Süddeutsche Zeitung

Streaming:Alles im Griff

Vom Familiendrama zum Thriller: Die Serie "Keeping Faith" glänzt mit einer ungewöhnlichem Heldin auf der Suche nach ihrem verschwundenen Ehemann.

Von Laura Hertreiter

Evan Howells kommt nicht zurück. Bevor das Verschwinden des Anwalts seinen Schrecken entfaltet, bevor düstere Geheimnisse ans Licht kommen, bevor eine atemlose Suche beginnt, ist das erst einmal: nervig. Seine Frau Faith wartet mit zwei Kindern, einem sehr kleinen Baby, einer Kanzlei und einem ordentlichen Hangover vom Vorabend auf ihn. Vergeblich. Auch am nächsten Tag kommt er nicht wieder. Also Brei abwischen, rein in den Blazer und ab ins Büro, eine muss es ja machen.

Beim britischen Publikum hat die walisische Serie Keeping Faith Rekorde gebrochen, wurde zur erfolgreichsten Produktion auf BBC Wales seit einem Vierteljahrhundert und hatte auch im Hauptprogramm bei BBC One Erfolgsquoten. Im vergangenen Oktober wurde bereits eine zweite Staffel angekündigt. Die Faszination liegt nicht nur darin, dass Autor Matthew Hall den Fall einer verschwundenen Person besonders klug und spannend erzählt. Sie beruht vor allem auf der ungewöhnlichen Heldin, von Eve Myles so großartig gespielt, dass man ihr applaudieren möchte.

Warnhinweis vorweg: Der Mann muss weg, schon in Folge eins. Nicht nur, damit die Geschichte in Fahrt kommt, sondern auch, weil seine Frau bis dahin als schwer erträgliche amerikanische Klischeehausfrau erzählt ist, die mit engen Kleidern und wackeligen High Heels kämpft.

Dann aber macht sich die lebenslustige, manchmal störrische Faith Howells mit Sommersprossen und Friesennerz auf die Suche nach ihrem Evan (Bradley Freegard - die beiden sind auch im echten Leben ein Paar). Denn mit jedem Tag, den er verschwunden bleibt, wächst die Unruhe. Steckt er in einer Midlife-Crisis? Hat er eine Affäre? Was wie ein betuliches Familiendrama beginnt, wird zum Thriller, auf der Suche nach der Wahrheit tun sich von Episode zu Episode neue Abgründe auf. Niemand in der windigen Küstenkleinstadt bleibt der, für den Faith Evans ihn gehalten hat, selbst der Pfarrer will sich von schroffen walisischen Klippen stürzen.

Zwischen Gutenachtgeschichten für die Kinder und Gerichtsterminen für die Kanzlei wird Faith Evans zur rastlosen Detektivin, sie durchwühlt ihr Zuhause, kreuzverhört Familie und Freunde, verbündet sich mit zwielichtigen Bekannten und erfährt so vom Doppelleben ihres Ehemanns. Vom Bankrott der gemeinsamen Anwaltskanzlei. Von kriminellen Machenschaften in ihrem Heimatort. Und schließlich gerät sie selbst unter Verdacht.

Hin und wieder, ja, da verzweifelt auch Faith Evans. Dann flucht oder fleht sie auf die Mailbox ihres Ehemanns. Und wenn gerade kein Telefon zur Hand ist, und keine Weinflasche, streckt sie sich einfach auf dem Boden aus, Kameraaufnahmen von oben, diese Frau ist ein Fixpunkt. Dann rappelt sie sich auf und macht weiter. Eine muss ja.

Keeping Faith, bei Sky Ticket und MagentaTV (sechs Folgen).

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4454394
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.05.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.