Süddeutsche Zeitung

"Stuckrad-Barre" bei Tele 5:Ewig halbfertiges Pilotprojekt

Benjamin von Stuckrad-Barre ist mit der zweiten Staffel seiner Sendung zurück im TV. Mit SPD-Politiker Karl Lauterbach macht er Liegestütze und spuckt Kirschkerne - und präsentiert seine größte Stärke, die dem Prinzip von Polit-Talkshows völlig zuwiderläuft.

Von Matthias Kohlmaier

Mit Martin Lindner von der FDP hat er gekifft, mit dessen Parteifreund Gerhart Baum auf das Guido-Mobil eingeprügelt und mit CSU-Mann Günther Beckstein schmutzige Wäsche gewaschen. Alles vor laufender Kamera. Nun geht Benjamin von Stuckrad-Barre mit der nach ihm benannten Polit-Talkshow auf Tele 5 in die zweite Staffel. Er will herausfinden, ob sich nicht noch ein paar Dinge finden, die außer ihm kaum einer im Fernsehen machen will.

Sein Gast in Episode eins: Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte und Mitglied in Peer Steinbrücks Kompetenzteam. Der war zwar in der vergangenen Staffel schon mal da, darf aber wegen seines knochentrockenen Humors und seiner lustigen Fliege noch mal kommen. Mit Stuckrad-Barre Liegestütze machen, Kirschkernzielspucken und auf herbeigeschafften Matten ein wenig ringen. Aus der Sicht des gewohnt unangepassten Moderators das Übliche also.

Aber ist dieser Stuckrad-Barre witzig? Und ist der Titel "Polit-Talk" für seine Sendung nicht sogar irreführend? Für eine Sendung, die im Falle von Lauterbach zwar lehrt, dass der Fliegenträger überraschend viele Liegestütze zustande bringt - aber sonst wie ein ewig halbfertiges Pilotprojekt daherkommt.

Ein paar Fragen "im Stehen"

Beide Fragen beantwortet die kleine Einführung, der Stuckrad-Barre seit jeher seine Gäste aussetzt. Der Ablauf: Der Gast betritt das Studio, noch bevor sich an den obligatorischen Schreibtisch gesetzt wird, bombardiert Stuckrad-Barre sein Gegenüber "im Stehen" mit einer Handvoll Fragen. Mehr und minder gehaltvollen.

Stuckrad-Barre: "Gab's früher in der Schule oft was auf die Fresse?"

Lauterbach: "Nein, man konnte sich wehren."

Stuckrad-Barre: "Mein Angebot zur Auflockerung: Sie dürfen jetzt ganz laut brüllen 'Scheiß doch auf die Umfragen!'"

Lauterbach (entgegen der Aufforderung zimmerlautstark): "Nein, nein: Vergiss die Umfragen."

Stuckrad-Barre: "Das rockt! Können wir den Krebs eines Tages besiegen?"

Lauterbach: "Im nächsten Jahrhundert, ja."

Stuckrad-Barre: "Ist Laktoseintoleranz eigentlich eine Erfindung von Starbucks?"

Lauterbach: "Ne, allerdings verkauft sich der Kaffee mit Milch dann besser."

Stuckrad-Barre: "Schaffen wenigstens Sie es, alle Mitglieder von Peer Steinbrücks Kompetenzteam aufzuzählen?"

Lauterbach (stockt): "Wir sehen uns so regelmäßig und ..."

Stuckrad-Barre (freudig-hämisch grinsend): "Komm!"

Nach langem Kampf kommt Lauterbach immerhin auf acht der insgesamt zwölf Namen - und versucht dabei noch zu schummeln, indem er sich selbst zweimal nennt. Das ist nicht ins Gesicht springend witzig und auch nicht so erkenntnisreich, wie die vielen öffentlich-rechtlichen Talksendungen sich wähnen. Es ist genauso witzig und erkenntnisreich, wie eine TV-Sendung ohne jegliche Zwänge witzig und erkenntnisreich sein kann. Vor allem aber transportiert es eine Lockerheit, wie sie die meisten Politiker für gewöhnlich nicht einmal unter Androhung von Prügel hinbekommen würden.

In der Folge machen sich Stuckrad-Barre und Lauterbach über fragwürdige Wahlplakate der Partei Bibeltreuer Christen und der FDP lustig und Lauterbach sagt über die Fragetechnik von Markus Lanz den bemerkenswerten Satz: "Markus Lanz will nichts wissen, er will was hören." Muss angenehm sein für einen Talkshow-Moderator, wenn der Gast freiwillig solche Dinge sagt.

Immer angenehm für den Zuschauer ist Stuckrad-Barres Fähigkeit, Stille zu ertragen. Einen Witz nicht zu erklären, sondern einfach abzuwarten. Wer den Humor von Mario Barth lustig findet, wird in solchen Momenten - und die Show bietet viele davon - einfach wegzappen. Aber das ist Stuckrad-Barre ohnehin egal. Lieber erklärt er Lauterbach, dass der Zuschauer ein flüchtiges Wesen sei und fügt mit festem Blick in die Kamera hinzu: "Hallo an alle, die noch da sind!"

Kürzer wäre besser

Dieses "Ist-mir-doch-egal-Konzept" trägt leider nicht über die ganzen 45 Minuten Sendezeit, eine Komprimierung auf 30 Minuten wäre angemessen. Noch interessanter wird das mit der Tragfähigkeit in der Woche vor der Bundestagswahl: Dort geht Stuckrad-Barre täglich auf Sendung, am Wahlabend plaudert er live vier Stunden lang mit ausgewählten Gästen.

Aber er wird auch das mit stoischer Ruhe, Desinteresse bezüglich des Zuschauerinteresses und einer treuen Fangemeinde hinter sich bringen. Kommende Woche begrüßt er erst mal Matthias Machnig in seiner Show. Der ist ebenfalls SPD-Politiker und ebenfalls im unwahrscheinlichen Falle eines Wahlsieges für ein Ministeramt vorgesehen. Und er sollte schleunigst die Namen sämtlicher Mitglieder des Steinbrück'schen Kompetenzteams auswendig lernen.

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