Medien in Deutschland:Es geht um mehr als eine App

Medien in Deutschland: Wie weit reicht der öffentlich-rechtliche Auftrag in der Onlinewelt? Wo beginnt die wettbewerbswidrige Konkurrenz zu den Zeitungsverlagen? Um diese Fragen geht es beim Streit um "Newszone".

Wie weit reicht der öffentlich-rechtliche Auftrag in der Onlinewelt? Wo beginnt die wettbewerbswidrige Konkurrenz zu den Zeitungsverlagen? Um diese Fragen geht es beim Streit um "Newszone".

(Foto: imago/Screenshot: Newszone/Collage: Niklas Keller)

16 Zeitungsverlage gehen juristisch gegen die SWR-App "Newszone" vor. Dahinter steht ein schon lange schwelender Streit - und die kniffelige Frage: Was ist eigentlich "presseähnlich"?

Von Wolfgang Janisch

Die "Newszone" ist eine ganz nett gemachte News-App für junge Leute, und zwar eine, "die versteht, was Dir wichtig ist", so verspricht es der Südwestrundfunk (SWR) in der Eigenwerbung. Einfacher Zugang, starke Individualisierbarkeit, also irgendwie zeitgemäß, findet der Sender. Trotzdem wollen 16 Zeitungsverlage das Angebot gerichtlich aus der Welt schaffen lassen, und zwar deshalb, weil ein solches Nachrichtenformat ins Kerngeschäft der privaten Verlage eindringe. Ob sie damit Erfolg haben, ist offen. Das Landgericht Stuttgart, das eigentlich an diesem Montag (17.10.) über einen Eilantrag der Verlage entscheiden wollte, soll sich in der Verhandlung eher skeptisch über die Verlegerklage geäußert haben. Inzwischen wurde der Entscheidungstermin abgesagt, offensichtlich gebe es noch Beratungsbedarf mit den Parteien, erklärte ein Sprecher des Landgerichts. Es werde einen neuen Termin geben.

Doch wie auch immer der Rechtsstreit ausgeht, der vermutlich weitere Instanzen vor sich hat: Darin offenbart sich ein fundamentaler Konflikt zwischen den öffentlich-rechtlichen Sendern auf der einen und den privaten Zeitungsverlagen auf der anderen Seite. Seit mehr als zehn Jahren streiten sie darüber, wie viel Raum die Öffentlich-Rechtlichen eigentlich im Internet einnehmen dürfen - und wo die beitragsfinanzierten Sender zur wettbewerbswidrigen Konkurrenz für die privaten Verlage werden. Es begann mit dem Streit um die Tagesschau-App, den die Verleger am Ende vor dem Bundesgerichtshof gewannen. Es ging weiter mit einem Prozess um rbb24, ein Online-Nachrichtenangebot des Senders RBB; auch hier setzten sich die Verlage beim Landgericht Potsdam durch. Und nun eben die "Newszone".

Im Grunde ist es eine medienhistorische Entwicklung, die beide Seiten zu Antagonisten gemacht hat. Früher sendeten die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihr lineares Programm für Fernsehen und Hörfunk, während die Verlage Zeitungen aus Papier druckten. Jeder hatte sein gesondertes Terrain und sein wirtschaftliches Auskommen, und in der Summe wurde daraus publizistische Vielfalt. Mit dem Internet ist nun eine mixed zone entstanden, in der die beiden Welten aufeinanderprallen. "Das ist extrem konfliktreich, weil in der Onlinewelt die Grenzen verschwimmen", sagt Wolfgang Schulz, Direktor des Hamburger Hans-Bredow-Instituts. Es bilde sich ein eigenständiger Online-Journalismus heraus, der sich nicht darin unterscheide, ob er von Zeitungen oder Rundfunkanstalten betrieben werde. Verschärft wird der Clash der Kulturen dadurch, dass beide Seiten im Internet ihre Zukunft sehen: die Verlage wegen der sinkenden Printauflagen, die Rundfunkanstalten, weil die jungen Leute kaum noch lineares Programm schauen. Es steckt also ein Schuss Weitsicht in der "Newszone". Oder Verzweiflung.

Jedenfalls hätten die Bundesländer, als sie den vor zwei Jahren in Kraft getretenen Medienstaatsvertrag konzipierten, dringend eine mediale Abstandsformel finden müssen: Wie weit reicht der öffentlich-rechtliche Auftrag in der Onlinewelt? Wo beginnt die wettbewerbswidrige Konkurrenz zu den Zeitungsverlagen? Herausgekommen ist indes ein Kompromiss, über den sich eigentlich nur die Anwälte freuen können, die dann die Prozessmandate bekommen. Sendungsbezogene Hintergrundinformationen sind zwar erlaubt. Aber für Online-only-Angebote gilt dasselbe Kriterium, das schon zuvor in Gebrauch war: "Die Telemedienangebote dürfen nicht presseähnlich sein", heißt es im Staatsvertrag. Das ist - Stichwort Online-Journalismus - ein Abgrenzungsversuch, der mehr Probleme schafft, als er löst. Denn was "presseähnlich" ist, weiß heute wahrscheinlich nicht einmal mehr die Presse selbst, weil die Verlage sich vom Denken in Papierkategorien gerade verabschieden. Zeitungsnachrichten halten auf der Website im Geschwindigkeitswettbewerb längst Schritt mit dem einst uneinholbaren Rundfunk, modernes Storytelling verbaut Fotostrecken und bewegte Bilder, Kommentare werden auch mal in Kameras gesprochen, und ein bisschen Radio macht die Presse im Zeitalter des Podcasts ebenfalls. Wer Onlinejournalismus betreibt, handelt beinahe unausweichlich "presseähnlich". Wie soll da ein Gericht mit dem Gutenberg'schen Begriff Grenzen ziehen?

Nachvollziehbar ist freilich der Zweck hinter dem unpraktikablen Kriterium. Es soll die mit staatlich garantierten Geldern finanzierten Sender bändigen, damit sie die private Konkurrenz nicht verdrängen. Dahinter steckt das europarechtliche Beihilfeverbot, das den Einsatz von Staatsgeld zulasten von Wettbewerbern stark einschränkt. Öffentlich-rechtliche Angebote müssen daher einen Drei-Stufen-Test durchlaufen, der unter anderem nach dem publizistischen Mehrwert fragt. In einer Onlinewelt, in der die Printbranche ihre Chancen sucht, ist das aus öffentlich-rechtlicher Perspektive ein äußerst heikles Thema. In den 80er-Jahren galten die Anstalten neben dem kommerzgetriebenen Privatfunk noch als Demokratiegarant. Heute aber geht es um die Rolle der Öffentlich-Rechtlichen neben einer traditionellen Presse, die noch nie unter Trivialitätsverdacht stand. Wo ist da der publizistische Mehrwert? Wettbewerbsorientierte Stimmen wie Jürgen Kühling, Vorsitzender der Monopolkommission, werden da sehr grundsätzlich: "Zugespitzt stellt sich die Frage, ob es hier überhaupt öffentlich-rechtlich strukturierter Angebote angesichts der Vielfalt privater Angebote bedarf", schreibt der Rechtsprofessor in einem Medienrechtskommentar. "Ein etwaiges Pluralismusdefizit ist hier kaum erkennbar."

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gerät also in ein beträchtliches Dilemma. Die Zukunft des Journalismus liegt im Internet, aber die Sender sollen dort mit angezogener Handbremse fahren. Klar, sie werden einigermaßen zurechtkommen mit dem weiten Spielraum, der für ihre "sendungsbezogenen" Onlineangebote gilt. Aber eine für beide Seiten befriedigende Antwort auf eine zeitgemäße Rollenverteilung im Netz ist das nicht.

Schulz: "Die Antwort kann nicht sein: Wir machen einfach alles."

Den Schlüssel zur Lösung - falls es einen gibt - dürften jedenfalls nicht die Landgerichte in Händen halten, die in kleinteiligen Prozessen den Wortanteil in Internetformaten nachzählen. "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht einen neuen Generationenvertrag mit der Gesellschaft", sagt Wolfgang Schulz. Dabei müsse geklärt werden, wo ein gesellschaftliches Bedürfnis für die besondere Qualität herrsche, die potente Rundfunkanstalten bieten können. "Die Antwort kann nicht sein: Wir machen einfach alles."

Einen Anstoß dazu könnte der beste Freund des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geben, das Bundesverfassungsgericht. Allerdings war Karlsruhe bisher vor allem gut darin, ihn mit Finanzierungs- und Entwicklungsgarantien auszustatten. Dahinter stand zwar immer der richtige Gedanke, dass die Sender mitspielen müssen, wenn die Medienwelt sich weiterdreht. Es war eine Lizenz zur Expansion. Versäumt hat das Gericht jedoch, den öffentlich-rechtlichen Auftrag so zu präzisieren, dass die Rollenverteilung mit der privaten Presse klar und praktikabel wird. Die Grenzen des Wachstums blieben verschwommen.

Vor Kurzem hätte das Gericht die Chance gehabt, dies nachzuholen. Der Norddeutsche Rundfunk hatte Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil zur Tagesschau-App eingelegt. Doch mit einem begründungslosen Beschluss vom Februar dieses Jahres hat das Gericht die Beschwerde aus formalen Gründen abgewiesen; sie habe die "Darlegungsanforderungen" nicht erfüllt.

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