Süddeutsche Zeitung

"Soundtrack Deutschland" im Ersten:Was soll der Glitzerquatsch?

Axel Prahl und Jan Josef Liefers suchen als Zeitreisende den "Soundtrack Deutschland". Die zentrale Frage lautet auch für die Protagonisten: Warum?

Von Hans Hoff

Für einen ziemlich durchschnittlichen Ostberliner im Juni 1987 ist es nur ein diffuses Gedröhne, das da aus dem Westen herüberdringt. Vor dem Reichstag singt David Bowie seine Hymne Heroes. Aber das ist akut nicht das Schlimmste im Leben dieses DDR-Bürgers. Viel schwerer wiegt der Umstand, dass keine Gewürzgurken mehr im Kühlschrank sind. "Vielleicht in der Speisekammer", sagt die Frau, und der Gatte trollt sich, um den Schock seines Lebens zu erleiden.

Als er den Vorhang aufzieht, stehen da zwei seltsame Typen, ein kleiner Dicker und ein um ein wenig Eleganz bemühter Schlaks in schwarzen Glitzerjacken. Sie sehen nicht nur aus wie das Münsteraner Tatort-Duo, sie sind es wirklich: Axel Prahl und Jan Josef Liefers.

"Sind Sie von der Stasi", lautet die erste Frage an die Speisekammerbesetzer. "Nicht ganz", sagt Prahl leicht belustigt, und Liefers ergänzt: "Wir kommen von der ARD." Dann erklären sie ihrem verdutzten Entdecker noch, dass die Klänge von Bowie im Antlitz der Geschichte eine wichtige Rolle für die Wiedervereinigung spielen, doch der Klischee-Ossi steht nur dumm da und hallt ungläubig nach: "Wiedervereinigung?" Wohlgemerkt, es ist erst 1987.

Das ist die recht witzige Einleitung zu Soundtrack Deutschland, einer dreiteiligen Dokumentation, die noch einmal beleuchten möchte, was schon vielfach beleuchtet wurde, nämlich die musikalische Entwicklung in der DDR und in Westdeutschland.

Welche Bedeutung hatte die Musik in den beiden Staaten? Was löste sie aus? Wie stand die Musik im Westen in Beziehung zur Musik aus dem Osten?

Mythen, die den Klängen näher sind als die schnöde Realität

An diesem Juniabend in Ostberlin lösten Bowies pathetische Klänge tatsächlich etwas aus in Honeckers Staatsgebilde. DDR-Jugendliche versammelten sich in Mauernähe, um aufzuschnappen, was da rüberschwappte. Dabei sei zum ersten Mal die Forderung "Die Mauer muss weg" zu hören gewesen, behauptet dieser Dreiteiler (Regie: Sergej Moya).

Ob das auch stimmt, ist für diese Zeitreise nicht wichtig. Schließlich geht es vornehmlich um Popmusik, die früher mal Schlager und dann Beat und dann wieder Schlager hieß, und da sind die Mythen den Klängen oft näher als die schnöde Realität. Nur das, was man gnadenlos überhöhen kann, findet Eingang in den Pop-Olymp.

Der schönste Teil an diesen 45-Minütern, die jeweils nach den eher düsteren neuen Folgen der Serie Weissensee für ein wenig Erheiterung sorgen sollen, sind ohnehin die Einspieler mit Prahl und Liefers.

Die spielen sich als Zeitreisende auf, stehen also mittendrin im Vorwendegeschehen. Sie berichten aber auch aus dem großen Sendesaal des Funkhauses in Oberschöneweide, sie vergleichen die DDR-Hymne mit einem Hans-Albers-Hit. Vor allem aber veräppeln sie einander, wo immer es geht. So wie im Tatort.

"Und, wann hattest du deine erste Gitarre", will der Westdeutsche Prahl zwischendrin vom Ostdeutschen Liefers wissen, und der antwortet erwartungsgemäß hochnäsig. "Meine Einstiegsdroge waren die Mädels. Mit zwölf", behauptet er, woraufhin der klimpernde Prahl ein sattes "Angeber" in den Raum prustet.

Gezeigt und befragt werden unter anderem die üblichen Verdächtigen, von Frank Schöbel über Peter Maffay bis hin zu den Puhdys. Der unvermeidliche Udo Lindenberg ist natürlich auch dabei und darf kurz erzählen, dass Gerhard Schröder ein ganz passabler Sänger ist, wenn er die Caprifischer intoniert. "Wirklich gut. Singt er wunderbar", sagt Udo.

Und dann sind wieder Prahl und Liefers dran. Sie stellen ungelenk die berühmte Hebefigur aus Dirty Dancing nach und machen sich nicht nur dabei hemmungslos zum Affen.

Der Historie ein wenig Leichtigkeit einhauchen

Man habe die Geschichte "durch die Udo-Lindenberg-Brille" betrachten wollen, verkündet Liefers im Presseheft, und wenn es das Ziel war, der Historie ein wenig Leichtigkeit einzuhauchen, dann darf das Experiment, so man es denn nach Ansicht der ersten Folge komplett beurteilen kann, als gelungen gelten.

Irgendwann stellt Prahl dann auch die eigentlich zentrale Frage in dem gelegentlich schon ein wenig albernen Austausch von Scherzmitteln. "Wieso müssen wir eigentlich so'n Glitzerscheiß tragen", will er wissen, und Liefers, der auch als Produzent an diesem Projekt mitgewirkt hat, gibt die angesichts der Stimmung einzig mögliche Antwort. "Weil's geil aussieht. Jedenfalls an einem von uns."

Soundtrack Deutschland, von Dienstag bis Donnerstag, ARD, 21.10 Uhr.

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SZ vom 28.09.2015/pak
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