"Sportstudio"-Moderatorin Carmen Thomas:"Sport war zu der Zeit nichts für Intellektuelle"

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Türoffner für ihren Traumjob: Carmen Thomas war im ZDF-Sportstudio die erste weibliche Sportmoderatorin im deutschen Fernsehen (Foto: Imago)

Vor 40 Jahren moderierte sie als erste Frau im deutschen Fernsehen eine Sportsendung - und zog damit viel Kritik auf sich. Carmen Thomas spricht im Interview darüber, was sich im Sportjournalismus verändert hat und wie sie die Sexismus-Debatte wahrnimmt.

Von Carolin Gasteiger

Carmen Thomas moderierte am 3. Februar 1973 als erste Frau eine Sportsendung im deutschen Fernsehen: das aktuelle Sportstudio im ZDF, bekannt wurde sie aber durch ihren Versprecher "Schalke 05". 20 Jahre lang moderierte sie außerdem die Radiosendung Hallo Ü-Wagen im WDR. Heute leitet die 66-Jährige die Moderationsakademie für Medien und Wirtschaft im nordrhein-westfälischen Engelskirchen.

SZ: Frau Thomas, am 3. Februar 1973 haben Sie als erste Frau im deutschen Fernsehen eine Sportsendung moderiert. Wie fühlte sich das an?

Carmen Thomas: Für mich selbst war das gar nicht so spektakulär. Ein Kollege von der Hörzu sagte damals: "Ab heute ändert sich Ihr Leben." Und das wäre eine ganz wichtige Tat. Ich habe das eher heruntergespielt. Als Politikredakteurin war ich schon fünf Jahre WDR-Morgenmagazin-Moderatorin und hatte im Regionalfernsehen schon ganz mutige Sendungen gemacht - die ersten über Abtreibung, über Selbstmord. Dann Fußballer zu interviewen, schien mir ein Klacks. Allerdings war das Format des Sportstudios damals herausragend: DIE Samstagabend-Livesendung, mit Publikum, zur besten Sendezeit und das eineinhalb Stunden lang. Was wollte ich mehr?

Wurde Ihnen Ihre Bedeutung also erst später klar?

Ja, das stimmt. Vor allem, weil ich vorher irrtümlich dachte, wer sich anstrengt, kommt auch als Frau überall hin. Die Bedeutsamkeit wurde zunächst ja nur in der Zuschauerpost gespiegelt. Und da waren die Feindseligkeiten überraschend neu und massiv. Die Fraktion derer, die mich unterstützten, war dagegen anfänglich deutlich geringer. Ein Zuschauer schrieb, ich sollte mir bewusst sein, dass ich gegen eine ganze Nation antreten würde. Und so fühlte sich das zu Beginn dann auch an.

Was war Ihr bedeutendster Moment im Sportstudio?

Die Traute, den Verriss meiner zweiten Sendung in der BamS zu veröffentlichen. Der war nämlich schon eine halbe Stunde vor Beginn der Live-Sendung am Kiosk zu kaufen. Gegen den Rat aller war es mutig, mit der Ausgabe vor die Kamera zu gehen und auf diese Zeitungsente aufmerksam zu machen. Denn das war zu Zeiten, als es Demonstrationen gegen die Lügenhaftigkeit vor dem Springerhaus gab. Hinter der Kampagne steckte in Wahrheit jedoch der Innenwiderstand, der dem neuen SPD-nahen Chef beim ZDF galt, der wie ich aus der WDR-Politik kam und angetreten war, "den 1:0-Journalismus zu beenden". Positive Einsicht aus der unverwüstlichen Legende für mich: Wer im TV-Himmel oben mitmischt, braucht mehr Standbeine. So wurde ich zusätzlich Buchautorin, Top-Coach und Netzwerkgruppen- und Interaktions-Veranstaltungs-Spezialistin.

Fehlt Ihnen die Sportberichterstattung heute?

Das Sportstudio war von Beginn ein Türöffner für eine noch sinnstiftendere Aufgabe, die mich in der Tiefe mehr interessierte. Sport war zu der Zeit nichts für Intellektuelle. Der WDR-TV-Direktor Werner Höfer sagte damals zu mir:" Eine Sport-Sendung? Das ist doch für Politikjournalisten unter aller Würde". Aber ohne das Sportstudio hätte ich nie die erste Mitmach-Sendung im deutschen Rundfunk "Hallo Ü-Wagen" entwickeln dürfen.

Monica Lierhaus hat in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) gesagt, sie "traue dem Burgfrieden noch nicht ganz" und bezweifle, dass sich Frauen gerade in der Fußballberichterstattung vollständig etabliert hätten. Ist dem so?

Da stimme ich ihr vollkommen zu. Frauen haben es im Sportjournalismus auch deshalb schwer, weil sie immer noch eine Ausnahmeerscheinung sind. Ich halte es mehr mit Plato und glaube, dass sich erst etwas ändert, wenn Männer und Frauen begreifen, dass sie wie zwei Hälften sind und nur zusammen ein Ganzes ergeben. Und wenn sie endlich aufhören, sich für ihre Andersheit zu schelten, sondern dafür schätzen. Dann entsteht erst eine neue Dimension.

In derselben FAS-Ausgabe wurden unter dem Titel "Die neuen Wortführerinnen" weibliche Reporterinnen bei Sky vorgestellt und das zur erfolgreichen Strategie des Senders erklärt.

Immer dann, wenn die Zahlen nicht so sind, wie sie sein sollen, werden solche Maßnahmen ergriffen. Aber ich finde das trotzdem gut und drücke den drei Frauen herzlich die Daumen. Vor allem hoffe ich, dass sie richtig zusammenhalten. Aber ist doch irre, wie lahm die Entwicklung ist: Seit meiner Sportstudio-Zeit sind immerhin 40 Jahre vergangen. Tja, Gier und Machtstreben sind eben so groß, dass Männer den Frauen dann doch lieber in den Mantel als in ein wichtiges Amt helfen.

Womit wir schon fast bei der aktuellen Sexismus-Debatte wären...

Das ist ein deshalb so bedeutsames Thema, gerade weil es untereinander so unbesprochen ist, wie ich aus vielen Top-Coachings weiß. Es geht ja nicht um "erkennbare" sexuelle Übergriffe, sondern um ganz verdeckte Machtspielchen. Äußerungen unterhalb der Gürtellinie, die dann zugleich zynisch ungreifbar verunsichern und verletzen und dann auch noch - unter dem Motto: "Sie verstehen wohl keinen Spaß?" - als nichtig umdefiniert werden. Dass das gerade in jeder Talkshow Thema ist, zeugt von einem echten Bedarf.

Müssen sich Frauen in der heutigen Zeit überhaupt noch wehren?

Als ich 1968 beim WDR Moderatorin wurde, war noch der größte Feind der Frau die Frauen. Die Stutenbissigkeit hatte reale Hintergründe, weil das Leben schicksalhaft tatsächlich fast ganz von Männern abhing. Frauen konnten nicht allein in eine Kneipe oder allein über die Straße gehen, ohne sich verdächtig zu machen. Die Solidarität untereinander hat tatsächlich erst die Frauenbewegung ab 1974 massiv verändert. Viele junge Frauen haben natürlich heute gar kein Bewusstsein mehr dafür. Erfreulich ist, dass Männer manchmal sogar so achtsam gegenüber Frauen sind, wie Frauen es untereinander immer sein sollten.

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