Süddeutsche Zeitung

"Spiegel"-Cover:Henker der Freiheit

Für sein aktuelles Cover bekommt "Der Spiegel" viel Aufmerksamkeit. Aber wer den US-Präsidenten mit einem IS-Schlächter gleichsetzt, betreibt in Wahrheit die Abstumpfung der Öffentlichkeit.

Analyse von Detlef Esslinger

Der Spiegel wollte Eindruck machen, er wollte ein Titelbild, das nicht nur einfach so durchrauscht. Eine Fotomontage wie neulich die im Stern? So etwas hätte ihm wenig gebracht: Das Konkurrenzblatt hatte Trump ins Lincoln Memorial hineinkopiert, in den Marmorsitz des legendären Präsidenten. Sieht man, erkennt man, vergisst man.

Dieses Titelbild hingegen vergisst vorerst keiner. Schon am Wochenende ist es weltweit Gegenstand von Debatten geworden - wie oft hat ein Titelbild dies sonst wohl geschafft?

Alexander Graf Lambsdorff, der FDP-Europa-Abgeordnete, fand, es spiele "in ekliger Weise" mit dem Leben von Terroropfern. Die BBC veranstaltete Umfragen dazu. In New York trugen Demonstranten die Zeichnung des Künstlers Edel Rodriguez durch die Straßen: die stilisierte Trump-Figur mit dem blutigen Messer in der einen Hand und dem abgeschlagenen, noch tropfenden Kopf der Freiheitsstatue in der anderen.

Die Washington Post widmete dem Nachrichtenmagazin aus Hamburg einen Artikel. Darin bezeichnete sie das Cover voller Bewunderung als "stunning", was übersetzt so viel heißt wie überwältigend, atemberaubend. Was will man mehr, als Spiegel-Macher?

Nichts, falls einem vor allem der Effekt wichtig ist. Medien, Politiker und Showstars haben gemein, dass sie so oft wie möglich im Gespräch sein wollen; wie sie in diesem Gespräch jeweils abschneiden, ist nicht allen von ihnen gleich wichtig. Der Job politischer Medien besteht hingegen darin, den öffentlichen Diskurs zu organisieren. Sie prägen ihn, ganz gleich, welches ihre Absichten jeweils sind. Unter diesem Aspekt ist das Spiegel-Cover verheerend.

Schon nach zwei Wochen ist jede Hemmung weg

Trump ist ein Amtsinhaber, mit dem alle noch nach einem angemessenen Umgang suchen. Seine Darbietungen sind so würdelos. Längst ist es unerheblich, ob er die Demokratie niederzuringen versucht oder bloß in seinem Narzissmus gefangen ist.

So oder so bedeutet er eine Bedrohung. Jede Demokratie fußt auch auf der Unterscheidung zwischen Amt und Person; indem man auch einem womöglich ungeliebten Amtsinhaber Respekt zollt, ehrt man nicht ihn, sondern das Amt und die Demokratie. Wie aber soll es möglich sein, im Angesicht von Trump das Amt zu sehen?

Ein Cover wie das vom Spiegel drückt genau dies aus: dass es für viele leider unmöglich ist, diesem Mann mit Respekt zu begegnen. Schon nach zwei Wochen ist jede Hemmung weg.

Man wird die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit noch vier Jahre lang brauchen

Sie war noch da, als die New Yorker Zeitung Daily News im Dezember 2015 eine Karikatur auf den Titel hob, die wahrscheinlich die Vorlage für die nunmehrige war: Da hielt Trump zwar auch schon den abgeschlagenen Kopf der Freiheitsstatue in der Hand. Aber es war eine klassische Federstrichzeichnung, mit einer ironisch verfremdeten, Zerberus-artigen Trumpfigur, und alles schön sauber in Schwarz-Weiß, kein Blut.

Trump soll bloß nicht jammern, dass Hemmungen weggefallen sind. Er ist es, der den Ton vorgibt und der den Respekt verspielt. Das Problem ist die Erscheinungsform, in der sich die Abwesenheit von Respekt gerade zeigt: diese Dämonisierung, diese Gleichsetzung, in dem Fall mit dem IS. Wer dies tut, der betreibt in Wahrheit die Abstumpfung der Öffentlichkeit.

Deren Aufmerksamkeit wird man aber noch vier Jahre lang brauchen. Welche Vergleiche, welche Aufrüttler sollen einem später noch zur Verfügung stehen, wenn man den ultimativen Vergleich bereits in der Phase gezogen hat, in der Trump noch mit seinen ersten Versuchen beschäftigt blieb?

Überhaupt sind Vergleiche oft irreführend - zumal sie oft als Gleichsetzungen daherkommen. Das gilt für die IS-Gleichsetzung, das gilt auch für alle Hitler-Gleichsetzungen. Trump und der IS, "beide sind Extremisten", sagte der Spiegel-Zeichner Edel Rodriguez, ein in den USA lebender Exilkubaner, der Washington Post. "Also vergleiche ich sie einfach."

Eine Literatur-Koryphäe der New York Times las neulich ein Buch des deutschen Historikers Volker Ullrich über Hitlers Aufstieg in ihrer Rezension als Parabel auf Trump. Die Bürgermeisterin von Madrid erinnerte ausdrücklich wegen Trumps Einreisestopp daran, welche Verbrechen im 20. Jahrhundert eine Regierung beging, die "anfangs sehr populär war" - und erlebt man das nicht auch derzeit in privaten Gesprächen immer und immer wieder: dass die Leute in ihrer Angst vor Trump Parallelen zu Hitler ziehen?

Indem Menschen gleichsetzen, glauben sie, aus der Geschichte gelernt zu haben. Zudem ist es ein urmenschlicher Drang, nach Bestätigung für eine einmal gefundene These oder Beobachtung zu suchen.

Allerdings: Wer nur nach Verifikation trachtet, der macht sich über Falsifikation keinerlei Gedanken mehr; der ignoriert alles, was seine Annahme vielleicht auch widerlegen könnte - und der ignoriert damit auch das Besondere der neuen Gefahr.

Gleichsetzungen verstellen den Blick auf das, was heute anders ist, als es früher war. 1933, in Deutschland, gab es keine Zivilgesellschaft, die Hitler bedeutet hätte: mit uns nicht. In den USA regt sich schon jetzt mehr Protest, als Donald Trump emotional verkraften kann.

Welche Aufrüttler bleiben jetzt noch übrig?

Damals gab es in Deutschland auch keine demokratischen Institutionen, die sich dem Machtwillen des Neuen in den Weg stellten. In den USA demonstrieren die Bundesgerichte schon jetzt ihre Macht. An dem Beispiel zeigt sich zudem, wie albern die Gleichsetzung von Trump und IS ist. Von Bundesgerichten in Raqqa und Mossul, deren Veto seitens der Kopfabschneider befolgt wird, dürfte auch kein Spiegel-Zeichner bislang gehört haben.

Wer sein Publikum mit Klötzen wie IS und Hitler zustellt, der hat keine Kapazitäten mehr, um sich gegen Trumps Bausteine zu wappnen. Er geht dessen Medientricks immer von Neuem auf den Leim. Gleichsetzungen und Dämonisierungen erleichtern ihm sogar das Handwerk. Er kann sie als Beleg für seinen angeblich "laufenden Krieg mit den Medien" nehmen.

Wie wäre es, wenn Journalisten ihn in diesem Krieg einfach mal mit sich alleine ließen? Wenn sie alle aufstünden und gingen, wenn er es das nächste Mal einem Kollegen von ihnen verwehrt, eine Frage zu stellen? Wenn sie nicht mehr ihre Kameras apportieren, nur weil er im Oval Office eins seiner Dekrete unterschreibt? Es müssen nicht ausgerechnet diejenigen seine Zeremonienmeister sein, die er am meisten verachtet.

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Quelle:
SZ vom 06.02.2017/alpi/pak
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