"Spiegel"-Chef zu Henri-Nannen-Preis:"Entscheidung ist falsch"

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Dem "Spiegel"-Autor René Pfister wird der Henri-Nannen-Preis für die beste Reportage nachträglich aberkannt. Magazin-Chef Mascolo ist empört.

Christopher Keil

An diesem Montag entzog die Jury des Henri-Nannen-Preises dem Spiegel-Journalisten René Pfister den Henri-Nannen-Preis für die beste Reportage. Es ist die erste Aberkennung in der Geschichte des Preises, es wird keine andere Reportage als beste des Jahres 2010 nachträglich ausgezeichnet. Pfister hatte ein politisches Porträt des CSU-Ministerpräsidenten Horst Seehofer geschrieben, besonders eindringlich schildert er die Bedeutung einer Spielzeugeisenbahn im Keller des Ferienhauses von Seehofer. Nachdem Pfister während der Preisverleihung am vergangenen Freitag bekannt machte, nicht selbst im Keller Seehofers gewesen zu sein, beschlossen die Juroren mit 7:4-Stimmen, Pfisters Ehrung zurückzunehmen. Georg Mascolo, 46, Chefredakteur des Spiegel, kritisiert die Entscheidung und empört sich, dass Pfister von der Jury nicht gehört wurde.

Muss den Henri-Nannen-Preis wieder hergeben: Journalist René Pfister. (Foto: dapd)

SZ: Herr Mascolo, warum hat die berühmte "Spiegel"-Dokumentation nicht angemerkt, dass die Rekonstruktion der Eisenbahn-Welt im Keller von Horst Seehofer kenntlich gemacht werden muss?

Georg Mascolo: Die Dokumentation hat sich mit der Frage beschäftigt, ob das, was René Pfister in den ersten drei Absätzen aufschreibt, zutreffend ist oder nicht. Das wurde überprüft. Die Fakten stimmen. Das ist unbestritten.

SZ: Wie haben Sie das überprüft?

Mascolo: Die Dokumentation hat mit René Pfister gesprochen. Er hat von seinen Gesprächen mit Seehofer und anderen Quellen berichtet. Zwei Kollegen des Spiegel hatten die Spielzeugeisenbahn vorher in Augenschein genommen anlässlich eines Interviews in Seehofers Ferienhaus. Pfister hat sich auch bei den beiden Kollegen rückversichert, bevor er seinen Text schrieb.

SZ: Ein Fehler ist es trotzdem, den eigenen Standpunkt bei einer Rekonstruktion nicht deutlich zu machen.

Mascolo: Es hätte dem Text nicht geschadet, aber sicher ist es kein Grund für die Aberkennung des Preises.

SZ: Ist Pfisters Stück in Ihrer Beurteilung eine Reportage? Pfister selbst nennt sein Stück ein politisches Porträt.

Mascolo: Die Jury hat zunächst mehrheitlich befunden, dass es die beste Reportage 2010 ist, und die Statuten des Henri-Nannen-Preises sagen, dass auch journalistische Porträts in dieser Kategorie ausgezeichnet werden können.

SZ: Das beantwortet die Frage nicht.

Mascolo: Die Jury lobt - trotz Aberkennung - einen "sprachlich wie dramaturgisch gelungenen Text". Sie betont, dass sie keinen Zweifel an den Fakten des Stückes hat. Ich halte Pfisters Text für ein vorzügliches Porträt.

SZ: Die Jury hat in ihrer Begründung für die Aberkennung des Preises erklärt: "Die Glaubwürdigkeit einer Reportage erfordert, dass erkennbar ist, ob Schilderungen durch die eigene Beobachtung des Verfassers zustande gekommen sind, oder sich auf eine andere Quelle stützen, die dann benannt werden muss." Die bes te Reportage des Jahres müsse besondere Anforderungen erfüllen. Können Sie diese Haltung nachvollziehen?

Mascolo: Die Entscheidung, den Preis abzuerkennen, ist falsch und dem Autor gegenüber verantwortungslos. So sieht es nicht nur der Spiegel. Der Jury hätte es zugestanden, Pfisters Stück nicht als beste Reportage auszuzeichnen. Das hätten wir nicht zu kritisieren gehabt. Eine ganz andere Frage ist, ob es angemessen ist, ihm den Preis zu entziehen und in dieser Geschwindigkeit zu handeln.

In der Geschichte des Pulitzer Preises, der großen amerikanischen Auszeichnung, gibt es eine einzige Preis-Rückgabe. Das war 1981, es handelte sich um eine frei erfundene Geschichte. Niemand erhebt gegen René Pfister den Vorwurf, dass irgendetwas an seinem Porträt erfunden sei. Wie die Jury auf den Gedanken kommen kann, den Preis abzuerkennen, ohne den Betroffenen auch nur anzuhören, empört mich. Warum so schnell? Für die Stellproben beim Fest für den Nannen-Preis war mehr Zeit.

SZ: Im J ournalismus läuft technisch gerade alles zusammen. Geht dabei die formale Trennschärfe verloren? Und braucht man sie nicht gerade dann?

Mascolo: Über journalistische Standards führen wir gern jede Diskussion. In der Jury des Nannen-Preises braucht es Klarheit darüber, welche Kriterien zu gelten haben. In der Vergangenheit wurden mit dem Reportagepreis oft Texte ausgezeichnet, die recherchierte Fakten zu Szenen verarbeiteten, also auch nicht selbst Erlebtes szenisch schilderten. Reportagen basieren immer auf Erlebtem, Beobachtetem und Recherchiertem. Gute Reportagen zeichnet aus, dass sie Szenisches und Fakten miteinander verweben. Was früher ausgezeichnet wurde, ist heute ein Grund für die Aberkennung des Preises. Wer versteht das noch?

SZ: Wird der "Spiegel" die Nannen-Preis-Jury verlassen?

Mascolo: Was immer der Spiegel entscheidet, wird er zunächst dem Haus Gruner und Jahr und der Jury des Nannen-Preises mitteilen.

© SZ vom 11.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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