Zum Tod von Rolf Becker:Ein Mann mit Einfluss

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Rolf Becker ist im Alter von 94 Jahren gestorben. (Foto: United Archives / kpa/imago images / United Archives)

Der "Spiegel"-Kritiker war von großer Bedeutung für den Literaturbetrieb der Bundesrepublik.

Von Willi Winkler

Rolf Becker begann nach einem abgebrochenen Studium beim Kölner Stadtanzeiger, aber er war Schriftsteller. Er hatte bereits Hörspiele geschrieben, bei Suhrkamp waren zwei schwer existenzialistische Erzählungen erschienen, doch dann ging er 1959 zum Spiegel, bei dem er es bis 1991 aushielt. Becker stellte sich in den Dienst der Literatur und dafür sich selber unter den Scheffel. Das Nachrichtenmagazin hatte nur wenig Platz für Literatur, umso wichtiger wurden die Autoren, die darin vorkamen. Becker, stets höflich, stil- und geschmackssicher, war der Mann im Hintergrund, aber er hatte enormen Einfluss im Literaturbetrieb der Bundesrepublik. Es waren die großen Jahre von Enzensberger, Grass, Walser, Handke. Selber schrieb Becker wenig, rezensierte Bücher von Vladimir Nabokov, Golo Mann, Walter Kempowski und dem bewunderten Uwe Johnson, schrieb über Dallas und den Kommissar.

Mit einem staunenswerten Sitzfleisch hat er den Intrigantenstadl Spiegel überstanden, unter wechselnder Leitung alle Zurücksetzungen und Demütigungen ertragen, auch jene, über die er nicht sprach. Der vom Gründer Rudolf Augstein als "gedankenreichster Schreiber des Spiegel" gewürdigte Georg Wolff, Ressortleiter Geisteswissenschaften, war ein ehemaliger SS-Hauptsturmführer, "in jeder Hinsicht Nationalsozialist", wie ihm 1940 sein Vorgesetzter bescheinigte, und in Norwegen als Zuarbeiter der Gestapo an Geiselerschießungen beteiligt. Nach seiner Pensionierung verwandelte sich Becker wieder zurück in den Schriftsteller, den er für den Spiegel über dreißig Jahre in den Schrank gehängt hatte. In der autobiografischen Erzählung "Tamara" (1994) erinnerte er sich im Nabokov-Ton an den Sommer 1938 an der Ostsee, als er zehn Jahre alt war, an den Teil seiner Familie, den er nicht wiedersah, erzählte, wie sein Vater starb und damit die jüdische Mutter schutzlos zurückließ. Der Abtransport ins KZ drohte bereits, da wies sie ein befreundeter Arzt ins Krankenhaus ein und fingierte eine überlebensnotwendige Operation. "Noch haben wir Erinnerungen, noch sind unsere Toten nicht tot. Bald werden sie es sein." Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Rolf Becker am 9. Mai 94-jährig in Hamburg gestorben.

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