Spiegel-Titel:Alarmismusalarm

Cover Spiegel

"Es war einmal ein starkes Land" - Spiegeltitel 27/2018.

Als Reaktion auf Kritik am Heft-Cover verschenkt das Nachrichtenmagazin seine Hauptgeschichte. Das soll gegen Populismus-Vorwürfe helfen.

Von Ralf Wiegand

Über mangelnde Aufmerksamkeit kann sich der Spiegel derzeit nicht beklagen. In der deutschen Twitter-Welt war das Cover der aktuellen Ausgabe sogar ein Trend-Thema: "Es war einmal ein starkes Land", titelten die Hamburger Blattmacher auf den zerfließenden deutschen Farben, den Magazin-Namen versetzten sie nach unten, für viel düsteres Schwarz oben. "Schland unter in Fußball, Politik, Wirtschaft", stellten die sieben Autoren in ihrer von zwei Treffern der südkoreanischen Fußballer komplettierten Analyse zum Zustand der "selbstgefälligen" Nation fest: "Wie konnte es so weit kommen?"

Aus, aus, das Spiel ist aus für Deutschland - Totalschaden auf russischem Rasen, Dieselskandal, Kanzlerinnendämmerung. Die Reaktionen waren einhellig: Geht's noch? Hunderte Kommentare stellten das Magazin unter massiven Alarmismus-Verdacht, es schreibe böswillig ein funktionierendes Land runter, boulevardesk und populistisch. Ein Titel-Meme mit der Zeile "Es war einmal ein starkes Nachrichtenmagazin" machte die Runde, überall loderten Feuer. Am Sonntag griff die Spiegel-Redaktion ein: Man nehme die Kritik "sehr ernst", twitterte sie in laufende Diskussionen hinein, "Cover müssen aber zuspitzen." Zum "besseren Verständnis" schaltete der Spiegel die zunächst hinter der Bezahlschranke geparkte Titelstory kostenlos frei und streute den Link breit - ungewöhnlich.

Auch der Ökonom Ralf Fücks, ehemals Chef der Heinrich-Böll-Stiftung und Bundesvorstandsmitglied der Grünen, regte sich auf Twitter ein bisschen auf: "Das alte deutsche Problem: Schwankend zwischen Weltuntergang, Euphorie und Größenwahn. Symptome einer bipolaren Störung", tickerte Fücks unter dem Spiegel-Cover. Im Gespräch mit der SZ führte er aus: "Die Story ist zwar etwas differenzierter als der Titel, aber es werden auch da nur die Krisensymptome beschworen." Angst sei allerdings der Treibstoff für die "antiliberale Revolte" unserer Zeit, von daher hätte sich Fücks gewünscht, wenn auch die Stabilität der Institutionen und des ökonomischen Fundaments, des Mittelstands, zur Sprache gekommen wären: "Das wäre die Ideallinie: Ja, wir sehen Krisensymptome, aber wir gehen sie im Wissen um unsere Stärken gelassen an."

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