Süddeutsche Zeitung

"Spiegel" versus "Bild":Das Ende des Miteinanders

Die Brandstifter: Die Harmonie der Nach-Augstein-Ära ist vorbei. Der "Spiegel" greift "Bild", Deutschlands Boulevard-Blatt Nummer 1, wieder frontal an. Guttenberg und Sarrazin sei Dank. Doch irgendwie ist das auch verlogen.

Christopher Keil

Zehn Minuten streiten sich seit Jahresbeginn immer freitags Jakob Augstein und Nikolaus Blome im Ereigniskanal Phoenix. Augstein, der Spiegel-Erbe, soll in der Miniatur einer Talkshow (Augstein und Blome) irgendwie linke, Blome, der Chef des Hauptstadtbüros von Bild, irgendwie rechte, jedenfalls kontroverse Positionen vertreten.

Gemeinsam vor der Kamera, so hätte man wohl auch das Verhältnis zwischen dem Spiegel und Springer mehr als ein Jahrzehnt beschreiben können. Von Ende 1994 bis Anfang 2008 war Stefan Aust Chefredakteur beim Spiegel. Aust pflegte eher das Miteinander; das Nachrichtenmagazin und der Springer-Verlag betrieben ihre unterschiedlichen Geschäfte, man hielt sich, vornehm ausgedrückt, hanseatisch zurück und tat sich nicht weh.

Das war früher anders gewesen. Als Heinrich Böll die hetzerische Gewalt der "Zeitung" und der "Sonntagszeitung" in seiner Erzählung Die verlorene Ehre der Katharina Blum darstellte, veröffentlichte der Spiegel das Werk in vier Folgen. Herausgeber Rudolf Augstein teilte dem "Lieben Spiegelleser" dazu mit: Böll habe sich "im Klartext Bild und Bild am Sonntag" vorgenommen. Nachdem Günter Wallraff als "Hans Esser" die dubiosen journalistischen Praktiken bei dem Boulevardblatt erkundet hatte, beschrieb der Spiegel selbst ausführlich die Arbeitsmethoden der Zeitung.

Zwischen Argwohn und Kumpanei

Das alles ist nun ein paar Jahrzehnte her. Danach schwankte die Beziehung des größten deutschen Magazins zum größten deutschen Massenblatt zwischen Argwohn und Kumpanei. Es gab Waffenstillstände und Verbrüderungen. Und zeitweise gab es das Phänomen, dass vieles der Kritik des Spiegel ausgesetzt war, nur nicht Bild.

Das scheint vorbei zu sein. In seiner aktuellen Ausgabe hat der Spiegel eine Titelgeschichte über Bild mit der Zeile "Die Brandstifter". Ein Team von Redakteuren, so steht es in der "Hausmitteilung", habe die "ethischen Standards und die journalistische Qualität der größten europäischen Tageszeitung" untersucht und sei zu einem "wenig schmeichelhaften Urteil gekommen": Das Springer-Blatt spiele die "Rolle einer rechtspopulistischen Partei", die es in Deutschland noch nicht gebe.

Bild bringe "immer wieder Elogen" auf Thilo Sarrazin, egal, "wie populistisch seine Thesen gegen muslimische Immigranten" seien. Und "immer wieder Hymnen" auf Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg - "egal, wie massiv" dieser gemogelt habe.

Nun ist die Behandlung des Falls Sarrazin im Spiegel einschließlich des Vorabdrucks auch eine ganz eigene Geschichte. Aber Bild derart auf den Titel zu hieven, ist bemerkenswert. Dass der Titel unmittelbar an den Umbau in der Spiegel-Chefredaktion anschließt, ist vermutlich Zufall. Georg Mascolo verantwortet seit einer Woche den gedruckten Spiegel zwar allein, aber das Blatt teilt mit, nur mit Rücksicht auf die lange Wochen im Iran bis zum vorvergangenen Wochenende festgehaltenen Bild-am-Sonntag-Kollegen habe der Spiegel das Stück zurückgehalten, um diplomatische Komplikationen zu vermeiden.

Steckt auch in piekfeinen Blättern ein "mordlüsternes Stück Bild?"

Die Titelgeschichte jetzt, die nichts Großes enthüllt, arbeitet sich stellenweise sehr an dem Bild-Trick ab, sich als Leitmedium zu gerieren - aber ein Leitmedium ist Bild nicht. Lesenswert ist die Cover-Geschichte dennoch, wenngleich Gerhard Henschel 2006 in seinem Buch Gossenreport. Betriebsgeheimnisse der Bild-Zeitung am eindrucksvollsten in der jüngeren Zeit die Folgen der Bild-Berichterstattung darstellt.

Ob Bild "nicht viel gelungener ist, als ein Gebildeter unter seinen Verächtern es je porträtieren oder karikieren könnte" hatte Rudolf Augstein angesichts des Böll-Abdrucks gefragt. Und hinzugefügt: Ob Bild nur Bild sei oder ob nicht auch in piekfeinen Blättern "ein mordlüsternes Stück Bild steckt (vom Spiegel gar nicht zu reden)": darüber könne "nun gehakt und gerangelt werden".

Die Spiegel-Aufmachung mit Bild zeigt jedenfalls, dass Medien, die Multiplikatoren für Themen und Stimmungen in einer Gesellschaft, nicht dort ihren blinden Fleck haben dürfen, wo sie mit sich selbst konfrontiert sind.

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SZ vom 28.02.2011/lala
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