Strache-Video:Und was geht das jetzt "die deutsche Presse" an?

Austrian Vice Chancellor Heinz-Christian Strache addresses the media in Vienna

Vizekanzler Heinz-Christian Strache gibt gegenüber der "vierten Gewalt" seinen Rücktritt als Vizekanzler, Minister und FPÖ-Chef bekannt.

(Foto: REUTERS)

Wenn Journalisten Informationen bekommen, von denen sie nicht wissen, woher und warum, ist entscheidend, ob der Inhalt relevant ist. Ist das der Fall, dann gehören sie an die Öffentlichkeit.

Kommentar von Kurt Kister

Wenn man manche Ausschnitte aus dem Video sieht, das den Sturz der Regierung in Wien herbeigeführt hat, denkt man sich: Das kann nicht sein, das ist eine böse Satire mit guten Schauspielern. Leider waren es keine Schauspieler, sondern zwei Spitzenpolitiker aus dem derzeit eher unglücklichen Österreich, von denen der eine bis Samstag Vizekanzler, der andere Fraktionsvorsitzender im Wiener Parlament war. Die beiden sind eine Schande für ihr Land. Ob sie auch eine Schande für ihre Partei sind, weiß man nicht so genau, weil sie wohl in vielerlei Hinsicht das repräsentiert haben, was die FPÖ wirklich ist.

Und was geht das nun "die deutsche Presse" an? Warum veröffentlichen Süddeutsche Zeitung und Spiegel dieses Zeug, das vor nicht ganz zwei Jahren von Leuten aufgenommen wurde, die bestimmt selbst auch nichts Gutes im Schilde führten? Und warum geschah dies jetzt, eine Woche vor der Europawahl?

Die grundsätzliche Antwort lautet: Zwar sind die Medien keineswegs die "vierte Gewalt" im Staate neben Gesetzgebung, Rechtsprechung und Exekutive. Dennoch haben die Medien in der Demokratie eine Kontrollfunktion - zumindest jene Zeitungen und Zeitschriften, Netzportale, Radio- und Fernsehsender, die bereit sind, diese Funktion auch auszuüben. Gerade SZ und Spiegel haben dies immer wieder getan; das reicht von der Spiegel-Affäre über die Parteispendenskandale bis hin zu Panama und Paradise Papers.

Der Demokratie und der freiheitlichen Gesellschaft verpflichtet

Wir, und hier sei dieses Personalpronomen bewusst benutzt, fühlen uns der Demokratie und der freiheitlichen Gesellschaft verpflichtet. Und wir wollen keinen Staat, in dem Politiker wie Heinz-Christian Strache oder Viktor Orbán sich der lästigen Kontrolle entledigen, indem sie Journalismus und Pressefreiheit erledigen.

Es kommt vor, dass Reporterinnen und Rechercheure Texte, Bilder, Daten, Videos erhalten, die unter zweifelhaften Umständen entstanden oder vielleicht sogar entwendet worden sind. Das Ibiza-Video ist so ein Fall.

Wäre das Video 2017 bekannt gewesen, hätte es diese Koalition nicht gegeben

Strache und Johann Gudenus wurden hereingelegt. Man kann dies eine Falle nennen. Allerdings ist es keine Falle, in die viele andere Politiker auch tappen würden. Das FPÖ-Duo wurde nicht gefangen und zu etwas gezwungen. Die beiden haben sich freiwillig und gerne entblößt, ohne freilich damit zu rechnen, dass ihr wahres Wesen öffentlich werden könnte.

Auf dem Videomaterial gibt es viele entlarvende, manche eklige und etliche fast Mitleid erregende Sequenzen. Die meisten davon sind privater Natur, sie sollen das auch bleiben. Einige allerdings sind politisch so relevant, dass sie nicht vertraulich bleiben dürfen: Straches Tauschangebot Wahlkampfhilfe gegen Staatsaufträge etwa oder seine Allmachtpläne zur Veränderung der Medienlandschaft in Österreich.

Kaum ein Informant kommt ohne eigene Absichten

Hier setzt die Aufgabe des Journalismus ein. Das Material, die Umstände seiner Entstehung, die Echtheit des Gezeigten müssen akribisch geprüft werden. Und es gilt vor allem, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen, das politisch oder wirtschaftlich Relevante gegenüber dem die voyeuristischen Triebe Befriedigendem herauszuarbeiten. Dafür sind journalistische Profis nötig.

Manchmal weiß man nicht, warum jemand Material übergibt oder wie es entstanden ist. Kaum ein Informant kommt ohne eigene Absichten. Auch dies gilt es zu bedenken: Wiegt das Eigeninteresse eines Informanten schwerer als die Bedeutung der Informationen? Auch deswegen greift die SZ viele Fälle gar nicht erst auf. Im Ibiza-Fall kennen einige wenige zwar den oder die Informanten. Wer das Ganze aber organisiert hat, weiß man nicht.

Allerdings laufen auch die vielen Verschwörungstheorien ins Leere: Wenn jemand mit dem Ibiza-Video österreichische Wahlen oder Politik hätte beeinflussen wollen, dann wäre der richtige Zeitpunkt, es zu "leaken", der September 2017 gewesen, weil Mitte Oktober 2017 jene Wahlen stattfanden, als deren Folge die ÖVP-FPÖ-Koalition entstand. Wäre das Video damals bekannt gewesen, hätte es diese Koalition gar nicht erst gegeben.

Stattdessen wurde SZ und Spiegel das Material erst jetzt zugespielt. Hätten wir die nötigen Prüfungen nicht abschließen können, wäre es auch nicht vor der Wahl in Europa veröffentlicht worden. Ohnehin ist der politische Effekt dieser Geschichte außerhalb Österreichs eher gering. Kaum ein Salvini-Anhänger in Italien oder ein AfD-Adept in Deutschland wird wegen Straches Wodka-Tiraden anders wählen.

Aber vielleicht halten, und sei es nur in Österreich, mehr Menschen inne, denen der Krawall in Politik und Netz, das Herabwürdigen anderer und das narzisstische Auftrumpfen zu viel wird. Das geht nicht nur die deutsche Presse, sondern alle an.

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Regierungskrise in Österreich - Strache tritt zurück

Leserdiskussion
:Ihre Meinung zum Fall Strache

Heinz-Christian Strache, FPÖ-Politiker und Vizekanzler, traf sich im Juli 2017 auf Ibiza mit einer angeblichen russischen Multimillionärin. Sie bot Wahlkampfhilfe, er staatliche Aufträge. Was er nicht wusste: Er wurde reingelegt - und mit versteckter Kamera gefilmt. Jetzt trat er von all seinen Ämtern zurück.

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