Die Sache war so eindeutig, dass man kaum noch von Gerüchten sprechen konnte. Trotzdem hatte der Spiegel in den vergangenen Monaten stets dementiert, dass die Geschäftsführung längst auf der Suche nach einem Nachfolger für Chefredakteur Klaus Brinkbäumer sei. Tatsächlich schien es, als sei der Spiegel nach dem desaströsen Machtkampf um Vorgänger Wolfgang Büchner im Jahr 2014 mit Brinkbäumer endlich in ruhigere Bahnen gekommen. Bereits zwei Chefredaktionen seit dem Ende der Ära Stefan Aust 2008 waren vor ihm an der Aufgabe gescheitert, das berühmte Nachrichtenmagazin mit einer Digitalstrategie zukunftsfest zu machen - und zwei starke Redaktionen, Print und Online, zusammenzubringen, die sich lange spinnefeind blieben; erst zuletzt hatte sich das geändert. Brinkbäumer ist in der Redaktion äußerst angesehen und beliebt. Ein Job bei dem Magazin, das als "Sturmgeschütz der Demokratie" Geschichte schrieb, war früher etwas, wovon man Narben behielt. Unter Brinkbäumer war das - womöglich zum ersten Mal in der Geschichte des Blattes - anders.
Am Mittwoch nun bestätigte der Verlag Brinkbäumers Ablösung. Ersetzt wird er von einer "Team-Chefredaktion" unter Vorsitz von Steffen Klusmann, zuletzt Chefredakteur des ebenfalls zum Spiegel Verlag gehörenden Manager Magazin. In das Führungstrio rücken außerdem die Chefredakteurin von Spiegel Online Barbara Hans und der langjährige Spiegel-Reporter Ullrich Fichtner. Zum Start der neuen Leitung im Januar 2019, und das ist für die Zukunft sogar noch bedeutender, sollen die Redaktionen von Spiegel und Spiegel Online zusammengeführt werden.
Bei einer Mitarbeiterversammlung des Manager Magazins und des angeschlossenen Harvard Business Managers hieß es am Mittwoch, Klusmann, den Mitarbeiter als fordernden, vor allem aber auch als fördernden Chef beschreiben, werde bereits im Oktober zum Spiegel wechseln, um die anstehenden Umbauten vorzubereiten. Ein neuer Chef für das Manager Magazin stehe noch nicht fest. Spiegel-Verlagsgeschäftsführer Thomas Hass soll bei der Versammlung erklärt haben, dass man die Personalie eigentlich erst nächste Woche hätte verkünden wollen, die am Vormittag über Twitter durchgesickert war. Die Mitarbeiter des Spiegel bleiben am Mittwoch bis zu einer schriftlichen Mitteilung am Nachmittag im Ungewissen über die Rochade. Die Gesellschafter haben der Abberufung offensichtlich schon zugestimmt.
War das Magazin unter Brinkbäumer zu soft? Oder doch zu reißerisch?
Wie der Verlag mitteilt, wird das neue Team verantwortlich sein für die gesamte publizistische Strategie des Spiegel auf all seinen Kanälen, eine Soko Hamburg für die Ericusspitze: Die Redaktionen des Echtzeit-Mediums und des Wochenmagazins sollen eins werden. Ein gewaltiges Unterfangen. Auch der Zeitplan ist sportlich: Im Januar gründen Spiegel und Spiegel Online einen Gemeinschaftsbetrieb; bis dahin sollen Klusmann und seine Mitstreiter "die geplante Redaktionsstruktur ausarbeiten", gemeinsam mit den Führungskräften und den Betriebsräten des Hauses. Eine integrierte Redaktion sei die wichtigste Rahmenbedingung, um den Spiegel als unabhängiges Medium zu erhalten, heißt es in der Mitteilung.
Nur - warum geht das nicht mit Brinkbäumer? Vor den Ressortleitern soll er am Mittwoch berichtet haben, ihm sei für seine Ablösung kein Grund genannt worden. Die Führungsetage habe, so hört man, eine höhere Auflage erwartet und mehr Impulse zur Integration von Heft und Digitalmarke. Thomas Hass teilt mit: "Am Ende hatten wir unterschiedliche Auffassungen davon, wie die Spiegel-Redaktionen zusammenzuführen sind." Es würden Gespräche über eine neue Aufgabe für Brinkbäumer geführt. Dieser wollte sich am Mittwoch auf Anfrage nicht äußern.
Steffen Klusmann, 52, war zuletzt Chefredakteur des Manager Magazins. Bis 2012 war er Chef der dann eingestellten Financial Times Deutschland, von Capital und von Business Punk.
Klaus Brinkbäumer, 51, arbeitet seit 25 Jahren für den Spiegel: seit 2015 als Chefredakteur, davor als Reporter in New York. Man führe Gespräche über eine neue Aufgabe für ihn, heißt es.
Im Jahr 2015 hatten Brinkbäumer, Hass und der damalige Digitalchef Florian Harms noch einmütig einen Plan ausgerufen, der unter anderem die Renditen für die Gesellschafter des Blattes sichern sollte. Der Spiegel gehört zu 50,5 Prozent der Mitarbeiter KG, zu 25,5 Prozent dem Hamburger Verlag Gruner + Jahr und zu 24 Prozent den Erben von Gründer Rudolf Augstein, über Verkaufsabsichten des Erben-Sprechers Jakob Augstein wird seit längerem spekuliert, Gruner + Jahr würde dann wohl zugreifen. "Sparen und wachsen" nannte die Spiegel-Spitze es damals; man berechnete Szenarien, wie lange es dauern würde, bis der Spiegel wegen wegschmelzender Anzeigenerlöse in die roten Zahlen rutschen würde, was auch die Ausschüttungen an die Mitarbeiter in der KG beträfe. Gegengesteuert wurde mit Stellenabbau und neuen Produkten - etwa mit der Gründung des abendlichen Nachrichtenangebots "Spiegel Daily" und einem integrierten Bezahlmodell "Spiegel Plus" mit einer Flatrate. Aus dem Spiegel-Umfeld ist zu erfahren, dass Brinkbäumer und Spiegel Online-Chefin Hans der Geschäftsführung noch im Juni ein Konzept zur Verzahnung von Print und Online vorgelegt hätten.
Der Spiegel machte im vergangenen Jahr 32 Millionen Euro Gewinn, so viel wie seit 2012 nicht mehr - die Auflage aber sinkt: Verkaufte das Heft bei Brinkbäumers Antritt im Januar 2015 noch mehr als 880 000 Hefte beziehungsweise E-Paper, waren es zuletzt nur noch gut 700 000 - ein Fünftel weniger. Kritiker fanden das Heft einerseits zu soft; reißerischeTitel wie "Es war einmal ein starkes Land" vor wenigen Wochen kamen aber auch nicht gut an.
Im April skizzierte Entwicklungschef Stefan Ottlitz, damals noch Stefan Plöchinger, bei einer Mitarbeiterversammlung die neue Welt beim Spiegel im Atrium. Brinkbäumer und Hans sprachen dort nicht. Thomas Hass dagegen hielt eine Rede, in der es um Pressefreiheit, aber auch um erstklassigen Journalismus als tolles Umfeld für Werbekunden ging. Er sei überzeugt, die Integration von Print und Online sei der konsequente nächste Schritt bei der Modernisierung, sagte Hass, die notwendige zentrale Steuerung sei nur möglich mit einer gemeinsamen Redaktion. Die Frage, mit welcher Mannschaft das geplant werde, könne er "nicht seriös beantworten, ohne die Strukturen für die zukünftige Zusammenarbeit zu kennen". Auch das man die Redaktion verkleinern müsse, sagte Hass, könne er nicht ausschließen.
Sollte es so kommen, muss die Chefredaktion auch dafür die Verantwortung mittragen: Künftig gehört sie der Unternehmensleitung an.