Sportberichterstattung in 3-D:In der Tiefe des Raums

So soll die Zukunft sein: In der Fußballsaison 2010/2011 erlebten die Zuschauer die Premiere der 3-D-Technologie in der deutschen Live-Sportberichterstattung. Aber sieht man den Fußball in 3-D wirklich besser? Ein Werkstattbesuch.

Tobias Moorstedt

Michael Mirbizaval ist ein starker Mann. Das T-Shirt spannt am Brustkorb, und an den muskelbepackten Oberarmen, über die sich dicke Adern ziehen. Mirbizaval trainiert nicht aus Eitelkeit im Fitnessstudio. Er braucht die Kraft für seinen Job als Kameramann bei der Firma Sportscast, einer Tochter der Deutschen Fußball Liga (DFL), die die Livebilder der Fußball-Bundesliga produziert. Mirbizaval bedient die Steadycam am Spielfeldrand, ein tragbares Kamera-Gerüst, das mit Gurten am Körper befestigt wird. Ein serienmäßiges Modell wiegt etwa 20 Kilogramm.

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Auf der Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin testete auch Bundespräsident Christian Wulff 3D. Aber ist die Technik wirklich die Zukunft der Sportberichterstattung?

(Foto: dapd)

Die Kamera von Mirbizaval aber ist mehr als 45 Kilogramm schwer, denn er filmt das Spielgeschehen mit Hilfe von zwei Linsen, Elektromotoren und viel Hochtechnologie in 3D. Wenn er sein Arbeitsgerät anschnallt, sieht der freundliche Mann mit all den Kabeln und Metallgelenken aus wie ein Krieger aus dem 22. Jahrhundert. Michael Mirbizaval trägt nicht nur die schwere Kamera - sondern in gewisser Weise auch die Zukunft des Fernsehens. Die Erwartungen der DFL, der Bezahl-Plattform Sky und der Zuschauer an die Technologie sind groß. Es ist vermutlich gut, dass Mirbizaval so breite Schultern hat.

Die Fußballsaison 2010/2011 war eine aufregende Zeit. Die Fans erlebten nicht nur den Siegeszug von "Offensiv-Pressing" oder neue Spielertypen wie die stürmende "falsche Neun" und den "Spielmacher in der Innenverteidigung", sondern am 26. Spieltag auch die Premiere der 3D-Technologie in der deutschen Live-Sportberichterstattung.

Mit dem Spiel verändert sich das Bild, das wir uns von ihm machen. Das Champions-League-Finale zwischen Manchester und Barcelona an diesem Samstag überträgt Sky ebenfalls in 3D und entführt die Zuschauer für 90 Minuten in die Tiefe des Raums. Wer die 3D-Crew besucht, macht eine Reise in eine mögliche Zukunft der Sportberichterstattung.

Fünfzehn Minuten vor Anpfiff betritt Volker Weicker einen kleinen Raum unter dem Stadion, der mit 35 Bildschirmen und einem Mischpult ausgestattet ist. Das Bild auf den kleinen Monitoren ist seltsam unscharf und verwischt. Weicker bleibt ruhig, setzt sich eine schwarze Hornbrille auf und sieht plötzlich klar.

Weicker ist der Regisseur der 3D-Übertragung des Fußballspiels und trägt während der Arbeitszeit selbstverständlich auch eine 3-D-Brille. Zusätzlich zu zwei Dutzend Kameras, die in Deutschland üblicherweise ein zweidimensionales Abbild des Fußballspiels in die Kneipen und Wohnzimmer der Welt schicken, hat Sportscast zusätzlich zehn sogenannte "Native 3D"-Kameras im Stadion installiert. Kameras, die mit zwei Linsen die menschliche Raum-Wahrnehmung simulieren. Weicker dirigiert diese Spezialkameras und kann mit Hilfe einer Software auch das zweidimensionale Bild in 3D umrechnen lassen.

Auf einem der kleinen Bildschirme im Ü-Wagen läuft der etwas alberne Animationsfilm Ice Age 2. Kleine Tierfiguren stürzen, fallen und laufen vor Lawinen davon und nehmen den Zuschauer, wie es in Hollywoodfilmen mittlerweile üblich ist, mit Hilfe der 3D-Effekte mit auf eine Achterbahnfahrt. Im 3D-Zeitalter, meinte der Regisseur James Cameron nach dem Erfolg seines 3D-Films Avatar, müsse man die Filmsprache neu erfinden. Gilt das auch für die Fußballberichterstattung?

Volker Weicker würde mit seiner silbernen Mähne, dem silbernen Chronographen und dem dicken Silbersiegelring mit Totenkopf eigentlich ganz gut nach Hollywood passen. Live-Bericht und Spielfilme ließen sich aber nicht vergleichen, meint er: "Schließlich inszenieren wir hier nicht, sondern dokumentieren."

Eine Partie pro Spieltag in 3D

Weicker ist ein Veteran der Live-Berichterstattung, der jede Sportart dokumentiert hat, die im Fernsehen übertragen wird, aber das 3D-Format ist eine Herausforderung. "Unsere Kameras sind ganz anders im Stadion angeordnet", erklärt er. Denn in der üblichen Draufsicht, in der das Fußballspiel meist gezeigt wird, komme die räumliche Wirkung nicht so zur Geltung. Die 3D-Crew filmt das Spiel zwar auch in der Totale, "damit der Zuschauer das Spiel lesen kann", kombiniert diese Einstellungen aber mit Bildern anderer Kameras, die einen flacheren Blickwinkel auf das Spielfeld haben, damit man die Staffelung der Spieler im Raum erleben kann. Weicker sagt: "Da hat man dann wirklich das Gefühl, dass man direkt am Spielfeldrand steht."

Sky wird auch in der kommenden Saison eine Partie pro Spieltag in 3D übertragen. "Es ist ein Experiment live on air", sagt Sky-Produktionsleiter Allessandro Reitano. "Die Lernkurve ist hoch. Aber immerhin brauchen wir zum Aufbauen mittlerweile nur noch acht Stunden statt zwei Tage." Reitano spricht vorsichtig, tastend, aber immer neugierig über die neue Technik. 3D ermögliche einen "Wow-Effekt", sagt er, die Mannschaftsaufstellungen und Vereinslogos kann man mit dem so genannten Pop-Out-Effekt aus dem Bild optisch herausragen lassen. Auch in der Nachberichterstattung und computergestützten Spielanalyse sind interessante Formate denkbar. Er und seine Kollegen wollten aber "nicht so viel Firlefanz und Showeffekte einbauen", sagt Reitano: "Das Spiel steht im Mittelpunkt."

In der 65. Spielminute ist Kameramann Michael Mirbizaval trotz des Trainings bereits schweißüberströmt. Alle 15 Minuten wechselt er sich mit einem Kollegen ab um sich zu erholen und eine ruhige Hand zu behalten. "3D-Bilder dürfen nicht wackeln", sagt er. Über den Kopfhörer hört er die Stimme von Volker Weicker: "Geh um die Eckfahne herum, nimm die Sanitäter mit ins Bild." Bei der 3D-Übertragung kommt es darauf, die eigentliche Szene mit Vorder- oder Hintergrund zu kontrastieren.

Die ganze Arbeit sei anders, sagt Mirbizaval. "Wir können nicht so schnell reißen und zoomen. Der Zuschauer braucht Zeit, um sich im Raum zu orientieren." Die vermeintliche Show-Technologie 3D hat paradoxerweise einen beruhigenden Effekt auf Bild des Spiels. Ab und an spürt Mirbizaval ein Surren an seinem Bauch. 3D-Kameras haben zwei Linsen, die nach jeder Bewegung und jedem Zoom neu justiert werden müssen. Die Elektromotoren werden dabei nicht von Mirbizaval gesteuert, sondern von einem Kollegen, der im Ü-Wagen sitzt, einem sogenannten Stereographen, der mit Joystick und Tastatur dafür sorgt, dass beide Linsen auf einem Punkt liegen und verzerrende Effekte vermieden werden. "Diesen Beruf gab es vor zehn Monaten noch gar nicht", sagt Regisseur Weicker.

50 Fußballkneipen in Deutschland hat Sky bislang mit der Technik ausgestattet. 150 000 Menschen haben einen 3D-Fernseher im Wohnzimmer stehen. Eine "spitze" Zielgruppe, nennt Produktionsleiter Reitano das geschickt, gibt aber zu, dass der Aufwand - zwei TV-Teams im Stadion, über 75 000 Euro Mehrkosten - bei diesen Zahlen nur begrenzt sinnvoll ist. Er hofft, dass man in naher Zukunft 2D- und 3D-Bilder simultan produzieren kann, und dass die Fußballbegeisterung der Menschen den Rest besorgt. Ähnlich wie Pornographie gilt Fußball als "Technology Driver", ein Angebot, das Menschen (hier: Männer) dazu bringt, in neue Technologien zu investieren.

Regisseur Weicker erwartet allerdings keinen Durchbruch in nächster Zeit: "Erst wenn man keine Brillen mehr braucht, wird sich das wirklich durchsetzen. Wir betreiben hier Grundlagenforschung." Weicker kämpft auch gegen die Sehgewohnheiten der Zuschauer: "Immer wenn es eine neue Technologie gibt, gehen die Bedenkenträger in Stellung und fürchten um die Natur des Sports."

Weicker war Teil des RTL-Teams, das in den späten 90er Jahren die Skisprung-Übertragungen durch virtuelle Linien und Kamerafahrten auf der Schanze zum Event machten. "Es hieß, wir zerstören die Magie des Sports", sagt er. Heute sind diese virtuellen Linien Fernseh-Standard und ein wichtiges Hilfsmittel für das Verständnis des Sports. "Die technologische Entwicklung geht rasend schnell", sagt Weicker, "aber der Mensch ist träge."

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