Studie über "Bild"-Zeitung:Bild dir deine Kohle

Eine Studie erklärt das Phänomen "Bild" neu: nicht als Zeitung, sondern als brummende Verkaufsmaschine. Die Botschaft: An Deutschlands größtem Boulevardblatt geht kein Weg vorbei.

Hans Leyendecker

Mit den Mitteln der Erzählung, den Anstrengungen des Selbstversuchs oder auch dem Instrumentarium der Philosophen haben so unterschiedliche Köpfe wie der Schriftsteller Heinrich Böll, der Journalist Günter Wallraff und der Soziologe Jürgen Habermas versucht, das Phänomen Bild-Zeitung zu deuten. Jede Aufklärung über diese Zeitung sei "vergeblich, weil es nichts über sie zu sagen gibt, was nicht alle schon wüssten", hat Hans Magnus Enzensberger 1983 in einem Aufsatz gewarnt. Bild werde "gelesen nicht obwohl, sondern weil das Blatt von nichts" handle, schrieb er.

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Die umfangreiche Palette an "Volks"-Produkten der Bild-Gruppe des Axel-Springer-Verlags soll seit 2002 fast eine Milliarde Euro Umsatz generiert haben. Für die Autoren einer Studie ist das Boulevardblatt auch deshalb weniger eine echte Zeitung als vielmehr ein Geschäftsmodell.

(Foto: Bild-Gruppe)

In dieser Woche erscheint eine neue Studie über das Massenblatt, dem mählich die Massen abhanden kommen: "Drucksache Bild - Eine Marke und ihre Mägde. Die Bild-Darstellung der Griechenland- und Eurokrise 2010" lautet der Titel. Sie erscheint als Arbeitsheft 67 der Otto-Brenner-Stiftung, das ist die gemeinnützige Stiftung der IG Metall.

Die Autoren, der Wissenschaftler Hans-Jürgen Arlt und der Journalist Wolfgang Storz, bleiben nicht auf den üblichen Pfaden, sondern entwickeln ein interessantes Theorem: Bild sei gar keine richtige Zeitung, sondern inszeniere sich nur so, um Geschäfte machen zu können. Ein "Jahrhundertschwindel" steht auf dem Cover der Studie. Das Blatt sei mit seinen "Volksprodukten" und seiner "Marketing- und Verkaufsmaschine" zu "einem der großen Einzelhändler Deutschlands geworden".

Für die Vermarktung zahle jedes Unternehmen, je nach Medialeistung, zwischen 0,6 und 1,2 Millionen Euro, und der Verkauf soll inzwischen bei deutlich über 25 Millionen Produkten liegen. Tatsächlich vertreibt Bild nach eigenen Angaben mehr als hundert Artikel, darunter Computer, Internet-Anschlüsse, Zahnbürsten, Investmentfonds und Wandfarbe. In diesen Tagen startet das Blatt zusammen mit der Deutschen Bahn das "Bild-Freunde-Ticket".

Wer fährt da mit wem spazieren? Die auf den ersten Blick kühne These, dass Bild vor allem eine brummende Verkaufsmaschine mit dazugehörigem Event-Marketing und irgendwo auch noch eine Zeitung sei, ist zumindest originell. Nicht das permanente Jammern über angeblich fehlende Moral bei den Blattmachern, nicht der ständige Verweis auf tatsächliche Schweinigeleien, sondern die schlichte Antwort: Bild ist vor allem ein Geschäftsmodell.

Öffentlichkeitsarbeiter für eigene Wichtigkeit

Diese These ist fast so außergewöhnlich wie der aus verschiedenen Gründen aus der Mode gekommene Hinweis Enzensbergers aus den achtziger Jahren, der einzige ernstzunehmende Rivale des Blattes sei der Quelle-Katalog.

Was immer Bild treibe, schreiben Arlt und Storz, diene "primär der Selbstdarstellung des Blattes und nur als Nebenfolge der Informationsvermittlung". Was an Bild Journalismus sei, habe "eine dienende Funktion, nicht für das Publikum, sondern für die Marke Bild". Das Massenmedium tritt demnach hauptsächlich als Öffentlichkeitsarbeiter für seine eigene vermeintliche Wichtigkeit auf - um Geschäfte zu machen. An Bild gehe kein Weg vorbei, ist die gewünschte Botschaft. Auch für Unternehmen.

Die Studie beschäftigt sich besonders mit der Griechenland-Berichterstattung des Blattes im vorigen Jahr, die immer wieder in der Bild-Frage mündete: "Machen die Griechen den Euro kaputt?" Allein in den Monaten März, April und Mai 2010 widmete die Zeitung nach Zählung der Autoren dem Thema 121 Geschichten, meist auf den Seiten eins und zwei. Danach erschienen noch ein paar Artikel, bis dann die Herbstoffensive gestartet wurde: "Der große Bild-Report" in fünf Teilen "Geheimakte Griechenland. Wie Athen sich den Euro erschwindelte".

Nach den Feststellungen der Autoren "dramatisierte, moralisierte, emotionalisierte, personalisierte" Bild nimmermüde das Thema. Rund zwanzig Sätze mit durchschnittlich 220 Worten habe ein durchschnittlicher Bild-Bericht, lernt der Leser der Studie. Na und? Weit interessanter als diese Zählerei ist die These von Arlt und Storz, die Griechenland-Kampagne sei weniger eine misslungene politische Mission gewesen als ein "Instrument des Reputations- und Markenmanagements": Bild habe sich als Wächter der vermeintlichen Interessen des deutschen Steuerzahlers geriert. Ein politischer Erfolg der Griechenland-Kampagne sei aber von Anfang an zweitrangig gewesen.

Vergeblich haben die Macher der Studie nach eigenen Angaben versucht, den jungen und schon ewigen Bild-Chefredakteur Kai Diekmann zu interviewen. Zweimal habe Diekmann höflich abgelehnt. Stattdessen haben sie nicht nur viele Bild-Ausgaben ausgewertet und Günter Wallraff interviewt - der 1977 unter dem Namen Hans Esser bei dem Blatt anheuerte und das Enthüllungsbuch Der Aufmacher schrieb - sondern auch sieben weitere Experten befragt. Und da geraten sie ins Schlingern.

"Experte 2" - ein anonym bleibender politischer Journalist, der für "Tageszeitungen und Magazine gearbeitet hat und arbeitet", wird in der Studie so zitiert: "Bereits in Bonn waren die Bild-Leute die Themensetzer...Es ist schon eher die Ausnahme, dass bundesweit die Nicht-Springer-Leute Themen setzen."

Journalismus-Inszenierung

Das ist eine spezielle Sicht, die der Diekmann'schen Sehnsucht, in einer Liga mit den seriösen Blättern zu spielen, stark entgegenkommt. In Bonn war Bild eher Außenseiter. In Berlin hat sich an diesem Befund, trotz der politischer gewordenen Seite zwei des Blattes, wenig geändert. Erst neulich wollte Bild im Aufzug mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nach oben fahren und musste ihm dann bei der Fahrt nach unten zuschauen.

Als Merkmal der Journalismus-Inszenierung werten die Autoren der Studie auch die Fixierung der Bild-Blattmacher auf Exklusivität ihrer Veröffentlichungen. In den einschlägigen Ranglisten der meistzitierten Blätter liegt Bild mit im vorderen Feld oder an der Spitze. Das Boulevardblatt, schreiben sie, ziele auf den "Reputationsgewinn der Exklusivität; ob dabei auch eine relevante Information mitgeliefert wird, ist Nebensache".

Aber der Befund gilt für viele Medien, die zum Beweis ihrer Daseinsberechtigung die Erwähnung in anderen Blättern herbeisehnen (auch die Süddeutsche Zeitung liegt bei solchen Untersuchungen ziemlich weit vorn). Niemand prüft beim Zitate-Ranking, ob Exklusives wirklich exklusiv oder nur recycelte Ware war, und ob etwas stimmt oder nicht stimmt, spielt in den Ranglisten keine Rolle. "Pharisäertum und das Behagen an der eigenen Scheiße" sei "kein Privileg des einen oder anderen Mediums" hat Enzensberger in seinem Bild-Aufsatz vor knapp drei Jahrzehnten festgestellt.

Die Vermarktungsstudie hat also Schwächen. Sie kann aber in der Beschreibung einer angeblichen Auflösung der "Grenze zwischen massenmedialer Veröffentlichung und ökonomischem Produkt" Erklärungen für Vorgänge liefern, die Laien zumindest schwer nachvollziehen können - wie beispielsweise den ökonomischen Erfolg des Blattes.

So ist die Bild-Gruppe die dicke Geldkuh des Axel-Springer-Verlages, obwohl die Auflage der Zeitung seit Jahren stark rückläufig ist. Von einst 5,5 Millionen Exemplaren ist die Auflage von Bild in einem größer gewordenen deutschen Markt inzwischen unter die Drei-Millionen-Grenze gesunken. Der übliche Hinweis des Verlages auf die hohe Reichweite des Blattes und den vergleichsweise stark angestiegenen Vertriebspreis erklärt nicht alles.

Der Verlag macht aus der Bild-Rendite ein Geschäftsgeheimnis. Insider kalkulieren mit einem Jahresgewinn von Bild in Höhe von rund 250 Millionen Euro, was in der Branche ein riesiger Erfolg ist. Diekmann hat diese Zahl vor Monaten in der Süddeutschen Zeitung dementiert, aber die Größenordnung dürfte stimmen.

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