Vor ein paar Wochen war der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust mit dem Zug von Hamburg nach Berlin unterwegs. Gemeinsam mit seiner Frau und dem Journalisten Claus Strunz war er auf dem Weg zur Bambi-Verleihung, der jährlichen Roten-Teppich-Sause des Münchner Hubert-Burda-Verlags, wo am Abend dann Massenunterhalter wie Miley Cyrus oder Andrea Berg mit goldenen Rehböcken geehrt wurden. Das, sagte Stefan Aust an diesem Novembertag im Zug, das müsse man mal erlebt haben.
Stefan Aust, 67, mag den öffentlichen Auftritt, auf Veranstaltungen ebenso wie im Fernsehen, er mag es, Einfluss zu haben, und er ist in den vergangenen Jahren sehr flexibel gewesen mit den Orten seines Wirkens. Es ist also nur auf den ersten Blick eine erstaunliche Personalie, die der Spiegel, sein alter Arbeitgeber aus Hamburg, an diesem Wochenende zu vermelden hatte: Stefan Aust, der 14 Jahre lang den Spiegel führte, der für Konkret arbeitete und für die St. Pauli Nachrichten, beim NDR-Magazin Panorama war, 1988 die Leitung des neu gegründeten Politmagazins Spiegel TV übernahm und daraus ein kleines Fernsehimperium machte, das sich ohne ihn schwertut. Aust, der ein großer RAF-Sachverständiger ist (Der Baader-Meinhof-Komplex) und weitere Bücher schrieb, wird jetzt auch noch Herausgeber der Springer-Zeitung Die Welt. Der Verlag äußerte sich auf Anfrage nicht zu der Meldung; auch Stefan Aust wollte sie nicht kommentieren.
Durchlässige Grenzen
Stefan Aust hat sich in den fünf Jahren seit dem Ende seiner Spiegel-Regentschaft viele Möglichkeiten geschaffen, zu zeigen, was er alles kann. Er stieg bei einer Fernsehproduktionsgesellschaft ein; er moderierte gemeinsam mit Sabine Christiansen bei Sat 1 eine Politshow; er kaufte ebendiesem Sender dann kurz darauf den Nachrichtenkanal N24 ab; er entwickelte für den WAZ-Konzern (und später auch Springer) ein Magazin mit dem Arbeitstitel Die Woche - beide Verlage stiegen aus, die Rechte behielt Aust; zuletzt verpflichtete die Zeit ihn als Berater und Autor. Und jetzt soll er in der Welt ganz oben stehen.
Springer und Spiegel, die trennte jahrzehntelang Unüberwindbares, nur so kann man ja auch verstehen, wie groß die Empörung in diesem Sommer war, als Bild-Mann Nikolaus Blome beim Spiegel Mitglied der Chefredaktion wurde. Wahr ist aber auch, dass die Grenzen zwischen Spiegel und Welt auch früher schon viel durchlässiger waren als zu Springers großem Boulevardblatt. Der in diesem Sommer verstorbene Claus Jacobi etwa war von 1961 bis 1969 Chef beim Spiegel und wurde 1975 Chef der Welt; 1992 übernahm er dort den Posten des Herausgebers, die künftige Stefan-Aust-Position.
Auf Umwegen
Auch der jetzige Herausgeber der Welt, Ex-Chefredakteur Thomas Schmid, kam nicht auf geradem Wege zu Springer, einst hatte er gegen die Auslieferung von Springer-Blättern protestiert. Als Herausgeber sollte er die politische und publizistische Grundrichtung vorgeben, was eine eher allgemeine Jobbeschreibung ist. Schmid, der mal Lektor beim linken Wagenbach-Verlag war, ist ein anerkannter Autor und schreibt bis heute viel für die Welt.
Auch zuletzt hat der Spiegel einige seiner Namen an Springers Tageszeitung abgegeben: Der ehemalige Kulturressortleiter Hellmuth Karasek hat schon vor Jahren begonnen, für die Welt zu arbeiten, der Autor Henryk M. Broder ging Ende 2010, Matthias Matussek, der manchmal zwischen Feuilleton und Literatur vagabundiert, beginnt kommenden Februar bei der Welt.
Für Springer, ein Aktienunternehmen, bedeuten bekannte Namen auch positive Nachrichten für die Anteilseigner. Im Verlag versteht man sich darauf, seine Marken mit erfolgsklingelnden Geschichten zu versehen. Am Freitag führte Welt-Chefredakteur Jan-Eric Peters in einer Videobotschaft allen Interessierten seinen schicken neuen Newsroom vor: 120 Leute in einer 1000 Quadratmeter großen Arbeitshalle, "Online to Print", und natürlich ganz viel Zukunft. Stefan Aust bekommt hoffentlich ein Einzelbüro.