusive Geschichten". Er besucht schon die Trainings-Camps, in denen die Frauen sich vorbereiten. "Denn man wird ja nicht über Nacht Schönheitskönigin, man muss hart dafür arbeiten. Physisch, mental, an den sozialen Fähigkeiten feilen und natürlich auch am Aussehen." Es gibt Trends und Vorbilder, man muss sich auskennen. Jahrelang eiferten die Philippinerinnen den Latinas nach, weil Kolumbianerinnen so erfolgreich bei den Wettbewerben waren. Also war es üblich, sich dem Look anzupassen, bis zu Haaren und Make-up, sogar die Abendkleider wurden in Bogotá bestellt.

"Wir bewundern unsere Königinnen, wir sehen zu ihnen auf. Und wir sind stolz auf sie."

Nachdem Philippinerinnen bei jedem Wettbewerb der vergangenen zehn Jahre in die Top Ten kamen oder den Titel holten, machten immer mehr Camps in Manila auf, "da trainieren nun auch Missen aus anderen Ländern für internationale Wettbewerbe, es fliegen Frauen aus Laos, Indonesien und Vietnam ein". MJ Felipe lernt sie dort schon kennen, baut Kontakte auf, die später nützlich sind. Auch die Glamourschneider in Manila beliefern mittlerweile Kandidatinnen in Kenia und Simbabwe. Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Lebensunsicherheit in den Ländern und der Begeisterung für Misswahlen. Schönheit ist auf der Welt gerechter verteilt als Wohlstand. Und es gilt, was man auch vom Boxen kennt, dem anderen Nationalsport auf den Philippinen: Die Armen können die Reichen schlagen.

Schönheitswettbewerbe wirken in Europa aus der Zeit gefallen, aber international sind sie ein Wachstumsmarkt, besonders auf den Philippinen. Nicht nur für die Kandidatinnen, sondern auch für Designer, Stylistinnen, Trainer, Haar- und Make-up-Spezialistinnen und eben auch für Wettbewerbsanalysten. Es ist eine Industrie entstanden. Generell habe sich der Wettbewerb gewandelt, von äußeren hin zu mehr inneren Kriterien. Was die Missen in Interviews zu sagen haben, spielt eine größere Rolle als noch vor zehn Jahren, ebenso, wie gut sie Englisch sprechen. "Schön aussehen müssen sie natürlich trotzdem noch." Auf Anfrage bringt MJ Felipe den Teilnehmerinnen bei, was für Fragen auf sie zukommen könnten - auf die sie möglichst geistreich, lustig oder tiefgründig antworten sollten. Der Einsatz lohnt sich, für die meisten Frauen bedeutet der Gewinn einer Misswahl den Anfang einer Karriere im Entertainment-Bereich.

Dass diese Wettbewerbe in Europa als oberflächlich wahrgenommen werden oder in der Kritik stehen, weil Frauen zu Objekten gemacht werden, das weiß MJ Felipe. "Aber wir bewundern unsere Königinnen, wir sehen zu ihnen auf. Und wir sind stolz auf sie." Auf den Philippinen werden sie als Botschafterinnen des Landes gesehen, daher auch die harten Prüfungen im Vorfeld. "Es geht auch um den Beweis, dass philippinische Schönheit etwas ist, was die ganze Welt beeindrucken kann."

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