Süddeutsche Zeitung

Sportler und Journalisten:Im Abseits

Lesezeit: 4 min

Spitzensportler und Vereine verbreiten Nachrichten heute oft lieber selbst über eigene Sender und Magazine, als mit Journalisten zu reden. Tun sie es doch, soll aber auch der Sponsor etwas davon haben.

Von Ralf Wiegand

In diesen Tagen tut es besonders weh. Man sieht Pep Guardiola leiden. Jetzt möchte man als Journalist natürlich hineinschauen in diesen stets akkurat geschorenen Kopf. Darin sollen sich ja dem Vernehmen nach kleine rote Männchen permanent einen Ball zuschieben, aber seit geraumer Zeit das Tor nicht mehr treffen. Das muss ihn irre machen, denn nach allem, was man hört, strebt er nach Perfektion. Pep Guardiola ist Trainer des FC Bayern München, und seine Gedanken spielen Tag und Nacht tiki taka. Sagt man.

Eine Frage könnte also lauten: "Herr Guardiola, Sie denken angeblich an nichts anderes als an Fußball. Immer. Wie schützen Sie sich davor, verrückt zu werden. Oder sind Sie es schon?"

So eine Frage stellt natürlich niemand bei einer Pressekonferenz, sagen wir mal, vor einem Bundesligaspiel gegen den Hamburger SV oder nach einer Klatsche wie gegen Real Madrid. Da zählen ja andere Dinge, immer das nächste Spiel oder eben das letzte. Nie das große Ganze. So eine Frage möchte man in ruhiger Atmosphäre stellen, ohne dass 250 Kollegen zuhören und schon beginnen zu twittern, bevor Guardiola den ersten Satz beendet hat. Man möchte dem geheimnisvollen Mann zusehen können, wie er vielleicht einen Teebeutel in heißem Wasser badet oder in einem Kaffee mit Milchkrone rührt oder nichts dergleichen tut, sondern nur seine Hände knetet, während er über die Antwort nachdenkt. Ob er überhaupt nachdenkt.

Kurz: Man möchte jetzt ein langes, inniges Interview mit Pep Guardiola führen. Aber man bekommt keins.

Das ist einerseits extrem schade, denn diesem Mann traut man schon aufgrund seines charismatischen Äußeren eine Gedankentiefe zu, die in den meistens in gebrochenem Deutsch geführten, vollöffentlichen Pressekonferenzen höchstens durchschimmert. Der Rest seiner gefühlten Intellektualität ergibt sich vom Hörensagen, aus der Analyse kluger Sportjournalisten, aus Büchern und Überlieferungen. Kaum ein Journalist, der über Guardiolas fast schon spirituelle Aura schreibt, hat dies in einer Tête-à-Tête-Situation je überprüfen können.

Andererseits ist es auch fast schon wieder egal, kein Interview zu bekommen, denn im Wettrennen um Exklusivität spielt es keine Rolle: Niemand bekommt schließlich so einen Termin mit Guardiola. Schon in Barcelona hat der weltberühmte Mann es so gehalten, keine Einzelinterviews zu geben, und auch im multimedialen Unterhaltungskonzern FC Bayern München AG gestattet man dem leitenden Angestellten diesen Luxus.

"Pep denkt 20 Stunden am Tag an Fußball", sagt Markus Hörwick, Mediendirektor des FC Bayern, "er hätte gar keine Zeit".

Tatsächlich gehört Josep Guardiola, 43, zu den Sportfiguren mit der größtmöglichen Exklusivität weltweit. Während seiner Zeit beim FC Bayern gab er genau zwei gedruckte Interviews: Eines der Redaktion des FC- Bayern-Magazin , also der Fanzeitschrift seines Arbeitgebers ("Fast eine Stunde erklärte Pep seine Fußball-Welt") - und eines einem gewissen Prof. Rupert Stadler. Der ist kein Journalist, sondern Vorstandsvorsitzender der Audi AG, die als strategischer Partner des FC Bayern Anteile an der Fußball-AG hält. Den Partner seines Arbeitgebers traf Guardiola zu einem "Gespräch über Courage und Motivation, Sieg und Niederlage" in der flutlichterleuchteten, menschenleeren Fröttmaninger Arena. Mit dem Text peppte Audi den Geschäftsbericht für seine Aktionäre auf und erzielte den hübschen Nebeneffekt, dass weltweit daraus zitiert wurde, mit Quellenangabe. Exklusivität ist wertvoll im Sport.

"Wenn ich heute sagen würde, dass Guardiola Einzelinterviews gibt, hätte ich innerhalb einer Woche 300 bis 400 Anfragen", sagt Markus Hörwick. Auch dieser Run auf die Größen des Sports ist ein Grund dafür, dass der Zugang zur Spitze immer stärker reglementiert wird. Für den Sportjournalismus sind das schwierige Zeiten, denn die Totalvermarktung des Profisports führt dazu, dass die Medienauftritte der Stars vom Management oft mehr auf ihren Nutzen überprüft werden als auf Nachrichtenwert.

Nachrichten produzieren Sportler und die Vereine längst selbst. Der FC Bayern München beschäftigt in seiner Medienabteilung etwa 15 Leute, das vereinseigene Bayern-TV beliefert Sender in etwa 70 Ländern mit exklusiven Bewegtbildern vom Trainingsgelände an der Säbener Straße. Der Verein führt 23 Accounts für soziale Netzwerke in 20 Ländern, er beschäftigt auch zwei chinesischsprachige Mitarbeiter, um China heiß auf bayerischen Fußball zu machen, er ist in Indien präsent, in Russland, betreibt ein Büro in New York. Über das Bayern-Magazin, Auflage 250 000 Exemplare, erreicht der Klub eine sehr sauber gefilterte Zielgruppe: Mitglieder und Fans.

Dazu kämpft der Sportjournalismus mit der Exklusivität, die Sportler selbst erzeugen können. "Jeder Protagonist fühlt sich heute wie ein Journalist", sagt Hörwick über die von Spielern gern genutzten Möglichkeiten von Twitter und Facebook. Das ist ein fast ungeregelter Bereich. Der Verein hat seinen Spielern immerhin empfohlen, nicht aus der Kabine, dem Bus und dem Flugzeug zu twittern und keine Kollegen auf Facebook zu beschimpfen. Aber warum sollte noch jemand seine Stimme zur Auslosung der nächsten Pokalrunde dem Pressesprecher geben, der sie an die Medien weiterreicht, wenn der Spieler seine Ansichten zu den Aussichten gleich selbst twittern kann - und die Zahl seiner Follower, die sich mit seinen Sponsoren verlinken lassen, auf diese Art in die Höhe treibt? "Da ist ein großer Wandel im Gange", sagt Hörwick, ohne zu wissen, wohin der führt.

Wozu braucht man noch Sportjournalisten?

Noch versuchen die Pressesprecher alter Schule - Hörwick etwa kommt selbst aus dem Agenturjournalismus und ist seit mehr als 30 Jahren der Ansprechpartner für Medien bei den Bayern -, die Bedürfnisse seiner Kollegen in den Redaktionen zu befriedigen, wie sie das gewohnt sind. Viele Vereine aber führen intern schon Diskussionen, wozu man Sportjournalisten in den Stadien überhaupt noch braucht - wenn man doch alles selber machen kann.

Wer exklusiven Zugang haben will, muss immer häufiger entweder exklusive Rechte besitzen - wie der Bezahlsender Sky, der Zitate aus Spielerinterviews als Pressemitteilungen (frei unter Nennung des Senders) verschickt; oder er muss Opfer bringen. Da ist es mit dem vor einem Foto hastig hingepappten Baumarkt-Aufkleber auf dem Hemdkragen nicht mehr getan. In der FAZ erschien kürzlich ein Interview mit der Tennisspielerin Maria Sharapowa, an dessen Ende der Hinweis stand: "Die Reise wurde unterstützt von der Firma Porsche." Deren "internationale Markenbotschafterin" ist Sharapowa seit einem Jahr; über die Zuffenhausener sei der Zugang zu der Sportlerin einfacher gewesen als über ihr Management, hieß es aus der Redaktion.

Auch Sebastian Vettel ist schwer als Sebastian Vettel, der Mensch und Rennfahrer zu kriegen - leichter indes als Vettel, der Koffeinbrausenstar oder Vettel, der Schuhmarkenbotschafter. Es kann vorkommen, dass man den Formel-1-Weltmeister nur sprechen kann, wenn man ihn auf einem Sponsorentermin eines Schuhherstellers begleitet, der sein Entgegenkommen wiederum gerne mit einer Erwähnung eben jener Schuhe honoriert sähe. Und die Ski-Rennfahrerin Lindsay Vonn liefert der Presse eh nur noch Stichworte - und verweist ansonsten auf ihre eigene Homepage voller "Exklusiv"-Material.

Der Sportjournalismus steht also künftig vor der Herausforderung, auf seine Fragen noch kostenlose Antworten zu bekommen. Vielleicht muss er einfach frecher werden. Erstaunt habe ihn an Deutschland, sagte Pep Guardiola in jenem Interview mit dem Bayern-Magazin vom vergangenen Oktober, "dass die Journalisten weniger temperamentvoll sind als in Spanien. Auch die Pressekonferenzen verlaufen insgesamt ruhiger."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1948660
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 03.05.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.