Süddeutsche Zeitung

Studie:Mehr Mut am Spielfeldrand

Stiftung räumt investigativem Fußballjournalismus als Gegengewicht zur Kumpelei gute Chancen ein.

Von Uwe Ritzer

Sie ließ nicht locker. Mit freundlichem Lächeln und ruhigem Ton hakte Dunja Hayali immer wieder nach. Sie bohrte mit ihren Fragen geduldig und hartnäckig in den Schwachstellen von Reinhard Grindel. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wich anfangs geschickt aus, aber je länger das Interview dauerte, desto mehr floh sich Grindel auf entlarvende Weise in inhaltsleere Funktionärsfloskeln. Der Mann, so blieb als Eindruck hängen, hat für komplexe Probleme keine Lösungen.

Es gibt sie also schon, diese Sternstündchen des kritischen Fußballjournalismus, wo man sie gar nicht vermutet. Das ZDF-Sportstudio hat sich bislang nicht als Hort von investigativem Journalismus hervorgetan; allein deshalb stach Hayalis Interview mit Grindel vorigen Samstag hervor. Das Vorurteil, dass Fußballreporter in erster Linie Fans seien, die glücklich darüber sind, es auf die andere Seite der Absperrungen geschafft zu haben und diesen Status nicht durch unbotmäßige Berichterstattung gefährden wollen, ist alt und stimmt oft. Es stimmt aber auch oft nicht. Die Skandale der Giermaschinen IOC und Fifa, das Thema Doping, die Enthüllungen von Football Leaks, die Entfremdung des Profifußballs von den treuesten Fans oder die Schatten über dem deutschen WM-Sommermärchen 2006 haben kritische und investigative Sportberichterstattung befeuert. Sowohl in öffentlich-rechtlichen Magazinsendungen, als auch in anspruchsvolleren Print- und Online-Medien findet sich immer mehr davon.

Es gibt aber auch die andere, häufigere Ausprägung des Sportjournalismus, zu erleben in der Woche vor dem Start der neuen Champions-League-Saison. Da jazzte der Bezahlsender Sky auf seinen Sportkanälen pausenlos den Beginn der Gruppenphase hoch (die in Wirklichkeit nicht mehr ist als eine Vorrunde mit zu mindestens 90 Prozent vorhersehbarem Ausgang), als stünde ein WM-Finale bevor. Warum? Weil Sky teuer für die Übertragungsrechte bezahlt und daher viele Abonnenten zur Refinanzierung werben muss. Mit Journalismus hatte das nichts mehr zu tun.

Wie sehr sich speziell der Fußball-Journalismus in diesem Spannungsfeld zwischen distanzierter Reflexion und PR verkeilt hat, ließ die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung den Hamburger Journalisten Tonio Postel untersuchen. Er stützt sich dafür auf die Aussagen Dutzender Akteure auf allen Seiten des medialen Fußballspiels, Wissenschaftler inklusive. "Zwischen Fanreportern und Spielverderbern", so der Titel der Untersuchung, zeichnet ein ernüchterndes Bild. Kritische und investigative Geister sind im Fußballjournalismus nicht nur in der Minderheit; sie sind auch immer weniger gern gesehen bei Profivereinen, Verbänden und Spielern, die längst ihr eigenes, mediales Spiel inszenieren und Medien bestenfalls als weiteres Marketing-Tool begreifen. Dafür rüsten sie personell auf, während in Redaktionen immer mehr Stellen gestrichen werden. Und wer als Journalist nicht mitspielt, dem werden schon mal die Zugänge zu den wichtigen Protagonisten gesperrt.

Postel entlarvt Abhängigkeiten, etwa wenn Regionalzeitungen mit örtlichen Profiklubs wirtschaftlich kooperieren, oder Journalisten nebenbei gut bezahlte PR für jene betreiben, die sie eigentlich kontrollieren sollen. Es offenbart sich ein ziemlich diffuses Bild von fragwürdigen Verflechtungen. Auch sie tragen zur Entfremdung des Profifußballs von seinen Fans bei.

Andererseits stuft Tonio Postel gerade deswegen die Chance für einen distanzierteren Fußballjournalismus als gut ein. Denn die Kumpaneien zwischen Kickern und Funktionären einerseits und Beobachtern andererseits nerven ein wachsendes Publikum, das Sportorganisationen ohnehin immer weniger traut. Deswegen, so Tonio Postels Prophezeiung, lasse "die Bedeutung von hintergründigen, analytischen und investigativen Stücken nicht nach, sondern steigt im Gegenteil an". Ein Anspruch, den seiner Einschätzung nach, vor allem Nachwuchsjournalisten teilen.

Postels akribische Arbeit - die OBS spricht von einem "Diskussionspapier" - ist ein Plädoyer für mehr Mut, für eine "kritische, mehrdimensionale Sportberichterstattung". Statt sich bei Vereinen, Verbänden oder Spielern anzubiedern oder als "Teil der Produktionskette" Fußball wohlfeil zu verhalten, fordert er neue Spielregeln für den Umgang. Sie zielen auf mehr Distanz. Um nicht zu sagen: auf klare Trennungslinien.

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Quelle:
SZ vom 06.10.2018
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