Süddeutsche Zeitung

CNN-Reporterin:"Der Nikab fühlt sich an wie mein Tarnumhang"

CNN-Chefkorrespondentin Clarissa Ward hat keine Angst vor Nähe, in Syrien ebenso wenig wie bei den Taliban. Über eine Kriegsreporterin, die nie zu wenig fühlen darf - und nie zu viel.

Porträt von Elisa Britzelmeier

Bei den Taliban hatte sie eine Erkenntnis. Eine recht simple Wahrheit eigentlich, sagt Clarissa Ward, aber es fühlte sich an wie eine Offenbarung. Ward sitzt auf einer winzigen Bühne in einem der schickeren Münchner Restaurants und erzählt dem Publikum - viele Frauen in High Heels und wenige Männer in Sakkos - eine Geschichte, die auf den ersten Blick mit Hautpflege zu tun hat. Es war Februar, sie war als Reporterin 36 Stunden auf Taliban-Gebiet unterwegs. Was bedeutete, dass sie dort auch übernachtete, im abgetrennten Bereich mit den anderen Frauen. Am Abend, vor dem Schlafengehen, schmierte sie sich Feuchtigkeitscreme ins Gesicht. Die Frauen guckten. Und tuschelten. Ward, die sieben Sprachen mehr oder weniger perfekt spricht, bereute in diesem Moment, dass Paschtu nicht dazugehört, sagt sie. Aber sie bot den Taliban-Frauen ihre Creme an. Die tupften, probierten, die Runde lachte. Sie verstanden sich. Wards Erkenntnis, schlicht wie wahr: Am Ende sind alle Menschen einfach nur Menschen.

Clarissa Ward, 39 Jahre alt, ist seit Sommer 2018 internationale Chefkorrespondentin des amerikanischen Fernsehsenders CNN, mit Sitz in London. Sie ist zu einer Veranstaltung von "Women for Women International" nach München gekommen, einer Organisation, die Frauen in Kriegsgebieten hilft. Dort kennt Ward sich aus. Sie war oft in Syrien, hat aus dem Irak berichtet, aus Jemen, Bangladesch und Peking, von den Anschlägen in Paris und vom Tsunami in Japan, eigentlich von überall, wo in den vergangenen 15 Jahren gerade ein größerer Konflikt war. Es wäre leicht, sich von ihren Auszeichnungen einschüchtern zu lassen. Zwei Peabody Awards, fünf Emmys, den "Excellence in International Reporting"-Preis des International Center for Journalists und so weiter.

Man würde dann aber übersehen, dass es Clarissa Ward in ihrer Arbeit letztlich nicht um Terror, Leid, Krieg und geopolitische Machtkämpfe geht, sondern um etwas ganz einfaches. Ums Menschsein - um das, was uns alle als Menschen ausmacht.

Frühstück im Hotel am Morgen nach dem Charity-Dinner, es ist spät geworden am Abend, Ward holt sich trotzdem um 7.30 Uhr einen Kaffee. Ein kleines Croissant dazu, Marmelade, sie tippt noch schnell etwas auf ihrem Handy, dann ist sie voll da. Wie passt es zusammen, dass sie am einen Tag mit schusssicherer Weste in den Nahen Osten reist und am nächsten mit Hochsteckfrisur bei Häppchen und korrespondierenden Weinen auftritt? "Natürlich ist das schräg", sagt sie. "Man fühlt sich manchmal wie ein Alien in der eigenen Haut, wenn man zurückkommt in sein wirkliches Leben." Aber es hilft ja nichts. Sie sieht das so: Wenn man etwas bewirken will, muss man sich eben auch mal schön anziehen, zu Fundraisings gehen und die entscheidenden Leute auf die entscheidenden Dinge aufmerksam machen.

Im Fernsehen sehen sie Ward, live zugeschaltet aus Syrien, in Bluse und Blazer, oder aus Iran, mit Kopftuch. Sie sehen Ward, wie sie komplett verschleiert einen Arzt in einem Taliban-Krankenhaus befragt, wie sie durch die Überreste syrischer Städte führt, wie sie bewaffneten Dschihadisten gegenübersitzt.

Wer sind die Taliban heute? Hat sich ihr Verständnis des Islam geändert? Wie lebt es sich, wenn sie regieren? Dass Ward zu diesen Fragen recherchieren konnte, machte ein afghanischer Filmemacher möglich. Er nahm sie und ihre Produzentin mit auf das Territorium der Terrorgruppe, sie blieben relativ unbehelligt. Zwei Frauen in Begleitung eines afghanischen Mannes, da wäre es unhöflich zu fragen, woher sie kommen und wer sie sind. "Ein Mann hätte die Geschichte nicht machen können", sagt Clarissa Ward. Allein schon, weil sie, komplett verschleiert, nicht sofort als westliche Journalistin erkannt wird. "Der Nikab fühlt sich an wie mein Tarnumhang." Sie trägt den Schleier nicht nur aus Sicherheitsgründen, sondern auch, um kulturelle Traditionen zu respektieren. Ist ja nur angebracht, wenn man Gast ist, findet sie.

Es gibt eine Stelle in ihrem Beitrag über die Taliban, da sagt ein Kommandant, sie hätten besser einen Mann schicken sollen. Clarissa Ward glaubt trotzdem, dass Frauen als Kriegsreporterinnen längst eine Selbstverständlichkeit sind. Sie haben Zugang zu 50 Prozent der Bevölkerung, der männlichen Kollegen in vielen Ländern verschlossen ist. Zugleich werden Journalistinnen in Männerwelten vorgelassen, sagt Ward. Viele Frauen ließen mehr Empathie in ihren Berichten zu, sie sähen Konflikte oft anders. Ward glaubt, dass beides geht: Fakten parat haben, nachprüfen, kontern, wenn jemand Unsinn erzählt - und mitfühlen. Sie hat schon öfter Interviews geführt, bei denen sie fast geweint hätte.

Für diesen Job brauchst du ein normales Leben, riet ihr die Vorgängerin, sonst zerbrichst du

Auf der Bühne in München-Schwabing hat sie am Vorabend gesagt, das mit den Frauen und der Creme sei ein schöner Moment gewesen. Der natürlich am Ende nicht in ihrem Taliban-Bericht gelandet sei. Warum eigentlich nicht? Zwei Gründe, sagt sie beim Frühstück. "Man kann einen Moment durch eine Kamera leicht ruinieren." Wahrscheinlich hätten sich die Frauen nicht gezeigt. Und: So viel Platz auch ist für Empathie - am Ende sind die Taliban immer noch die Taliban. "Die Leute, die al-Qaida beherbergt und ihnen erlaubt haben, 9/11 zu planen, die Leute, die mit ihrer fundamentalistischen Islamauffassung der Religion auf der ganzen Welt schaden."

Der 11. September 2001 war der Tag, mit dem für sie alles losging. Sie war in ihrem Abschlussjahr an der Elite-Uni Yale, recht abgeschnitten von der Welt, wie sie sagt. An diesem Morgen rief ein Freund an, einer der wenigen, die einen Fernseher auf dem Campus hatten, und sagte: Du musst herkommen. Sie versammelten sich im Wohnzimmer, sie sahen gemeinsam zu, wie die Türme einstürzten. Clarissa Ward ist in Manhattan aufgewachsen, als privilegiertes Einzelkind, wie sie sagt, mit Workaholic-Eltern, elf Kindermädchen in acht Jahren, mit vielen Büchern und viel Zeit zum Fernsehen. Sie kann sich erinnern, wie sie als Kind auf dem World Trade Center stand. Für sie waren diese zwei Türme auch ein Teil ihrer Identität. "Dann kamen all die Klischeefragen: Warum tun die das? Warum hassen sie uns so sehr?" Sie hat dann nichts anderes mehr gemacht, als Nachrichten zu gucken. "Ich wollte es einfach nur verstehen." Ward machte ein Praktikum bei CNN in Moskau, arbeitete dann für ABC und CBS, bis sie 2015 zu CNN zurückkehrte.

Als Reporterin muss sie nun mit dem Dilemma der Kriegsberichterstattung leben: dass sie immer dahin geht, wo gerade Krise ist, immer Schrecken zeigt und wenig Alltag. Und damit das Bild prägt, das die westliche Öffentlichkeit von vielen Ländern hat. Es gab Zeiten, da hat sie sich sehr mitnehmen lassen vom Krieg und gedanklich mehr in Syrien gelebt als in London. "Es sind einfach dauernd alle gestorben." Sie suchte sich dann einen Therapeuten. Einen "sehr weisen Rat", wie sie sagt, gab ihr die Vorgängerin Christiane Amanpour: Für diesen Job brauchst du ein normales Leben. Sonst zerbrichst du. Also nimmt sie sich bewusst Zeit für ein Essen mit Freunden, wenn sie daheim ist, und postet auf Instagram Fotos vom Ehemann und dem eineinhalbjährigen Sohn am Strand.

"Und wenn es dich nicht mehr auffrisst, hast du ein anderes Problem"

Ihre Erfahrungen, besonders die weniger schönen, hat sie nun in einem Buch festgehalten. Sie hat es ihrem Sohn gewidmet. Damit der irgendwann versteht, wer seine Mutter ist. Sie hat es aber auch geschrieben, um klarzukommen mit dem Leid, "das einen sonst auffrisst", wie sie sagt. "Und wenn es dich nicht mehr auffrisst, hast du ein anderes Problem. Weil du offenbar keinen Zugang mehr zu deinen Gefühlen hast und total abgehärtet bist."

Ein paar Wochen nach dem gemeinsamen Frühstück beginnt die Türkei mit neuen Luftangriffen auf Nordsyrien. Wenige Stunden später ist Clarissa Ward vor Ort. Autos stauen sich, Menschen auf der Flucht drängen sich auf Ladeflächen. Ward beschreibt ihre Eindrücke, schwarzer Rauch, ein brennendes Gebäude, sie übersetzt, wie eine Frau von ihrer Angst erzählt. Es klingt nüchtern und doch empört. Ganz so, als wollte sie alles fühlen und doch nicht zu viel.

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Quelle:
SZ vom 15.10.2019/tmh
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