"Stern"-Fotograf Volker Hinz geht in den Ruhestand:"Was ich mache, ist auch kein Beruf"

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Er ist einer der besten Fotografen und Gesellschaftsbeobachter Deutschlands. Er sammelte Blicke der alten Bundesrepublik wie kein anderer und war dabei nie despektierlich, hämisch oder denunziatorisch. Nun geht Volker Hinz in den Ruhestand. Dem Werk des Besessenen sind gerade ein neues Buch und eine große Ausstellung in Hamburg gewidmet.

Bernd Graff

Natürlich sind Fotografen Augentiere. Erst ist es der Blick, dann die Kamera, die das Erblickte einfängt. Bei guten Fotografen ist der zeitliche Abstand zwischen Blicken und Fotografieren sehr gering. Der erlebte Moment und der eingefangene Moment nähern sich so sehr an, dass man sie für identisch halten möchte. Natürlich sind sie das nie. Aber gute Fotografen handhaben ihr Instrument, die Kamera, fast wie ein Stück von sich. Belichtung, Blende, Scharfstellen, Abdrücken - bei guten Fotografen sind sie eine fließende Bewegung. Volker Hinz ist ein guter Fotograf. Und weil er seine Augenblicke mit Konzentration und Bedacht wählt, ist er ein sehr guter Fotograf.

Fotograf Volker Hinz bei seiner Ausstellung "Stars im Stern - Volker Hinz" im Gruner + Jahr Pressehaus in Hamburg. Im Hintergrund eines seiner bekannten Fotos, das Franz Beckenbauer und Pelé zeigt. (Foto: dpa)

Hinz, Jahrgang 1947, ist einer jener gebürtigen Hamburger, die man schalkhaft nennen möchte. Er besitzt eine große Portion eines norddeutsch-klugen Mutterwitzes, der hellwach ist, schnell erfasst und bei ihm eben "hinzig" ist, um auf die Welt zu reagieren. Hinzig ist mehr als professionell fotografisch. Denn Hinz ist noch ein ganz anderes Augentier. Er sammelt Blicke.

Würde man das Metier des Fotografen nach seinen Charakteristika abstecken, dann gäbe es Dokumentaristen, Aktionisten, auch Krawallfänger vielleicht. Volker Hinz ist all das nicht. Er ist Gesellschaftsbeobachter und seine Profession ist es, in den Blicken der fotografierten Personen den Moment zu bannen, in dem sie sich befinden. Hinz, der seit 1974 als festangestellter Fotograf für den Stern arbeitet, ist der letzte seiner Art. Er kann, wenn er nun Ende Juli dieses Jahres in den Ruhestand geht, auf eine unvergleichliche Karriere zurückblicken.

Hinz hat vor allem die Blicke der alten Bundesrepublik gesammelt. Er war dabei, als die Mächtigen, die Schönen, die vermeintlich Wichtigen der westlichen Welt stiegen und stürzten. Er hat die Schwarz-Weiß-Fotografie prägnant eingesetzt und in einer Blüte gehalten, die sich hinter dem Boom der Farbfotografie nicht verstecken muss.

Hinz hat den 1974 gerade wegen der Guillaume-Affäre zurückgetretenen, schwer um Fassung ringenden Willy Brandt fotografiert. Er hat den feixenden, den nachdenklichen, den ins Gespräch mit seiner Frau vertieften, den neben seinem Vater lachenden und natürlich den rauchenden Helmut Schmidt - eines seiner Lieblingsmotive - fotografiert.

Teilnehmend und menschlich

Dazu die Stars und Sternchen des internationalen Showbiz - immer als Blickeporträts. Sie schauen in ihrer jeweiligen Situation erkennbar teilnehmend und menschlich. Muhammad Ali etwa, den Hinz 1984 tagelang vor einem Kampf begleitete, ist von ihm mehrfach während eines Trainings fotografiert worden. Auf einem schaut er verschwitzt aggressiv, auf einem anderen, das unmittelbar darauf entstand, sanft und erschöpft. Hinz sagt, das zweite sei das bessere Foto.

So ist Hinz. Er verachtet die Pose, seine Bilder zeigen die Menschen nie plakativ oder gekünstelt. Nie als die "Tierquälerei" (Hinz) einer Verrenkung auf dem Roten Teppich. Darauf legt einer wie er allergrößten Wert. Blicke zu fangen, keine Phrasen und Stanzen, das ist sein Ethos. Dass ihm das möglich war und ist, liegt einerseits an seiner privilegierten Stellung, über Jahrzehnte hinweg für eines der wichtigsten Magazine des Landes arbeiten zu können.

Es liegt an Volker Hinz selber, aus dieser Sonderstellung etwas Prägnantes zu machen. Bei ihm sind selbst urkomische Porträts wie das des wahlkämpfenden Helmut Kohl aus dem Jahr 1976, den Hinz zwischen zwei gigantischen Pferdehintern gefunden hat, nie despektierlich, nie hämisch, nie denunziatorisch. Kohl zwischen Hintern - das ist komisch und anrührend, aber so, dass man fast Mitleid mit dem Porträtierten haben möchte.

Keiner, der erwischt

Genau wie mit dem fast ängstlich-heiter durch einen Spalt lugenden Yves Saint Laurent, der sich flach auf den Boden legen musste, um die Publikums-Reaktion auf sein Defilee verfolgen zu können.

Hinz' Werk sind gerade ein neues Buch und eine große Ausstellung im Hamburger Gruner + Jahr Pressehaus gewidmet. Für die Schau Stars im Stern - Volker Hinz hat man die Fassade des Pressehauses mit dem "aggressiven Ali" überspannt. Die Schau betont die Subjektivität seiner Fotografie. Hinz nennt einige seine Bilder "Stolen Moments", manche bezeichnet er auch als "böse".

Das stimmt natürlich überhaupt nicht. Dazu ist Hinz viel zu höflich. Er stiehlt nicht, er deformiert nicht. Er ist kein Paparazzo. Keiner, der erwischt. Hinz bildet ab. Und wenn das Motiv vor seiner mit dem Biogon-Weitwinkelobjektiv bestückten Hasselblad unsympathisch ist, hässlich oder mitleiderweckend, dann kann man bestimmt nicht Hinz vorwerfen, dass es so ist, nur weil er die Raffinesse des Augenblicks erkennt und professionell zur Stelle ist.

Ein fotografischer Mathematiker

Denn, das fällt sofort auf, wenn man seine Bilder durchstöbert, seine Fotos sind fast alle mindestens "doppelblickig": Entweder traktieren die Abgebildeten gerade ihre Brille oder ihre Blicke doppeln sich in Spiegeln oder aber - wie auf dem Dreifach-Porträt von Kate Moss, Christy Turlington, und Linda Evangelista, das die Supermodels mit goldenen Füßen vor dem Catwalk zeigt - ihre Blicklinien bilden die Sehstrahlen des Augpunkts in der zentralperspektivischen Malerei nach.

Und selbst ein Rückenporträt wie das von William S. Burroughs, das den Schriftsteller mit mächtiger Pistole zeigt, dokumentiert eine perfekte Bild-Diagonale aus Waffe, Arm und einem Stromkabel, dem der Dichterblick im 90-Grad-Winkel davonläuft.

Und wie spricht Volker Hinz über dieses Foto? So: "Ich habe einen Rotfilter benutzt, um den Himmel dunkler zu bekommen, einen Blitz, um sein Hemd aufzuhellen. Und am besten gefällt mir, dass das Hasselblad-Objektiv auch noch die Waffe so scharf abbildet." So ist Volker Hinz, ein stoischer Beobachter, ein fotografischer Mathematiker, der Kunst schafft.

"Die Welt", sagt er, "ist durchfotografiert. Man muss nichts mehr zeigen und kann gegen die überall entstehenden Bilder nichts ausrichten. Gegen die Verflachung der Wirklichkeit, die damit einhergeht, arbeite ich an, ebenso wie der Stern. Ich weiß, wie privilegiert ich bin und bin dankbar, das tun zu dürfen. Aber was ich mache, ist auch kein Beruf. Man muss schon besessen sein von dem, was man tut. Ich bin es." So ist Volker Hinz. Einer der besten, der besonderen Fotografen Deutschlands.

© SZ vom 11.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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