Hörspiel "Stern 111":Was für ein Hörspiel

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(Foto: Stefan Dimitrov (Illustration))

Heike Tauch inszeniert Lutz Seilers Bestseller-Roman "Stern 111" für den RBB.

Von Stefan Fischer

Ein wildes Rudel hat sich eingefunden in den verlassenen Ostberliner Häusern im Herbst 1989. Sogar eine Ziege gehört dazu, Dodo. Sie liefert Milch, die sparsam in Wodka geträufelt den Drink der Stunde ergibt, oder einen selbstgemachten Käse. Ist ja alles selbstgemacht hier. Carl Bischoff, der Maurer aus Gera, ist da ein willkommener Nachzügler. Weil er anpacken kann. Willkommen im Rudel.

Lutz Seiler erzählt diese Geschichte in seinem Roman "Stern 111". Sie beginnt kurios, indem Carl, Mitte zwanzig, von seinen Eltern einbestellt wird, die ihm mitteilen, dass sie ihm ihr Haus und das Auto und überhaupt alles überschrieben haben. Weil sie in den Westen gehen, zwei Tage nach der Maueröffnung - sie glauben, dass die Mauer bald wieder geschlossen wird. Carl solle, so drücken es die Eltern aus, als Nachhut zurückbleiben.

Doch auch der Sohn bricht auf, wie die Eltern ohne feste Bleibe und klaren Plan, im Shiguli der Familie, einem russischen Kleinwagen. Aber eben nicht in den Westen, sondern nach Berlin, wo er schnell Teil der Hausbesetzerszene im Prenzlauer Berg wird. Shigulimann nennen sie ihn dort. Als das Geld knapp wird, fährt er illegal Taxi. Für ihn wie für den Rest des Rudels beginnt eine Phase der Anarchie - klar, innerhalb der Gruppe gibt es Regeln, über die natürlich immer wieder gestritten wird. Aber eine Weile lang funktioniert es ganz gut, sich dem verwehenden Sozialismus und dem hereindrängenden Kapitalismus gleichermaßen zu entziehen. Und den Nabel der Welt in die selbstverwaltete Kellerkneipe "Assel" zu verlegen.

Ein Wenderoman, ein Abenteuerroman, ein Künstlerroman; Carl ist auch Dichter, mit kleinen Anfangserfolgen immerhin. Die Fragen stellen sich natürlich, ob es einer Hörspielfassung dieses literarischen Bestsellers bedarf - und zwar aus künstlerischen Gründen und nicht bloß wegen der aufmerksamkeitsökonomisch lohnenden Trittbrettfahrerei. Warum dem Radio keine eigenen Geschichten einfallen.

Die Regisseurin Heike Tauch findet darauf, gemeinsam mit dem Musiker Janko Hanushevsky, eine überzeugende Antwort. Sie erzählt in ihren drei Hörspielteilen die Romanhandlung nicht einfach nach - mit tollen Schauspielern im Übrigen: Sandra Hüller spricht die Erzählerin, André Kaczmarczyk die Hauptfigur Carl, außerdem sind unter anderem Boris Aljinovic, Felix Goeser und Tanja Schleiff zu hören. Sondern verbindet Alltagsgeräusche mit sanftem Industrial-Sound zu einer atmosphärisch stimmigen Komposition. Auch der Raumklang ist präzise arrangiert. Auf diese Weise findet Tauch im Hörspiel einen ganz eigenen, spezifischen Ausdruck für die Tonalität aus Lakonie und Dringlichkeit, die dieser Geschichte eingeschrieben ist. Und stellt deren Sinnlichkeit ins Zentrum.

Stern 111, RBB Kultur, 20. Januar 2023, 19 Uhr. Weitere Teile am 27. Januar und 3. Februar. Komplett von 20. Januar an in der ARD Audiothek.

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