Streit um Kulturplattform:Fortschritt mit Rückstoß

Coronavirus - Sachsen-Anhalt lockert Beschränkungen

Für eine Ansiedelung in Sachsen-Anhalt: Ministerpräsident Haseloff.

(Foto: Ronny Hartmann/dpa)

Gibt die ARD Rundfunkfreiheit preis, wenn sie gerade jetzt ernst macht mit Präsenz im Osten?

Von Anika Blatz

Die Sache ist soweit beschlossen: Ein gemeinsames digitales Kulturangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unter Federführung des MDR soll 2021 im Osten Deutschlands realisiert werden. Ein vernetztes Portal, das die kulturellen Möglichkeiten aus den Sendegebieten der ARD bündelt. Darauf verständigten sich die Landesrundfunkanstalten mehrheitlich, nur der BR ist dagegen.

Der Entschluss ist ein Signal in Sachen Standortpolitik, er könnte aber zugleich ein erster Schritt Richtung Einigung in der Debatte rund um die für 2021 geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent auf 18,36 Euro pro Monat sein. Die Kritik, der Osten sei in den Strukturen des Senderverbunds zu wenig vertreten, haben ostdeutsche Bundesländer stets vorgebracht, wenn sie ihre Zustimmung zur Beitragserhöhung infrage stellten. Dass die Redaktion der Kulturplattform nach derzeitiger Planung in Halle angesiedelt werden soll, dürften sie zumindest als Zeichen der ARD verstehen. Die Frage, mit der es heikel wird, lautet: Ist das ein Deal?

Von 50 Gemeinschaftseinrichtungen sind bisher nur sechs im Osten angesiedelt - darunter zwei bedeutsamere: das ARD-Hauptstadtstudio in Berlin und der Kinderkanal in Erfurt. Gemeinschaftseinrichtungen sind Einheiten, die Aufgaben für den gesamten Senderverbund wahrnehmen, dazu zählt auch die Produktionstochter Degeto oder die Sportrechteagentur SportA. Schon im vorigen Oktober rief der heutige ARD-Vorsitzende Tom Buhrow - damals in der Funktion als WDR-Chef - in einem Brief an die Intendantinnen und Intendanten dazu auf, sich entschlossener mit diesem Ungleichgewicht zu beschäftigen. "Leider findet unsere derzeitige Befassung mit diesen existenziellen Aspekten für die ARD meiner Ansicht nach eher zu langsam oder nur marginal statt", schrieb Buhrow - auch an den damaligen ARD-Vorsitzenden Ulrich Wilhelm vom BR.

Es handele sich um ein zeitliches Zusammentreffen, kein kausales, heißt es aus Sachsen-Anhalt

Aus Sachsen-Anhalts Staatskanzlei jedenfalls, wo man sich bei der Zustimmung zum neuen Beitrag bislang als einziges Bundesland enthielt und sich damit die Blockade offen hält, kommen nach dem Entschluss zur Kulturplattform vorsichtig optimistische Töne. Davor hatte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) von den Intendanten nicht nur die Abgabe einer Selbstverpflichtungserklärung auf die Sparvorgaben der Kef, der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, verlangt, sondern auch die Ansiedlung von Gemeinschaftsaufgaben in Sachsen-Anhalt. Die jetzige Entscheidung sei "mit freudiger Erleichterung aufgenommen worden", sagt Staatsminister Rainer Robra (CDU). Die CDU-Fraktion hat jedoch bereits erklärt, dass sie mehr will - Unterstützung bekommt sie von der Opposition aus Linke und AfD.

Beim BR fürchtet man angesichts der Vorgänge um die Rundfunkfreiheit. Hintergrund: Die Beitragshöhe ermittelt die unabhängige Kef und legt sie den Ministerpräsidenten als Empfehlung vor. Die Annahme dieser Empfehlung darf aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht an medienpolitische Forderungen geknüpft werden. "Die Erhöhung ist eine fachliche Entscheidung, keine politische", sagt der Mainzer Medienrechtler Dieter Dörr, und richtet sich nach dem von den Ländern formulierten Rundfunkauftrag. Sie ist außerdem im Grunde nicht verhandelbar: Nur ausnahmsweise, bei einer unangemessenen Belastung der Beitragszahler, dürften die Länder abweichen. "Eine Erhöhung um 86 Cent monatlich ist auch in Corona-Zeiten durchaus vertretbar - nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Befreiungsmöglichkeiten", sagt Karl-Eberhard Hain, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationsrecht der Universität Köln. Den Versuch, den Anstalten eine Selbstverpflichtung zur Sparsamkeit abzupressen bewertet er als verfassungsrechtlich unzulässig.

BR-Intendant Ulrich Wilhelm sprach in diesem Zusammenhang von einem "verfassungsrechtlich bedenklichen Agieren" Sachsen-Anhalts und bezeichnete das Vorgehen als Grenzüberschreitung. Auch der BR unterstütze die Zielsetzung, gemeinschaftliche Einrichtungen in den ostdeutschen Bundesländern anzusiedeln, sagt Wilhelm. Man sei dazu seit Jahren in Überlegungen, die aktuelle Entscheidung zum Kulturangebot sei aber gerade nicht Ausdruck dieser Überlegung, sondern stehe im Zeichen einer politischen Verknüpfung mit der Beitragserhöhung: "Genau dies haben führende Repräsentanten aus Sachsen-Anhalt zum Ausdruck gebracht, und genau so ist es in der ARD angekommen", sagte Wilhelm der SZ. "Das Fatale in der Sache ist, dass nach einer solchen Entscheidung die Deutungshoheit der Intendanten verloren geht, wenn die Reihenfolge nicht gewahrt bleibt", sagt auch der BR-Rundfunkratschef Lorenz Wolf. Eine Entscheidung zu einem anderen Zeitpunkt hätte diesen Konflikt vermieden, meint Wilhelm.

"Es handelt sich um ein zeitliches Zusammentreffen, kein kausal begründetes", sagt hingegen Robra. Der Auftrag für eine gemeinsame Kulturplattform sei bereits mit Inkrafttreten des Telemedienstaatsvertrags im Mai 2019 ergangen. Die interne Meinungsbildung in der ARD habe sich hingezogen und sei damit in eine unnötige zeitliche Nähe zur Beitragsfestsetzung geraten. "Ein Junktim hat es nie gegeben."

Auch Buhrow spricht von der Verwirklichung eines Vorhabens, mit dem man sich schon jahrelang beschäftige. Forderungen aus dem politischen Raum hätten die Beschlussfassung nicht erleichtert, sondern erschwert und verzögert. "Aber sie haben uns am Ende nicht davon abgehalten, das Richtige zu tun, nur weil jemand daraus falsche Zusammenhänge konstruieren könnte", sagt er. "Die Staatsferne und die Freiheit der unabhängigen Programmgestaltung sind für uns unverrückbar und unverhandelbar." Nur ein unglücklicher Zufall? "Das ist verfassungsrechtlich grenzwertig", sagt Dörr. Schon der Anschein staatlicher Einflussnahme müsse laut Bundesverfassungsgericht vermieden werden.

Noch zwei Hürden müssen genommen werden, damit die Beitragserhöhung im nächsten Jahr kommen kann. Die erste am 17. Juni, wenn die Ministerpräsidenten den neuen Staatsvertrag unterzeichnen; die zweite im Herbst, wenn er von den Parlamenten einstimmig ratifiziert werden muss. Dabei, sagt Robra, "kommt es ganz wesentlich auf die Einschätzung der für ein Ratifikationsgesetz zuständigen Landtagsabgeordneten an." Während die Koalitionspartner SPD und Grüne eine Erhöhung mittragen wollen, kündigte die CDU-Fraktion an, voraussichtlich nächste Woche über eine Stellungnahme für die Landesregierung im Plenum abstimmen zu wollen.

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