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SWR-Doku über Kessler-Zwillinge:Sie schenken einander nichts

Eine SWR-Doku ehrt die Kessler-Zwillinge. Der Film zeigt, wie sie bereits als Kinder in artistischen Nummern dressiert wurden - und er zeigt sie als keifende Schönheiten, die einander überdrüssig sind.

TV-Kritik von Eva-Elisabeth Fischer

Mann, was schaut der ungläubig aus der Wäsche! Ulrich Tukur sitzt am Klavier, als plötzlich zwei blonde, bereits ziemlich angejahrte Schönheiten den Italo-Hit "Di mi quando" anstimmen. Und Tukur sieht aus, als sängen und tanzten da zwei Wiedergängerinnen der Kessler-Zwillinge in seinem Salon.

Sie sind es leibhaftig. Die Szene stammt aus dem Tatort "Das Dorf" von 2011 und illustriert am besten, wovon Doris Metz im Porträt Die fabelhaften Kessler-Zwillinge erzählt: von einer Vergangenheit, die immer noch Gegenwart ist.

Denn Alice und Ellen Kessler, die am 20. August 80 Jahre alt geworden sind, sie tanzen und singen nach wie vor, als seien sie zeit- und alterslos. Auch wenn sie in den Medien meist nur noch in den Klatschspalten bei Münchner Premieren oder zu runden Geburtstagen präsent sind.

Metz konfrontiert Vergangenheit und Gegenwart in Schnitt und Gegenschnitt. Sie filmt die Reaktionen von Alice und Ellen beim Betrachten alter Filme und Shows. Sie blendet Talkrunden ein, zunächst die allerhärteste, 1976, in der sich die Schwestern vor dem verstummten Moderator beharken, zwei keifende Schönheiten, einander überdrüssig, Partnerinnen auf Lebenszeit auf dem Absprung, die aber doch nicht ohne einander können. Sie arbeiten gemeinsam. Sie kochen gemeinsam. Sie sprechen von verflossenen Lieben und sagen, sie hätten sich branchenbedingt immer in schwule Männer verliebt.

Sie schenken einander nichts, im Leben wie im Beruf, die spontane Ellen, die mit dem etwas rundlicheren Gesicht, und die reflektierte Alice, die mit dem etwas längeren Kopf.

Durch Fleiß und Disziplin zu dauerhaftem Erfolg

"Wir sind eigentlich nicht zwei Personen, sondern eine einzige", sagt eine der beiden Annas in Brechts/ Weills Ballett "Die sieben Todsünden der Kleinbürger". Ein Dilemma. Alice und Ellen haben Anna I und II am Gärtnerplatztheater in München gespielt, mit 40, als sie sich auch in ernsthaften Rollen beweisen wollten.

Doch der Film von Doris Metz setzt ein, als Alice und Ellen Kessler vor einem Jahr für ihr Comeback als Stars im Udo-Jürgens-Musical "Ich war noch niemals in New York" probten. Die Szene erklärt, wie Talent durch Fleiß und Disziplin zu dauerhaftem Erfolg führen kann. Da zählen sie also, wie eh und je, die Schritte ihrer Jazz-Kombination aus, kick ball change, Bein vor, Wechselschritt, eins unde zwei unde drei unde vier.

Das können sie aus dem Effeff und üben es doch immer wieder, im Bewusstsein, perfekt sein zu müssen. Schon aus Gewohnheit, denn ihre Rolle darin spielen sie, das ist das allererste Mal, im Wechsel. Als Zwilling, haben sie verinnerlicht, muss man in jeder Sekunde absolut synchron sein. Jede kleinste Abweichung wird vom Publikum als Schnitzer registriert.

Das reizvollste Exportgut des prüden Nachkriegsdeutschlands

Beine, Beine, Beine. Beine bis zum Hals. Mit einem biegsamen Torso darüber und einem hübschen Kopf obenauf, zudem mit klaren Stimmen begabt, waren sie das reizvollste Exportgut des prüden Nachkriegsdeutschlands. Ihre ganz große Zeit in Paris, New York und Rom erlebten sie als Stars in den Fünfziger-und Sechzigerjahren. Hierzulande waren sie gerade mal eine "Nur-die"-Strumpf-Reklame wert.

Dabei waren sie, bereits als Kinder vom Vater in artistischen Nummern dressiert, die perfekten Allrounder im Showgeschäft, die singen, tanzen und spielen konnten, wie man das nur aus Amerika kannte. Mit 17 im Pariser Lido, mit 30 mit Frank Sinatra und Dean Martin auf Sendung, wenig später mit Franco Zeffirelli im Wohnzimmer. Doris Metz kommt diesen Zwillingen, die die ganze Welt in Bewegung sehen will, sehr nah.

Die fabelhaften Kessler-Zwillinge, SWR, 23.30 Uhr.

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SZ vom 24.08.2016/pak
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