Süddeutsche Zeitung

Spiegel:"Die Szene hat es so nie gegeben"

Claas Relotius geht gegen das Buch über seine Textfälsch­ungen vor.

Von Theresa Hein und Laura Hertreiter

Es ist nicht so, dass der Autor den Ärger nicht hat kommen sehen. "Ich kenne meinen Beruf", schreibt er in der Einleitung seines Buches "Tausend Zeilen Lüge: Das System Relotius und der deutsche Journalismus". "Ich weiß, was ich, Juan Moreno, der Reporter, denken würde: ,Schau an, ein Held, interessant. Mal sehen, wie lange?'"

Mitte September erschien sein Buch im Berliner Rowohlt-Verlag. Moreno beschreibt darin, wie er die Fälschungen seines früheren Spiegel-Kollegen Claas Relotius gegen Widerstände in der Redaktion aufdeckte. Gut einen Monat später geht Relotius nun gegen das Buch vor. Sein Anwalt Christian Schertz sagte der SZ am Mittwoch, dem Verlag liege seit Dienstagabend ein Abmahnschreiben vor.

Es gehe seinem Mandanten "nicht nur um Petitessen, sondern um erhebliche Falschbehauptungen", sagte Schertz. Die Schilderungen, dass Relotius jeden Tag mit Kollegen Mittagessen war oder dass seine Bürotür immer verschlossen war, "vermittelt eine Authentizität des Berichts, die die Geschichte offenbar nicht hat". Moreno habe mit Relotius für Recherchen zum Buch nie gesprochen.

Dieser fordert nun eine Unterlassungserklärung und will laut Anwalt Klage einreichen, sollte dies nicht geschehen. Der Rowohlt-Verlag hat eine Anwältin eingeschaltet und bezeichnete das Vorgehen als "Versuch, mit Randfragen und Nebenschauplätzen den Reporter Moreno zu diskreditieren".

Die Zeit, selbst von den Fälschungen Relotius' betroffen, berichtete zuerst über den Fall. Sechs Texte wurden zwischen 2010 und 2012 von Claas Relotius bei Zeit Online und Zeit Wissen veröffentlicht, fünf hielten einem Faktencheck Jahre später nicht stand und mussten aus den Archiven gelöscht werden. Die Zeit also schreibt, Relotius gehe gegen mehr als 20 Stellen aus Morenos Buch vor, die "erhebliche Unwahrheiten und Falschdarstellungen" beinhalten. Darunter der Schluss, der nahelegt, dass der Fälscher nach seiner Entlarvung weiter gelogen habe: Relotius habe behauptet, er sei in einer Klinik in Süddeutschland. Eine Sekretärin aber habe ihn auf einem Fahrrad gesehen. "In Hamburg." - damit endet Morenos Buch. Dafür gebe es keine hinreichenden Belege, sagt Anwalt Schertz. "Die Szene hat es so nie gegeben." Laut Zeit hat jene Sekretärin nicht mit Moreno gesprochen. Der Autor beteuert, sauber gearbeitet zu haben, die Information mit dem Fahrrad habe er von einem Kollegen. Relotius sagte der Zeit: "Ich stelle mich allem, wofür ich verantwortlich bin, aber ich muss keine unwahren Interpretationen und Falschbehauptungen von Juan Moreno hinnehmen."

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Quelle:
SZ vom 24.10.2019
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