Streit um TV-Quoten in der Schweiz:Messbare Verstimmung

Schweizer Einschaltquoten Fernsehen Internet

In der Schweiz sollen Klicks auf TV-Beiträge im Internet zur Einschaltquote gerechnet werden.

(Foto: picture-alliance / dpa)

In der Schweiz sollen Klickzahlen aus dem Netz in die Fernsehquoten einfließen. Das sorgt für großen Streit in der Branche - denn ein kleiner Sender widersetzt sich dem Verfahren.

Von Wolfgang Koydl

Zeitungen oder Zeitschriften tun sich leicht, wenn sie wissen wollen, wie gut ihre Erzeugnisse beim Verbraucher ankommen: Auflage minus der Zahl der unverkauften Exemplare - eine schlichte Subtraktion zeigt ebenso einfach wie deutlich die Anzahl der Käufer an. Radio- und Fernsehsender haben es da schwerer, weshalb für sie eigene Institute tätig werden müssen, die mit modernen Methoden der Meinungsforschung die Vorlieben von Zuhörern und Zuschauern messen.

Soweit die Theorie, die in den meisten Teilen der Welt auch gelebte Praxis ist. Allerdings nicht in der Schweiz: Dort werden die Einschaltzahlen der Fernsehsender seit Anfang des Jahres unter Verschluss gehalten, weil sich die Stationen über die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Angaben nicht einig sind.

Die Quote im digitalen Zeitalter

Gerichte bis hinauf in die höchsten Instanzen haben sich schon mit der Frage beschäftigt, mit Klagen, Gegenklagen und einstweiligen Verfügungen.

Begonnen hatte alles damit, dass Fernsehen und Werbewirtschaft im vergangenen Jahr grünes Licht für ein neues Verfahren zur Erhebung der Einschaltquoten gaben, das dem rapiden technischen Wandel im digitalen Zeitalter gerecht wird. Im Wesentlichen ging es darum, dass man zum ersten Mal die zeitversetzte Nutzung von Sendungen durch den Verbraucher erfassen wollte. Mit einem von der englischen Forschungsfirma Kantar betriebenen Programm war das möglich, zumindest für Sendungen, die innerhalb von sieben Tagen nach der Erstausstrahlung auf dem Computer angeklickt werden.

Verantwortlich für die Erhebung der Quoten in der Schweiz ist die unabhängige Stiftung Mediapulse in Bern. Sie wird im Auftrag der Regierung tätig; in ihr sind der staatliche Sender SRG, die privaten TV-Stationen und die Werbewirtschaft mit jeweils sechs Repräsentanten vertreten.

Ein kleiner Sender protestiert

Alles hätte also gutgehen können, wenn nicht einige TV-Veranstalter plötzlich die Verlässlichkeit der Ergebnisse angezweifelt hätten. Denn die ersten publik gewordenen Zahlen unterschieden sich in manchen Fällen nicht nur von den Erwartungen der Betreiber, sondern auch von den in der Vergangenheit erhobenen Resultaten. In einer Zeit schwindender Werbe-Etats hört niemand gern, dass nun auch die Einschaltquoten zurückgehen.

Angesichts der Kritik unterbrach Mediapulse daraufhin kurzfristig die Erhebungen und verbesserte die Erfassungsmethoden. Doch obwohl die Kinderkrankheiten mittlerweile auskuriert sind und zwei unabhängige Expertenberichte das Messverfahren für korrekt erachteten, senden schweizerische TV-Stationen weiterhin in ein dunkles Loch. Denn als einziger Sender will sich die Kleinanstalt 3+ des umtriebigen Medienunternehmers Dominik Kaiser nicht zufrieden geben. Er verhindert mithilfe von Gerichten die Freigabe der Daten.

Sender fürchten um Werbeeinnahmen

Freunde macht sich Kaiser damit nicht, vor allem in der Werbewirtschaft, die bis spätestens Mitte August die Budgets für das kommende Jahr planen müsste. Immerhin geht es um Etats in Höhe von mehreren Hundert Millionen Franken.

"Es ist nicht haltbar, dass ein kleiner Sender eine ganze Branche lahmlegt", polterte kürzlich Roland Ehrler, der Direktor des Schweizer Werbeauftraggeber-Verbandes in der Neuen Zürcher Zeitung. Niemand sage, dass das neue Messsystem perfekt sei, "aber dessen Daten sind mehr als brauchbar". Kaiser wiederum, dessen Sender sich durch leichte Unterhaltung ("Bauer, ledig, sucht. . .", "Mama, ich bin schwanger", "Jung, wild und sexy") auszeichnet, sieht das anders und formuliert es knapper: "Die Zahlen sind falsch."

Eine Einigung scheint derzeit nicht in Sicht zu sein. Immerhin erhielt die Öffentlichkeit eine Momentaufnahme der Quoten - und darf sich seitdem noch mehr über die Aufregung wundern. Denn die Zahlen, die Mitte Juni publiziert wurden, bevor sich auf Antrag von 3+ wieder ein Schleier über sie legte, zeigen keine dramatischen Veränderungen gegenüber dem Vorjahr. Branchenführer ist demnach weiter SRF mit einem Anteil von 31,1 Prozent - ein Plus von 0,9 Prozent. Die Truppe von 3+ kommt auf 2,7 Prozent. Und zwar zur Hauptsendezeit bei den beim Werbemarkt sehr begehrten Jugendlichen.

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