Sprachassistenten:Wo die Musik spielt

Smart Radio

Collage: SZ Grafik, Fotos: anilyanik/IStock, mauritiusimage

"Alexa, erzähl mir was Neues": Immer mehr Medienhäuser produzieren für Smart Speaker. Ist das die Zukunft?

Von Adrian Lobe

Die Welt hört auf Alexa, Siri, Cortana und Google: Laut einer aktuellen Studie der Consumer Technology Association (CTA) steht in 31 Prozent aller US-Haushalte ein Smart Speaker wie Amazon Echo oder Google Home. Bis Ende 2019 soll jeder zweite Haushalt ein solches Gerät besitzen. Amazon will Alexa zur Schaltzentrale im Smart Home aufrüsten, mit der man das Licht dimmen, Badewasser einlassen und Nachrichten hören kann. "Alexa, play news from CNN" - und schon liest der virtuelle Assistent die Schlagzeilen des Nachrichtensenders vor. Entsprechend rüsten viele Medienhäuser gerade auf.

Der Bayerische Rundfunk hat Skills - so heißen die Programme für den Smart Speaker Alexa - entwickelt, mit der sich Newsformate oder Livestreams abrufen lassen. Mit dem Befehl "Alexa, aktiviere Bayern 3" wird der Sender abgespielt. Und Hörer haben die Möglichkeit, nach dem Interpreten des laufenden Songs zu fragen. Der Spiegel hat gerade ein News-Format für Smart Speaker angekündigt, das auch das Podcast-Programm und vertonte Stücke aus dem Magazin ausspielt. Die BBC, die für Google Home und Amazon Echo interaktive Hörstücke produziert, will den Tech-Giganten nun auch etwas entgegensetzen und einen eigenen Sprachassistenten entwickeln.

Die BBC will Google und Amazon ein System entgegensetzen. Es trainiert gerade Akzente

Die Software, die auf das Aktivierungswort "Beep" hört, soll mit allen Smart Speakern, Fernseh- und mobilen Endgeräten kompatibel sein. Die BBC lädt derzeit alle Mitarbeiter des Senders ein, mit ihren Stimmen das Programm zu trainieren, damit es verschiedene Akzente erkennt.

Das Flaggschiff des britischen Journalismus ist zuletzt in die Defensive geraten, nachdem das nationale Marktforschungsinstitut für die Audio-Branche (RAJAR) vermeldete, dass die Quote zwischen April und Juni 2019 unter 50 Prozent gefallen ist. Eine kritische Schwelle. Profitiert haben Privatsender, die ihre Reichweite steigern konnten. Womöglich auch wegen der Smart Speaker: Denn statt wie das Radio den Stammsender einzuschalten, fragt Alexa jedes Mal nach einem Sender - und stellt damit die Hörerbindung auf den Prüfstand.

Der Start eines eigenen Sprachassistenten wirkt da wie ein Befreiungsschlag. Zugleich ist es ein interessantes Experiment: Die BBC hat in ihren Archiven Zugang zu tonnenweise Tonaufnahmen. Wertvolle Trainingsdaten, die die Tech-Konzerne nicht haben. Diesen Schatz könnte der Sender heben und seinem virtuellen Assistenten die Stimme von TV-Legenden wie Tom Baker leihen. Erst im vergangenen Jahr hat die BBC ihr Archiv geöffnet und 16 000 Audio-Aufnahmen aus knapp 100 Jahren verfügbar gemacht.

Das Radio erlebt derzeit eine Revolution. Auf der einen Seite weitet sich das Audio-Angebot mit Podcasts, Streaming-Diensten und Hörbüchern immer weiter aus. Auf der anderen Seite verändern sich die Nutzungsgewohnheiten. Laut einer Erhebung des Umfrage-Instituts Edison Research haben 29 Prozent aller Amerikaner gar kein Radio mehr zu Hause. In der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen hat sogar jeder zweite kein Radio. Die hört vor allem Podcasts - über Smartphone, Laptop, Tablet oder PC. Einzig die Hörerschaft beim Autoradio ist stabil. Einerseits bringt das Radio technologisch die besten Voraussetzungen für das audio-visuelle Zeitalter mit. Andererseits hat es, so die Studienautoren, ein "Hardware-Problem": Zwar wurden noch nie so viele Audio-Inhalte im Netz konsumiert. Doch das Radio muss sich ein neues Gehäuse und andere Verbreitungswege suchen, um die junge Zielgruppe zu erreichen. Smart Speaker scheinen als Empfangsgeräte prädestiniert zu sein. Amazon hat kürzlich mit der US-Radiosendergruppe NPR eine Kooperation vereinbart, damit Nutzer auch längere Nachrichten anhören können. Wer seine Postleitzahl angibt, kriegt auch lokale News. Medienunternehmen gewinnen durch solche Kooperationen an Reichweite. Gleichzeitig müssen sie journalistische Inhalte auf Sprachkommandos zuschneiden. Laut dem US-Marktforscher Comscore werden bis 2020 etwa 50 Prozent aller Suchanfragen per Stimme erfolgen. Auf die Frage "Hey, Alexa, erzähl mir etwas über den Iran-Konflikt" müssten Medien ein Audio-Angebot parat haben. Und für die Umsetzung sind Fähigkeiten erforderlich, die bislang bei Tech-Konzernen liegen, zur Spracherkennung etwa oder den erforderlichen Tools. Auffällig ist, dass die Digital News Initiative (DNI), ein von Google aufgelegter, 300 Millionen Dollar schwerer Journalismusfonds, verstärkt Audio-Projekte fördert - etwa ein Tool zur Erkennung von gefälschten Inhalten für die Deutsche Welle oder ein anderes fürs Handelsblatt. Der Guardian hat mit finanzieller Unterstützung von Google ein Stimmlabor eröffnet, wo mit Formaten für Smart Speaker experimentiert wird. Google finanziert Journalismus ja nicht aus Altruismus.

Wer kassiert Werbegelder? Wer hat die Hoheit über Inhalte? Vieles muss neu verhandelt werden

Wie bei anderen Kooperationen begeben sich Verlage auch in Abhängigkeit. Zwar kann der Nutzer seine bevorzugte Nachrichtenquelle (noch) frei auswählen. Doch entsteht hier ein neuer Flaschenhals: Wer nicht auf der Plattform vertreten ist, wird auch im Medium Smart Speaker nicht gehört. Da, wo die Musik spielt.

Unklar ist, ob Medienunternehmen Zugriff auf die Nutzerdaten bekommen und wie die Vermarktung der Anzeigenplätze abläuft. Der US-Sender CNBC hat bereits Audio-Sponsorenpakete in seinem Alexa-Skill verkauft. Laut CNBC stand Amazon in Verhandlungen mit potenziellen Anzeigenkunden für Audio-Werbung. Die Gefahr dieser Entwicklung besteht darin, dass Tech-Konzerne die journalistische Verwertungskette kontrollieren und geschlossene Systeme bilden, auf deren Regeln Anbieter von Inhalten keinen Einfluss haben; Missliebiges kann verbannt oder erst gar nicht ausgestrahlt werden.

Apple Music etwa hat einen kritischen Song des Hongkonger Sängers Jacky Cheung zensiert, der auf das Tian'anmen-Massaker und die Proteste in Hongkong anspielt. Wohl deshalb, weil der Konzern die Staatsführung in Peking nicht verärgern will. Auch Radiosender haben in der Vergangenheit Songs boykottiert. Doch die Entscheidung eines Dienstes, der über 50 Millionen Nutzer hat, hat eine viel größere Tragweite. Wer Soft- und Hardware kontrolliert, hat die Macht.

Auch wenn Google, Amazon, Facebook und Apple stets betonen, dass sie nur Plattformen und keine Medienunternehmen seien, avancieren sie mit dem Ausbau ihrer digitalen Angebote zu einer Art Super-Sendergruppe, die zunehmend das Programm der Hörer und Leser bestimmen. Im Gegensatz zu den datensammelnden Lauschsprechern hört bei "Beep" von der BBC niemand anderes im Hintergrund mit.

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