Studie zu Hasskommentaren:"Wir haben gegen den Hass immer noch kein Mittel gefunden"

Wie gehen Journalisten mit Hasskommentaren um? Der Sozialpsychologe Andreas Zick hat das untersucht. Das Ergebnis ist ernüchternd - enthält aber auch eine Chance.

Interview von Carolin Gasteiger

Hassattacken auf Journalisten kommen immer häufiger vor und haben psychische Belastungen und Einschränkungen der journalistischen Arbeit zur Folge. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld. Zusammen mit Madlen Preuß und Frederik Tetzlaff hat Andreas Zick im vergangenen November knapp 800 Journalisten zu ihren Erfahrungen mit hate speech befragt. 67 Prozent sagen, dass hasserfüllte Angriffe des Publikums in den vergangenen zwölf Monaten deutlich gestiegen sind. Im Gespräch erklärt Zick, woran sich der Hass entzündet und wie Medien damit umgehen können.

SZ.de: Herr Professor Zick, Ihre Studie ist überschrieben mit "Pressefreiheit in Gefahr - Journalismus in Zeiten von Hate Speech". Das klingt erst einmal dramatisch.

Andreas Zick: Journalisten können aufgrund der Belastung durch Hasskommentare ihre Aufgabe nicht mehr so erfüllen, wie sie es gern tun würden. Jeder zweite Befragte empfindet hate speech als belastend. 20 Prozent davon haben auch schon körperliche Gewalt erlitten und sind der Meinung, dass die Berichterstattung im öffentlichen Raum, etwa über Demonstrationen, schwieriger geworden ist. Manche fühlen sich von der Polizei nicht ausreichend geschützt. Die Belastung geht so weit, dass sie sich in ihrer Arbeit eingeschränkt fühlen und überlegen, nicht mehr über alles zu berichten.

Laut Ihrer Studie leiden nicht nur diejenigen, die selbst Hass erfahren, sondern auch Kollegen.

Auch Journalisten, die erfahren, dass ihre Kollegen Hass ausgesetzt sind, fühlen sich dadurch belastet. Das sind immerhin 34 Prozent derer, die selbst keine Hasskommentare erhalten.

Aus Solidarität?

Vorwiegend, weil die Angriffe unserer Untersuchung zufolge nicht persönlich gegen Journalisten gehen. Sie werden nicht aufgrund ihrer Hautfarbe oder Religion angegriffen. Sondern weil sie Journalisten sind. Man greift an, weil man anderer Meinung ist oder weil der Journalist nicht das berichtet, von dem man selbst meint, dass es die Wahrheit ist. Journalismus ist zum Feindbild geworden.

Welche Themen provozieren den Hass?

Es sind die üblichen Themen mit Konfliktpotenzial. Themen, bei denen es um Vorurteile geht: Allen voran Flüchtlinge, die Willkommenskultur, aber auch Muslime und der Islam. In einer flankierenden Studie konnten wir belegen, dass Personen, die bestimmte Haltungen ablehnen, sich in ihrer Einstellung radikalisieren. Bei ihnen verfestigen sich Vorurteile. Und wenn Journalisten diese aufdecken und thematisieren, ist ihnen der Hass sicher. Viele Menschen verstehen nicht mehr, wie Journalismus funktioniert.

Was heißt das?

Sie meinen, die Presse verbreitet entweder die Wahrheit oder die Unwahrheit. Dass Journalisten aber unterschiedliche Perspektiven abbilden und in Kommentaren unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten aufzeigen, wird verkannt. Die Medien als System werden nicht mehr akzeptiert.

Anfeindungen öffentlich machen - oder lächerlich

Wie sollen die Medien mit diesem Problem umgehen?

Man muss diese Angriffe thematisieren. 66 Prozent derer, die Hasskommentaren ausgeliefert sind, finden Rückhalt bei ihren Kollegen. Dieser Austausch kann als Stresspuffer fungieren. Aber darüber hinaus müssen sich Redaktionen überlegen, wie sie mit den Angriffen umgehen wollen. Ob sie sie veröffentlichen oder verfolgen sollen.

Wir beobachten immer mehr Angriffe auf Personen im öffentlichen Raum: Politiker, Polizisten, Sozialarbeiter. Spiegelt die Studie das wider?

Tatsächlich gibt es Hasskommentare gegen alle, die sich in irgendeiner Form für Flüchtlinge einsetzen oder offen gegenüber anderen Kulturen sind. Genau wie Lehrer, Polizisten oder Mitarbeiter im Gesundheitswesen brauchen Journalisten Hilfestellung bei Stress und psychischen Belastungen.

Hilft es, die Anfeindungen öffentlich zu machen?

Ja, öffentlich - oder auch lächerlich. Veranstaltungen wie hate poetry, bei denen Journalisten gemeine Leserbriefe und -kommentare vorlesen, machen den Hass lächerlich. Auch Journalistinnen wie Dunja Hayali oder Anja Reschke zeigen, wie man hate speech öffentlich thematisieren kann. Allerdings haben sie eine besondere Position, sie sind ja ziemlich bekannt. Aber auch ganz gewöhnliche Journalisten sollten Hasskommentare gegen sich veröffentlichen.

"Publizieren wird zur Mutprobe", zitieren Sie einen Teilnehmer der Studie.

Wir leben in einer Zeit, in der sich eine Art Paralleljournalismus von Laien entwickelt, der die ganze Profession infrage stellt. In Zeiten, in denen es um Fake News geht und um die Frage, ob man Wahrheiten erfinden kann, ist es mindestens genauso wichtig zu fragen: Was ist Journalismus? Noch nie hat es sich so gelohnt, um die Professionalität des Journalismus zu kämpfen.

Was sagt Ihre Studie über unsere Gesellschaft aus?

Wir haben gegen den Hass immer noch kein Mittel gefunden. Die Ablehnung formiert sich in einzelnen Gruppen und verfestigt sich dort. Wir sehen in Amerika, was passiert, wenn eine Gesellschaft Hass zulässt und nur noch über Fake News redet. Es geht nicht mehr um Wahrheit, sondern um innergesellschaftliche Konflikte. Und die anzugehen, ist anstrengend. Aber Redaktionen wie die der Washington Post investieren genau in diese Konflikte und versuchen, die Fake News zu entkräften.

Sie meinen, in diesen Konflikten liegt auch eine Chance?

Wenn die Welt unübersichtlicher wird, ist das die Chance für den Journalismus als aufklärende Instanz. Aber die Menschen verstehen nicht mehr, dass es unterschiedliche Positionen und Haltungen in unterschiedlichen Medien gibt. Sie wollen die Wahrheit, und das am liebsten in 140 Zeichen.

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