Sie war mit Applaus in der Redaktion empfangen worden - nach nur zwei Jahren geht sie schon wieder. Und nicht wenige weinen ihr eine Träne nach: Soledad Gallego-Díaz hat diese Woche ihre Amtszeit als Chefredakteurin von El País beendet, der Zeitung, die Spaniens Demokratie seit ihrer Gründung 1976 mitgestaltet hat - woran die heute bald 70-jährige Gallego-Díaz als Parlamentsberichterstatterin maßgeblichen Anteil hatte.
Gallego-Díaz verkörpert sozusagen die DNA des zuletzt krisengebeutelten Blattes, ihre Berufung 2018 war von vielen Redakteuren nach schweren Jahren als Befreiung empfunden worden. Jetzt sieht die erste Frau an der Redaktionsspitze ihre Aufgabe als beendet an, wie sie in einem Brief an die Abonnenten schrieb, "es waren zwei intensive, aber auch auszehrende Jahre".
Ihr Nachfolger wird ihr Vorvorgänger, Javier Moreno, der El País von 2006 bis 2014 leitete. Seine Rückkehr gefällt nicht jedem, denn die Ära Moreno war geprägt von Massenentlassungen und einem Gratiskurs im Internet, der das Blatt fast ruiniert hat.
Gleichzeitig begann unter ihm das ehrgeizige Projekt, aus El País ein periódico global, zu machen, sozusagen das Referenzblatt für 570 Millionen Spanischsprechende, eine Art New York Times der Hispanidad. Das ging angesichts der schlechten Wirtschaftszahlen aber mit Ausbeutung und Selbstausbeutung einher.
Gallego-Díaz galt als Retterin
Die verkaufte Auflage sank trotzdem in den Keller, sie liegt laut Branchendiensten unter 100 000. Der dramatische Rückgang vollzog sich vor allem in der Ära Antonio Caño, der Moreno 2014 als Chefredakteur nachfolgte. Caño trimmte das einstige Hausblatt der sozialistischen Partei (PSOE) auf Rechtskurs. Er schrieb massiv gegen PSOE-Chef Pedro Sánchez und den Linksalternativen Pablo Iglesias an, allerdings ohne Erfolg.
Als Sánchez 2018 per Misstrauensvotum den konservativen Regierungschef Mariano Rajoy stürzte, schmiss Caño hin. Die damals bereits 67-jährige Kolumnistin Gallego-Díaz wurde als Retterin reaktiviert, was von rechten Blättern als Verbeugung vor der neuen Regierung interpretiert wurde. Die Redaktion aber atmete auf.
Mit Gallego-Díaz zu arbeiten, sei "ein Geschenk" gewesen, twitterte Managing-Editor Borja Echevarría.

In der Tat griff Gallego-Díaz durch, sie ersetzte leitende Redakteure aus der Ära Caño und gab El País die linksliberale Linie zurück. Als letzten Akt vor ihrem Weggang führte sie ein Bezahlmodell ein, das den selbstmörderischen Gratiskurs beendet. Schon für zehn Euro im Monat kann man alles lesen, das klingt wenig, doch ist es den meisten Spaniern immer noch zu viel, nicht nur angesichts der Corona-Krise, sondern auch, weil die Konkurrenz groß ist.
Ein Dutzend Online-Zeitungen hoher Qualität, viele gegründet von früheren Edelfedern der Traditionsblätter, nehmen diesen die Leser weg. Linke lesen eldiario.es oder ctxt.es, Konservative El Confidencial oder El Español, die mit investigativer Recherche und Analyse punkten, einem Geschäft, dass die großen, eher trägen Zeitungen erst lernen mussten.
Ein Hungerjob
Finanziert werden die Online-Zeitungen durch Spenden, Werbung und Abos, viel zu verdienen ist damit nicht, Journalismus ist und bleibt in Spanien ein Hungerjob. Viele Medien erwarten wie selbstverständlich Gratis-Mitarbeit.
Javier Moreno steht vor der enormen Aufgabe, wieder Boden gegenüber dieser Konkurrenz gutzumachen. In den letzten Jahren leitete er die Amerika-Ausgabe von El País, die inhaltlich eine Referenzgröße in der Branche darstellt, aber nicht die erhofften Ergebnisse brachte. Die Printausgabe wurde 2019 eingestellt, in Lateinamerikas Twitterwelt sind noch weniger Menschen bereit, für Journalismus zu bezahlen, als in Spanien.
Moreno soll der Wunschkandidat der Prisa-Mediengruppe gewesen sein, zu der El País gehört. Hauptaktionäre sind unter anderen die Gründerfamilie Polanco, Investmentsfonds, Telefónica, die Banken HSBC, Caixabank, Santander und Mitglieder der katarischen Königsfamilie. Branchenbeobachter interpretieren die Berufung Morenos als Willensausdruck, El País wieder dahin zu steuern, wo das Blatt in seiner ersten Ära war, in die politische Mitte. Soledad Gallego-Díaz wird ebenfalls, was sie vorher war: Kolumnistin.