SWR:Tatort aus dem Giftschrank

Tatort "Der gelbe Unterrock", 1980

Die Tatort-Episode "Der gelbe Unterrock" um die Vergewaltigung und den anschließenden Mord an einem jungen Mädchen empörte bei der Erstausstrahlung 1980 die Zuschauer.

(Foto: SWR/Wolfgang Pankoke)

Zu viel Gewalt und zu schlecht - 35 Jahre war der Tatort "Der gelbe Unterrock" gesperrt. Jetzt zeigt ihn der SWR. Hat die Episode immer noch das Zeug zum Skandal?

TV-Kritik von Johanna Bruckner

"Wer schickt dich?", fragt das blonde Mädchen Marianne. Harry, der sich gegen ihren Willen Zugang zur Wohnung verschafft hat, antwortet: "Nur du, du hast mich doch kommen lassen!" Und weil der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt schon weiß, dass der töpelhafte Harry gerne an teurer Frauenwäsche riecht und in seiner Tasche Klebeband und Kabel hat, ist das schon ein bisschen gruselig. Zumal sich in der Wohnung der Familie Klebfisch ein weiterer Unhold herumtreibt und das ganze Geschehen beobachtet. Wenn er durch eine Tür linst, legt er - Achtung Zuschauer, böse Absichten! - eine schwarze Lederhandschuhhand an den Rahmen.

Mehr als 35 Jahre lang lag der Tatort "Der gelbe Unterrock" nach der Erstausstrahlung 1980 im sogenannten "Giftschrank". An diesem Samstag strahlt das SWR Fernsehen die Episode um den Mord am Mädchen Marianne nun zum zweiten Mal aus. Im Giftschrank, diesem imaginären Möbel, werden Tatorte aufbewahrt, die die Öffentlich-Rechtlichen mit einem Sperrvermerk versehen haben. Weniger als zehn Krimis sind derzeit zwangseingemottet. Folge 109 wurde nach Zuschauerprotesten weggesperrt: Die Darstellung von Gewalt gegenüber Frauen sei zu explizit, hieß es, außerdem habe das Drehbuch Mängel. Die damalige Fernsehfilmchefin soll sich höchstpersönlich dafür eingesetzt haben, dass "Der gelbe Unterrock" mindestens bis zu ihrer Pensionierung nicht mehr gezeigt wird.

Aber ist der Krimi wirklich "eine der schlechtesten Tatort-Folgen", wie auf einer Fanseite zu lesen ist?

Panzerfaust versus Stahlkette

Im Wikipedia-Eintrag zur Episode ist ein einziger konkreter inhaltlicher Fehler benannt: Die Mainzer Fastnacht werde konsequent und fälschlicherweise als "Karneval" bezeichnet. Das mag manchen Mainzer auch heute noch empören. Der erste Hinweis, dass "Der gelbe Unterrock" indes nicht mehr zum Skandal taugt, findet sich in einer Fernsehzeitschrift: Dort ist neben dem Programmhinweis ein kleines graues Gesicht mit abfallenden Mundwinkeln abgebildet. 2016 heißt das "gähn".

Tatsächlich ist das mit der Spannung so eine Sache. Dieser Tatort wirkt gerade zu Beginn wie in Slow Motion erzählt. Und es wirkt fast komisch, wenn Harry Marianne mit einer Stahlkette bedroht - wo Til Schweiger als Kommissar Nick Tschiller jüngst eine Panzerfaust schulterte. Gewalt ist heute eher ein Anreiz zum Einschalten, das belegen die Ballerspektakel aus Hamburg.

Warum "Der gelbe Unterrock" sehenswert ist

Die Vergewaltigung wird im 35 Jahre alten Tatort nur angedeutet: Marianne liegt nackt, aber mit züchtig bis zur Brust gezogener Decke im Bett, Harry kniet daneben und bepinselt ihre Fingernägel. "Du bist ja irre!", bricht es aus dem Opfer heraus. "Sag sowas nicht, das macht mich traurig", antwortet der Täter, und erklärt dann, wie schlecht es ihm in der Schule und bei Muttern ergangen sei - Krimi-Küchenpsychologie, wie man sie kennt.

Auf seine Art sehenswert ist "Der gelbe Unterrock" dennoch.

Kommissarin Marianne Buchmüller, gespielt von Nicole Heesters, war die erste Tatort-Ermittlerin überhaupt. Drei Fälle lang ermittelte sie in Mainz - dann gab Heesters die Rolle auf, um nicht allein auf die Polizistin festgelegt zu werden. Buchmüller schüttelt die brünette Föhnfrisur in Farah-Fawcett-Manier und lässt sich vom Kollegen Lamm die Tür aufhalten. Trotzdem, sie ist der Boss und ein moderner dazu.

Tatort "Der gelbe Unterrock", 1980

Kommissarin Buchmüller befragt den Arbeitgeber der ermordeten Marianne.

(Foto: SWR/Wolfgang Pankoke)

Beordert Mitarbeiter zurück ins Büro, die lieber Fastnacht feiern, als einen Mordfall zu bearbeiten. Erklärt Mutter Klebfisch, was ein Fetisch ist. Und fragt die Mutter von Harry, der schon als Kind beim Doktorspielen Gewaltfantasien auslebte, ob sie denn nie daran gedacht habe, ihren Sohn mal zum Psychologen zu schicken. Sogar ihren eigenen Freund spannt sie als Spitzel ein und schickt ihn zum Drogenkaufen. Über dem Bett der Kommissarin hängt ein Plakat des Filmklassikers "Tote schlafen fest" (1946). Heute würde man wohl sagen: Buchmüller ist eine Karrierefrau.

Die Spusi ermittelt mit Lupe

"Der gelbe Unterrock" ist ein Zeitdokument, Zeugen sagen darin Sätze wie: "Ich lag den ganzen Tag im Bett und dachte mir so meins." Das ist der Charme dieses Tatorts und der Grund, weshalb ihn die aktuelle SWR-Fernsehfilmchefin nun ins späte Samstagabendprogramm holt. "Die Spurensicherung ermittelt am Tatort mit der Lupe und Barbara Sukowa erscheint in einer winzigen Nebenrolle - alleine das lohnt das Einschalten", erklärt Martina Zöllner.

Für sexuelle Nötigung und Entführung gab es 1980 für einen Jugendlichen im Übrigen ein Jahr auf Bewährung. So steht es im Vorstrafenregister von Harry. Aktuell wird darüber debattiert, ob das deutsche Sexualstrafrecht verschärft werden muss - man kann das Gefühl bekommen, das sich in manchen Dingen doch zu wenig getan hat in 35 Jahren.

Tatort "Der gelbe Unterrock" (Regie: Kristian Kühn), SWR Fernsehen, 23.45 Uhr.

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