TV-Serien:Mehr Sonne

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Es könnte das Paradies auf Erden sein, wären da nur nicht die ganzen neurotischen Gäste: Armond (Murray Bartlett, ganz links), Hotelmanager des hawaiianischen Resorts The White Lotus, und sein Team. (Foto: HBO)

Warum wohl nehmen so viele Serien derzeit die Zuschauer mit in den Urlaub? Und warum passieren gerade dort so schlimme Sachen?

Von Susan Vahabzadeh

Die Erde dreht sich immer mit relativ gleichbleibender Geschwindigkeit, und wenn es ihren menschlichen Bewohnern manchmal so vorkommt, als habe sie einen Zahn zugelegt, dann liegt das nur daran, dass ihre Tage zu voll sind und ihre Nächte zu kurz, und nicht etwa an einer durch die Rotation verloren gegangenen Sekunde. Arbeitsverdichtung und Reizüberflutung fordern ihren Tribut. Deswegen gibt es so viele Wellness-Hotels und in den Städten schießen die Day-Spas aus dem Boden wie Pilze. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die Wellness auch die Bildschirme erobert.

Da ist beispielsweise Masha (Nicole Kidman), die in der Serie Nine Perfect Strangers neun hilfsbedürftige Gäste in einen modernen Glaspalast vor sanften, grünen Hügeln lädt, wo sie sie dann mit unerschütterlicher Miene therapiert. Zumindest die ersten zwei, drei Folgen lang sieht ihre Oase nach etwas aus, wo man auch gern hinführe: Es gilt striktes Handyverbot. Hier werden ganze Leben neu sortiert, zur Not mit Nutzung von Halluzinogenen. Je weiter die Serie fortschreitet, desto klarer wird, dass Mashas kleine Yogahölle nicht jedermanns Sache ist. Illegale Substanzen und Nahtoderfahrungen gefällig? Aber was soll's. Wenn man in der Wirklichkeit vor lauter Pandemie nirgends mehr hinkommt, sollte einen die Fiktion wenigstens an Orte transportieren, die es gar nicht gibt.

Das ist ja der Reiz vom Urlaub auf der Leinwand oder dem Bildschirm: dass er, aus den unterschiedlichsten Gründen nicht buchbar ist. Wer sich für Mashas Resort qualifiziert, entscheidet sie selbst - für die meisten Menschen wäre ein Aufenthalt eh zu teuer. Die neue Serie Acapulco auf Apple Plus spielt auch nicht auf der Erde, wie wir sie kennen: Das Resort, um das es da geht, kann es so gar nicht geben, und außerdem spielt die Serie im Jahr 1984. Dahin fehlen derzeit noch die möglichen Transportmittel.

Nicole Kidman als Wellness-Heilerin Masha in der ersten Staffel der Serie "Nine Perfect Strangers". (Foto: Vince Valitutti/ Hulu/Amazon)

Acapulco borgt sich den Dreh aus How I met your Mother: In einer Villa am Meer mit Butler und aus New York eingeflogenen Pizzen zaubert der Multimillionär Maximo allerhand Dinge aus einer Kiste, anhand derer er seinem kleinen Neffen erzählt, wie er 1984 als Poolboy im Resort Las Colinas einen Job bekam und sich unter den Reichen und Schönen nach oben diente, bis es für die Villa mit Butler gereicht hat. In Las Colinas steigen Popstars und Cary Grant ab, gelegentlich aber auch arme Schlucker, und die Terrasse mit dem Pool geht fließend in einen Sandstrand über, auf den leise die Wellen schlagen, ohne dass irgendwo ein einziger Hotelturm sichtbar wäre. Las Colinas ist ein Fabelwesen aus Stein, Sand und Seelen.

Herzallerliebst geht es im Resort zu, denn die durchweg mexikanischen Angestellten sind zwar vor Ort, um Karriere zu machen, haben aber dennoch allesamt Herzen aus Gold. Als Maximo merkt, dass ein junger Gast, dem er ein frei erfundenes Verlobungs-Triple-Platinum-Package für tausend Dollar angedreht hat, in Wirklichkeit das Geld für den Urlaub mit seiner Angebeteten schon zusammenkratzen musste, verzichtet er aufs Geld und gibt trotzdem sein Bestes, den Antrag zu etwas Besonderem zu machen - und natürlich machen dann letztlich die anderen mit.

Die bezauberndsten Orte machen nicht nur was her, sie sind ideal als Idyll des Schreckens

"Meine Mutter hatte Angst", sagt Maximo, der Multimillionär in der Rahmenhandlung, "Las Colinas würde mich verändern, aber vielleicht war es ja andersherum." Na ja. Auch in The Morning Show, der Mutter aller Apple-Serien, sind die Heldinnen und Helden am Ende die, die irgendwann auf Geld und Karriere pfeifen und das Richtige tun. Ob dieses Credo der Inhalte bei Apple jetzt unbedingt zum Mutterkonzern passt, lasse man einfach mal jedem Einzelnen zur Begutachtung anheimgestellt. Aber das Prinzip Urlaubs-Serie hat momentan jedenfalls Hochkonjunktur: In den vergangenen Wochen ging außer Acapulco und Nine Perfect Strangers (Amazon Prime) auch noch bei Sky die Serie The White Lotus an den Start, da wird die Klientel eines hawaiianischen Luxus-Resorts satirisch aufs Korn genommen.

Die bezauberndsten Orte der Welt suchen sich Film und Fernsehen nicht nur deswegen so gern aus, weil die Bilder mehr hermachen - klar, ein Luxusresort sieht einfach besser aus als eine schlecht geputzte Absteige. Die Perfektion des Hintergrunds hat aber auch eine dramaturgische Funktion - nur selten geht es dort so zuckersüß zu wie in Acapulco oder seinem nahen Verwandten, dem ZDF -Traumschiff. Meist lauert hinter dem Idyll der Schrecken, dessen hässliche Fratze so noch ein bisschen besser zur Geltung kommt. Das Luxusresort gibt aus denselben Gründen so einen guten Handlungsort ab, aus dem so viele Krimis seit Agatha Christie in hübschen englischen Dörfern spielen, die sich an grüne Hügellandschaften schmiegen. Der Schrecken kommt in in Nine Perfect Strangers und The White Lotus in sehr unterschiedlichem Gewand - bei Masha wird ein Gast beispielsweise in den Floating Tank gesperrt, in The White Lotus, heiterer im Ton, taucht die Schwiegermutter ungeladen bei der Hochzeitsreise auf.

Neu ist die Idee mit dem Hotel als Handlungsort eben nicht, in "Menschen im Hotel" verliebte sich 1931 Greta Garbo als nicht mehr taufrische Ballerina in einen Lebemann, der es auf ihre Perlenkette abgesehen hat, ganze Serien spielten auch früher schon in Resorts oder Hotels. Agatha Christie selbst hat beispielsweise Das Böse unter der Sonne in einem luxuriösen Hotel angesiedelt, und das ist immerhin ziemlich genau achtzig Jahre her. Hotels und Resorts geben hervorragende Kulissen für jede Geschichte ab: Man hat seine Figuren am selben Ort, keiner kann sich aus dem Weg gehen, und wo Menschen zusammengepfercht sind, wird garantiert irgendwas passieren. So funktionieren Airport und Dirty Dancing, und nicht einmal Scarlett Johansson und Bill Murray wären je ein seltsames Freundespaar geworden ohne das Hyatt in Tokio in Lost in Translation.

Es ist wieder zu etwas Besonderem geworden, weil den Malediven-Urlaub gibt's nie klimaneutral

Vor allem aber dient das verfilmte Resort unserer eigenen Erholung: Die Resorts haben ihren Marktwert als Handlungsort erhöht, weil es wieder zu etwas Besonderem geworden ist zu verreisen - solange wir selbst alle unterwegs waren, war höchstens noch die Kreuzfahrt spannend genug, Cluburlaub gab es auch in Wirklichkeit. Zur Pandemie kommt ja auch noch das Wissen, dass der Malediven-Urlaub nie klimaneutral zu haben sein wird.

Es reicht manchmal, in Gedanken woanders zu sein. Ein Film kann ein Day-Spa sein. Zu den besten Hotels der Welt, solchen, mit denen kein noch so großartiges, unbezahlbares irdisches Luxusresort mithalten kann, gehört jenes in der Kino-Verfilmung des bereits erwähnten Agatha-Christie-Krimis Das Böse unter der Sonne von 1980, mit Peter Ustinov als Hercule Poirot. Eine erfundene Adria-Monarchie, als Hotel fungiert ein ausrangierter Sommerpalast, den der König seiner Verflossenen geschenkt hat: ein winziges Inselchen, man kann es in einer halben Stunde zu Fuß umrunden, mit drei Buchten mit türkisfarben glitzerndem Wasser und einem Pinienwald, etwa ein Dutzend Gäste treffen sich zum Lunch auf der Terrasse und schlürft abends zu Cole-Porter-Musik gemeinsam Cocktails, während am Horizont die Sonne rot im Meer verschwindet. Was man dort sieht, ist in Wirklichkeit Mallorca, und da kann man natürlich hin, aber man wird diesen Sommerpalast nicht finden - er existiert nicht, er ist ein Stückwerk aus unterschiedlichen Orten und Gebäuden und Kulissen. Nicht mehr als ein bisschen Inspiration für Träume. Das Kino und das Fernsehen sind eben so eine Art Reisebüro der Fantasie.

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