Süddeutsche Zeitung

Dreharbeiten in der Pandemie:Romantisch, aber auf Abstand

"Sturm der Liebe" hat als eine der ersten Fernsehproduktionen die Dreharbeiten wieder aufgenommen - mit strengen Hygieneregeln, Corona-Tests und Mundschutz. Ein Besuch am Set.

Von Aurelie von Blazekovic

Als die Kanzlerin vergangene Woche Lockerungsmaßnahmen verkündete, wählte sie, wenn es nach eingefleischten Fans von Sturm der Liebe geht, eine denkbar ungelegene Zeit. Um 15.40 Uhr trat sie vor die Mikros und unterbrach mit ihren Erläuterungen der neuen Regeln für das öffentliche Leben in Deutschland die Ausstrahlung von Sturm der Liebe im Nachmittagsprogramm der ARD. Und das mitten in Folge 3374, in der eine seit vielen Jahren ihr Unwesen treibende Intrigantin im Begriff war, den Serientod zu sterben. Bei der Bavaria-Fiction und der ARD klingelten kurz darauf die Telefone, hätte man die Ansprache der Kanzlerin denn nicht um 20 Minuten verschieben können, und was ist mit dem Rest der Folge? Zur Besänftigung wiederholte man sie am Tag drauf in Gänze.

In einer Welt ohne Pandemie würde Franzi ihm vielleicht zärtlich ihre Hand reichen

Diese Anekdote verrät vielleicht, was jede Minute Sturm der Liebe den Fans bedeutet, die Zahlen tun ihr Übriges: Seit 15 Jahren läuft die Telenovela und hat in guten Jahren durchschnittlich 1,6 Millionen Zuschauer, wurde weltweit exportiert und ist etwa als Tempesta d'amore auch in Italien ein Hit. Nach vier Wochen Stillstand wegen Corona - ein verschobener Drehtag bedeutet bei einer Daily Soap eine verschobene Episode - nahm Sturm der Liebe als eine der ersten Film- und Fernsehproduktionen schon am 20. April die Dreharbeiten auf dem Bavaria-Gelände in Grünwald bei München wieder auf, selbstverständlich unter strengen Hygieneauflagen. Aber wie funktioniert Abstandhalten ausgerechnet bei einem Format, das von Berührungen, Zärtlichkeiten, Küssen lebt, und in den ganz stürmischen Momenten auch mal von einer Handgreiflichkeit?

Das Traumpaar, das sich in der aktuellen 16. Staffel romantisch, aber auf Abstand am Hotel Fürstenhof finden soll, heißt Tim (Florian Frowein) und Franzi (Léa Wegmann). An einem strahlenden Frühlingstag, der in Bayern mit weiteren Lockerungen der Kontaktbeschränkungen einhergeht, drehen sie eine Szene, die eine buchstäbliche Annäherung ist. Tim trifft vor dem Westflügel des Fürstenhofs auf eine beleidigte Franzi. Tim hatte wohl verdächtigen Damenbesuch, aber kann alles mit Nächstenliebe begründen. Die fragliche Dritte habe nämlich Geld und Unterkunft aufgegeben, um ein krankes Pferd vorm Schlachter zu retten, verteidigt sich Tim. Würde Franzi, in einer Welt ohne Pandemie, Tim nach dieser herzerwärmenden Erkenntnis vielleicht ihre Hand reichen, so kann sie jetzt nur ein zärtliches "Sie muss eine tierliebe Frau sein" sagen.

Sogar bei der Generalprobe tragen die Schauspieler, wie alle anderen am Set, noch einen Mundschutz. Für den Regisseur Steffen Nowak ist das "eine große Herausforderung, weil man die Emotionen nur erahnen kann". Erst im letzten Moment, wenn die Kameras laufen und die Masken ab sind, ist die ganze Kränkung in Franzis Gesicht sichtbar und die Lockerheit von Tim lässt durchscheinen, wie wichtig sie ihm ist. "Ein Stückchen mehr auf einander zugehen wäre schon schön", meint Florian Frowein, der Tim spielt. Aber das erlauben die neuen Regeln nicht, zumal der anwesende "Medical Consultant", ein Sanitäter, verhüllt in schwarzer Arbeitskleidung, Sonnenbrille, Schiebermütze und Mundschutz, schon bei der Probe um etwas mehr Abstand gebeten hatte.

Sogenannte Medical Consultants am Set sind Teil des Hygienekonzepts, das Produktion, Bavaria-Fiction und ein Betriebsarzt entwickelt haben. Sie erinnern am Set an die Abstandsregeln, ähnlich wie die Punkte und Striche, die überall am Boden kleben. Die Medical Consultants machen sich auch bemerkbar, wenn jemand seine Maske vergessen hat, messen außerdem jeden Morgen die Körpertemperatur bei allen Schauspielern und führen montags einen Corona-Test durch. Anders als bei der Bundesliga hier ohne große Diskussionen. Die Regeln wirken sich auch auf die Handlung aus. Die Drehbücher wurden aufwendig auf Abstand umgeschrieben, während alles ruhen musste. Keine Küsse, Umarmungen, Gruppenszenen mehr, zudem mussten die Autoren manches Setting ändern, weil vorerst nur Drehs auf Privatgelände möglich waren. Währenddessen schrieben treue Zuschauer dem Team besorgte Karten: "Bitte bleibt gesund".

Steffen Nowak, einer von mehreren Regisseuren der Serie, musste lernen, auf Abstand zu inszenieren, aber so, dass es am Ende nicht danach aussieht. Man könne auch mal mit der Perspektive spielen, damit eine Szene im Fernsehen näher aussieht, als sie gedreht wurde. Unter strenger Beaufsichtigung durch den Medical Consultant dürfen sich die Schauspieler auch mal näher als 1,5 Meter kommen, aber nur kurz und mit geschlossenem Mund - stumme Nähe kann es also noch geben.

In den Masken bleibt das dicke Film-Make-up hängen. Immer wieder müssen die Schauspieler nachpudern und das neuerdings selbst. Denn Maske, Kostüm und Requisite wurden vom Set verbannt, um die Größe der anwesenden Crew etwas zu reduzieren. Für die Schauspieler bedeutet das eine Aufgabe mehr, jeder hat sein eigenes Make-up-Beutelchen bekommen. "Die Maskenbildnerin sagt, ich kann den Pinsel ganz gut kreisen lassen", sagt Florian Frowein stolz. Auch um die Haare müssen sich die Darsteller jetzt selbst kümmern. Julia Grimpe, sie spielt die Cafébesitzerin Linda Baumgartner, deutet auf ihren Hinterkopf, "das sieht natürlich nicht mehr so perfekt aus", und meint ihre schon etwas ausgewachsene Kurzhaarfrisur.

Obwohl die Crews reduziert sind - an einem Filmset gibt es viele Aufgaben. Bestimmt 20 Menschen kümmern sich für die Szene um Kamera, Licht, Ton und mehr. Und auch die müssen Abstand wahren. Die beiden Männer, die schwere Mikrofone über die Schauspieler angeln, führen hinter den Kameras eine ausgefeilte Abstandschoreografie auf, während Franzi und Tim immer wieder über den Schotter aufeinander zugehen.

Bei den vielen romantischen Handlungssträngen wird sich der Abstand am Set vermutlich bemerkbar machen, wenn die ersten zur Zeit gedrehten Folgen nach einer drei- bis vierwöchigen Pause im Juni später im Sommer ausgestrahlt werden. "Ich hätte sicher sehr viel mehr geküsst", sagt Julia Grimpe, die sich als Linda gerade in einem Liebesdreieck befindet. Die Situation werfe eben vieles auf Dialoge und Mimik zurück, heißt es am Set von Sturm der Liebe. Eines hält dort aber sicher keinen Einzug: Eine Pandemie gibt es im Hotel Fürstenhof nicht. Die Zuschauer brauchen von alldem ja auch mal ihre Ruhe.

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Quelle:
SZ vom 15.05.2020/luch
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