Straßburger Urteil zur Pressefreiheit:Schröder muss es aushalten

Ex-Kanzler Schröder in russische Wissenschafts-Akademie aufgenommen

2005 spekulierte Bild über Gründe für den Wechsel des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröders zur "Nordeuropäischen Gaspipeline".

(Foto: dpa)

Axel Springer gewinnt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: Der Verlag darf den Gazprom-Job von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder mit den Neuwahlen des Bundestages 2005 in Verbindung bringen.

Von Wolfgang Janisch

Vor gut zehn Jahren rügte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte deutsche Gerichte im Caroline-Urteil für zu viel Pressefreiheit bei der Promi-Berichterstattung. Diesmal ist es andersherum. Der Straßburger Gerichtshof beanstandet, bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht sei die Medienfreiheit der Menschenrechtskonvention verletzt worden. Ausgerechnet in einem hochpolitischen Fall.

Es geht um den Berufswechsel von Gerhard Schröder 2005: Am 11. April wurde der Vertrag über den von Schröder als Bundeskanzler geförderten Bau der "Ostsee-Pipeline" unterzeichnet. Im Mai kündigte Schröder vorzeitige Neuwahlen an, im September verlor er die Wahl. Am 9. Dezember schließlich wurde offiziell bestätigt, Schröder übernehme den Vorsitz der "Nordeuropäischen Gaspipeline" - eines Konsortiums der russischen Gazprom.

Ehrenrühriger Verdacht

"Was verdient er wirklich beim Gas-Pipeline-Projekt?", titelte Bild am 12. Dezember - und ließ auch den FDP-Fraktionsvize Carl-Ludwig Thiele zu Wort kommen. Ob schon im April, sechs Wochen vor der Ankündigung von Neuwahlen, über sein Gazprom-Engagement gesprochen worden sei, fragte das Blatt. Thiele: "Diese Frage muss man stellen!" Thiele hege einen ungeheuerlichen Verdacht, so Bild weiter: "Wollte Schröder sein Amt loswerden, weil ihm lukrative Jobs zugesagt waren? Hatte er persönliche Motive, als er in politisch aussichtsloser Lage Neuwahlen herbeiführte?"

Land- und Oberlandesgericht Hamburgsahen in diesen Fragen einen ehrenrührigen und nicht durch Fakten gedeckten Verdacht; sowohl Bundesgerichtshof als auch Verfassungsgericht bestätigten das Urteil. Der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof dagegen, vor dem Springer gegen die Bundesrepublik klagte, sieht die Pressefreiheit verletzt - mit der naheliegenden Begründung, dass ein Kanzler mehr aushalten muss als ein Privatmensch.

Das Gericht weist auf die Rolle der Presse als watchdog hin. Dazu gehöre die Verbreitung von Informationen über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse. Der Zeitung könne nicht abverlangt werden, jeden Politiker-Kommentar systematisch auf dessen Substanz zu untersuchen. Eine solche Verpflichtung würde die Rolle der Presse in der öffentlichen Debatte ernstlich behindern.

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