ARD:"Ein bisschen freisprechen"

ARD: Für die Dokumentation "Der Hitler-Fake" konnten die gefälschten Tagebücher des Führers beim "Stern" eingesehen werden.

Für die Dokumentation "Der Hitler-Fake" konnten die gefälschten Tagebücher des Führers beim "Stern" eingesehen werden.

(Foto: Boris Mahlau/SWR)

Eine ARD-Doku rollt noch einmal die Geschichte der gefälschten Hitler-Tagebücher des "Stern" auf.

Von Peter Laudenbach

Gerd Heidemann, der Stern-Reporter, der vor 40 Jahren durch die Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher berühmt-berüchtigt geworden ist, ist immer noch auf Recherche. In seinem Keller hortet er in langen Regalreihen seine Akten und obskuren Fundstücke. Sein Archiv reicht weit zurück, es beginnt vor 1,4 Milliarden Jahren mit dem Urknall. Andere Aktenordner gelten Hannibal, Cäsar, Nero oder Preußen und Friedrich dem Großen. Wahrscheinlich hängt in Heidemanns Welt irgendwie alles mit allem zusammen, da fängt man bei einer Recherche über die Verbrechen des Nationalsozialismus am besten mit der Entstehung der Erde an. Eine dreiteilige SWR-Dokumentation über die Geschichte der gefälschten Hitler-Tagebücher (Der Hitler-Fake), folgt dem heute 91-jährigen Heidemann in sein Archiv und lässt ihn noch einmal die Geschichte seiner journalistischen Blamage nacherzählen - erstaunlicherweise ohne sich an Heidemanns Verschrobenheiten zu stören.

Weil Heidemann alles aufgehoben hat, auch die Tonbandaufzeichnungen seiner Telefonate mit dem Fälscher Kujau und einstigen SS-Größen, kann Christian Bock, der Autor der Dokumentation, einige dieser Aufnahmen der Gespräche zwischen Heidemann und seinem Fälschungslieferanten "Conny" verwenden. Damit nimmt der Film eine ähnliche Schlüssellochperspektive ein wie einst der Stern mit seinem Versuch, dem "Führer" durch seine Tagebücher menschlich näher zu kommen. In einem besonders bizarren Telefonat will Kujau seinem treuen Kunden vom Stern gar die echte Asche der verbrannten Leichen von Hitler und Eva Braun andrehen.

Dass Kujau enge Verbindungen ins Stuttgarter Neonazi-Milieu hatte, interessiert die Filmautoren nicht weiter

Eines der Heidemann-Telefonate mit einem nicht namentlich genannten einstigen SS-Mann ist gespenstisch: "Das wäre natürlich gut, wenn man beweisen könnte, dass nur Himmler schuld war", freut sich der Altnazi. Gemeint ist: Schuld am Völkermord an den europäischen Juden. Damit beschreibt der SS-Mann exakt die mögliche Wirkung der Stern-Veröffentlichung: "Weil wir dann das deutsche Volk ein bisschen freisprechen. Wenn der Führer es nicht wusste, wie sollte es dann der kleine Mann auf der Straße wissen." Bleibt die Frage, weshalb Heidemann und den Stern-Mächtigen bei dieser absehbaren Entlastungsfunktion, dem im Fake-Tagebuch unternommenen Versuch des Geschichtsrevisionismus und der Hitler-Weichzeichnung, keine Skrupel kamen.

Dass man heute weiß, dass Kujau enge Verbindungen ins harte Stuttgarter Neonazi-Milieu hatte, interessiert die Filmautoren nicht weiter. Stattdessen erzählt der Wirt von Kujaus Stammkneipe, was für ein lustiges Kerlchen der Conny war. So bleibt der Film an der Oberfläche. Da ist Archivmaterial etwas hilflos aneinandergeschnitten, etwa die zigmal gezeigten Aufnahmen Hitlers im Privatdomizil auf dem Obersalzberg, "Hitler hautnah". Auch sonst kennt der Autor des Films wenig Scheu vor abgegriffenen Sprach-Klischees - "permanent rauscht der Blätterwald", wenn im Stern wieder mal "große Storys und heiße Geschichten" erscheinen. Nebenbei erfährt man, dass der Handel mit Nazi-Devotionalien weiter boomt: Ein echtes Gemälde aus Hitlers Frühwerk bringt heute etwa 20 000 Euro, eine Kujau-Fälschung immerhin noch ein paar Tausend Euro: Hitler sells, sogar als Fake.

Die gefälschten Hitler-Tagebücher werden im Laufe dieses Jahres übrigens zugänglich gemacht. Der Bertelsmann-Konzern will sie an das Bundesarchiv übergeben.

Der Hitler-Fake, 24. April, 22.50Uhr, in der ARD.

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