Streaming:Einschaltquoten waren gestern

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Wem die Knastserie Orange Is the New Black gefällt, der mag auch Marvel's Jessica Jones. Oder die Sitcom Friends (von oben nach unten).

(Foto: JoJo Whilden, Myles Aronowitz/Netflix)

Wie Streamingdienste den Erfolg ihrer Filme oder Serien messen - und nach der Zeit und den Daten ihrer Kunden jagen.

Von Jürgen Schmieder

Wenn früher am Samstagabend in einem öffentlich-rechtlichen Sender die Eurovisionsfanfare gespielt wurde, dann versammelte sich die komplette Familie vor dem Fernseher. Der Kuli kommentierte bei Einer wird gewinnen die Kleiderwahl seiner Assistentin Gabi Kimpfel, der Tommy freute sich bei Wetten dass..? über Sängerinnen, die das hohe C der Körbchengrößen beherrschten. So was ging damals ohne Aufschrei, und es sahen alle zu, weil ja für jeden was dabei war, und das Format des so genannten "bunten Abends" war derart erfolgreich, dass jede inhaltliche Kritik mit dem Verweis auf die phänomenalen Einschaltquoten abgetan wurde.

Das Varieté-Fernsehen ist ein Relikt aus längst vergangener Zeit, auch in den USA, wo Dean Martin einst den angeschickerten Conférencier gegeben oder Ed Sullivan hoffnungsvolle Nachwuchstalente wie die Beatles oder Elvis Presley vorgestellt hat. Heute gucken die Leute, was sie wollen und wann sie wollen, die Inhalte sind so vielfältig wie nie zuvor, und Einschaltquoten interessieren gerade bei Pay-TV-Kanälen wie HBO und Showtime oder Streamingportalen wie Netflix, Hulu und Amazon Prime sowieso niemanden mehr. Was nach der digitalen Revolution der Unterhaltungsbranche zählt, das ist die Gesamtzahl der Abonnenten.

Allerdings: Ist es möglich, dass die Samstagabendshows von damals und die Streamingportale von heute recht ähnlich sind, zumindest, wenn es um die Bewertung von Erfolg geht? Es gibt ganz grundsätzliche Unterschiede, eklatante sogar, die so einen Vergleich zunächst einmal völlig absurd wirken lassen, und doch fallen bei näherem Hinsehen verblüffende Gemeinsamkeiten auf. Dann wird ersichtlich, warum die Portale in diesem Jahr mehrere Milliarden Dollar in eigene Inhalte investieren und warum die Konzerne Disney und Comcast so erbittert darum streiten, wer die Filetstücke von Rupert Murdochs Imperium 21st Century Fox für am Ende wohl deutlich mehr als 70 Milliarden Dollar kaufen darf.

Es habe schon Formate mit mehr als 40 Millionen Zuschauern gegeben, prahlt man bei Netflix

Netflix veröffentlicht wie alle anderen Portale keine Einschaltquoten einzelner Sendungen. Es gibt vielleicht mal den Hinweis, dass der spanische Thriller La casa de papel die meistgesehene nicht-englischsprachige Serie sei, oder es gibt eine vorsichtige Prahlerei von Programmchef Ted Sarandos, dass es schon Netflix-Formate mit mehr als 40 Millionen Zuschauern gegeben habe oder dass die Teenager-Romanze The Kissing Booth einer der weltweit erfolgreichste Filme sei. In der Firmenzentrale im kalifornischen Los Gatos wird präzise analysiert, wer wann wie lange welche Sendung guckt, wer wegen welcher Sendung ein Abo abschließt und wann ein Kunde kündigt. Anhand dieser Analysen wird dann das künftige Programm geplant.

Dieser Algorithmus lässt sich so erklären: Die mittlerweile 300 Millionen Netflix-Zuschauer (bei 125 Millionen Abos) sind in inzwischen mehr als 2000 "Taste Communities" unterteilt, die mit den herkömmlichen Unterteilungen nach Alter, Geschlecht oder Nationalität nichts mehr zu tun haben. Programmchef Sarandos sagt dazu: "Es ist doch möglich, dass ein 75-Jähriger in Dänemark eine Sendung ebenso toll findet wie meine Kinder im Teenager-Alter."Wie genau das funktioniert, lässt sich anhand der Serie The Defenders beschreiben, in der die Superhelden Jessica Jones, Luke Cage, Iron Fist und Daredevil (die jeweils eigene Serien auf Netflix haben) gemeinsam New York retten.

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