Stern-Preis:ARD-Doku über queere Kirchenmitarbeiter ist "Geschichte des Jahres"

Stern-Preis: Das Magazin "Stern" ehrt herausragende publizistische Leistungen, unabhängige Jurymitglieder entscheiden über die Vergabe in sechs Kategorien.

Das Magazin "Stern" ehrt herausragende publizistische Leistungen, unabhängige Jurymitglieder entscheiden über die Vergabe in sechs Kategorien.

(Foto: Christian Charisius/dpa)

"Wie Gott uns schuf" räumt den begehrten Journalistenpreis ab, auch fünf weitere Beiträge werden ausgezeichnet. Über die 700 gestrichenen Stellen bei Gruner + Jahr hört man bei der Verleihung in Hamburg kein Wort.

Von Nadja Tausche, Hamburg

Er gilt als einer der begehrtesten Preise im Journalismus: Der Stern-Preis, zuvor viele Jahre lang bekannt unter dem Namen Nannen-Preis. Verliehen wurde er am Mittwoch in Hamburg - und machte seinem Namen alle Ehre: Die Preisträgerinnen und -träger bekamen einen weißen Block mit einem ausgestanzten Stern überreicht - groß wie ein Notizblock und so schwer, dass man ihn wohl lieber mit beiden Händen hielt. Nominiert waren in diesem Jahr mehrere Geschichten über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, aber auch viele Beiträge zum Thema nicht-heterosexuelle Lebensentwürfe finden sich unter den Nominierungen - und unter den Siegerbeiträgen.

In der "Königskategorie", wie Moderatorin Mareile Höppner (RTL) die Rubrik "Geschichte des Jahres" nannte, gewinnt die Dokumentation "Wie Gott uns schuf" (Das Erste). In dem Film wagen queere Mitarbeitende der Katholischen Kirche ihr Coming Out. Der Film zeige, wann das Persönliche politisch werde, betonte die Jury. Zehn Jahre hat Hajo Seppelt dafür recherchiert, auch die Mitautorinnen und Autoren Katharina Kühn, Marc Rosenthal, und Peter Wozny dürften einiges an Arbeit in den Film gesteckt haben: 100 Menschen haben sie für die Dokumentation interviewt.

Den begehrten Egon Erwin Kisch-Preis, der die beste Reportage kürt, gewinnt Rudolf Novotny mit seiner Geschichte "Ich will eine normale Frau sein. Einfach so" (Zeit Magazin). Sieben Jahre lang hat Novotny ein Mädchen begleitet, das im Körper eines Jungen geboren wurde. "Dem Autoren gelingt dabei ein besonderes Reporterkunststück: Er verschwindet", sagte Jury-Mitglied Luise Strothmann. Zehn Notizbücher habe er vollgeschrieben, erzählt Novotny in einer kurzen Ansprache. Und tatsächlich sei er etwa bei Geburtstagen der Protagonistin irgendwann nicht mehr großartig beachtet worden: So sehr sei er Teil ihres Lebens geworden.

Für ihre Fotogeschichte gewinnt Nanna Heitmann bereits ihren 26. Preis in acht Jahren

Die preisgekrönte Recherche in der Rubrik Investigation lasse sich mit einem Wort zusammenfassen, sagte Jury-Mitglied Anette Dowideit: Massagesitz. "Es war dieses Detail, das die Öffentlichkeit besonders triggerte": und zwar in der sogenannten RBB-Affäre rund um die ehemalige Intendantin Patricia Schlesinger. Durch den Text von Jan C. Wehmeyer (Business Insider) habe man einen einzigartigen Einblick bekommen. In der Rubrik Lokales gewinnen die Recherchen von Joachim Frank zum Missbrauchs­­skandal rund um Kardinal Woelki: Im Kölner Stadtanzeiger zeigte Frank auf, wie der Kölner Erzbischof mit Fällen sexueller Ausbeutung in der katholischen Kirche umgegangen war.

Den Preis in der Sonderkategorie "Republik", in der "besondere Verdienste an der Republik" geehrt werden, räumen Oliver Hollenstein und Oliver Schröm für ihre Recherchen zum Cum-Ex-Steuerskandal ab. Eine stolze Bilanz kann die Preisträgerin in der Rubrik "Fotogeschichte des Jahres" vorweisen: 25 Preise hat Nanna Heitmann (Zeit) in acht Jahren gewonnen, der Stern-Preis ist Nummer 26. Heitmann lebt und fotografiert in Russland. Wie es sei, in Russland journalistisch zu arbeiten? "Es hat sich schlagartig geändert in den letzten drei Wochen", sagte Heitmann: Vor etwas mehr als drei Wochen, am 30. März, wurde der US-Journalist Evan Gershkovich wegen Verdachts auf Spionage festgenommen.

Stern-Preis: Nanna Heitmann lebt und fotografiert in Russland. Das sei alles andere als einfach, sagt sie bei der Verleihung des "Stern-Preises".

Nanna Heitmann lebt und fotografiert in Russland. Das sei alles andere als einfach, sagt sie bei der Verleihung des "Stern-Preises".

(Foto: Christian Charisius/dpa)

Kein Wort von den 700 gestrichenen Stellen

Um den Namen des Preises hatte es zuletzt Diskussionen gegeben. Eigentlich ist der Preis nach dem Verleger und Stern-Gründer Henri Nannen benannt. Wegen dessen NS-Vergangenheit hatte sich der Stern vergangenes Jahr aber von Nannen distanziert und entschieden, den Preis umzubenennen. Aktuell untersucht eine Forschergruppe am Institut für Zeitgeschichte in München Nannens Vergangenheit - bis Ergebnisse vorliegen, wolle man erstmal nicht zum Namen "Nannen-Preis" zurückkehren. Das erklärten die Moderatoren Höppner und Gregor Peter Schmitz (Stern) gleich zu Beginn der Veranstaltung.

Kein Thema dagegen: Die 700 Stellen, die beim Verlag Gruner + Jahr gestrichen werden sollen. Nach der Zusammenlegung von RTL und dem Traditionsverlag war im Februar bekannt geworden, dass Bertelsmann gleich mehrere Zeitschriften des Traditionsverlags einstellen will. Dass man das unerfreuliche Thema bei der Veranstaltung lieber aussparen würde, war allerdings zu erwarten gewesen. Witze machten die beiden Moderatoren über die Temperatur in der durchaus zapfigen Gleishalle neben dem Restaurant Hobenköök: 15 Grad sei "die Zahl des Abends", sagte Moderatorin Mareile Höppner (RTL).

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