Süddeutsche Zeitung

Instagram-Projekt "IchbinSophieScholl":"...hätte man deutlicher darstellen können, was Fiktion und was Fakten sind"

Das Instagram-Projekt "Ich bin Sophie Scholl" für junge Leute bekam viel Aufmerksamkeit ab. Nur von einer Gruppe nicht: den Jugendlichen.

Von Johannes Korsche

Wie hätte wohl der Instagram-Account von Sophie Scholl ausgesehen? Eine Frage, die der SWR und der BR so spannend fanden, dass sie zwischen Mai 2021 und April 2022 das Projekt "@IchbinSophieScholl" auf der Plattform starteten. Scholl als Influencerin, gespielt von einer Schauspielerin, so die Idee. Scholls Weg in den Widerstand sollte in "nachempfundener Echtzeit" zu sehen sein, wie es die Macher nannten. Knapp 930 000 Follower sammelte die Insta-Scholl zu ihren Hochzeiten. Nun stellt sich heraus: Jugendliche waren kaum dabei. "Selbst wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Medienplattform wechselt, um Geschichte attraktiv zu vermitteln, nehmen Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren das kaum wahr", heißt es in einer Studie der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH).

Christian Kuchler, Leiter des Lehr- und Forschungsbereichs der Didaktik der Gesellschaftswissenschaften an der RWTH, hat dafür 1250 Schülerinnen und Schüler aus Bayern, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland befragt. Vier von fünf Befragten haben einen Instagram-Account, besonders bekannt war das Projekt unter den Schülern aber nicht. Mehr als drei Viertel der Nutzer hatten noch nie von "@IchbinSophieScholl" gehört. Nur 145 der 1250 Schüler klickten den Kanal an, meist nur ein Mal.

Ein Misserfolg? Das sieht der SWR nicht so. "Dass laut der RWTH-Studie, soweit sie schon vorliegt, trotzdem 23 Prozent der 13- bis 19-Jährigen den Kanal kannten, also immerhin fast ein Viertel, bewerten wir im Übrigen durchaus als erfolgreich", teilt der SWR mit. Das Projekt habe sich vorwiegend an Nutzer zwischen 18 und 24 Jahren, vorwiegend Frauen, gewandt. Etwa 23 Prozent der Userinnen und User hätten dieser Kernzielgruppe angehört. Noch erfolgreicher sei die Serie bei der angrenzenden Zielgruppe der 25- bis 34-jährigen gewesen, die etwa 45Prozent ausgemacht hätten.

Manche störte der sehr freie Umgang mit der historischen Sophie Scholl

Medial erfuhr das Instagram-Projekt viel Aufmerksamkeit, und räumte Preise ab, unter anderem den Nachwuchspreis "Bunte New Faces Award Film" für Darsteller und Team. Doch es gab auch Kritik. "Durch einen starken Fokus auf weißen, christlichen, deutschen Widerstand, rücken die eigentlichen Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungs- und Eroberungspolitik zwangsläufig in den Hintergrund", meldete sich zum Beispiel die Bildungsstätte Anne Frank zu Wort. Auch Jan Böhmermann kam in einem Beitrag des ZDF Magazin Royal zu dem Ergebnis: "Gut gemeint, schlecht umgesetzt". Historikerverbände und Bildungsstätten störten sich außerdem an dem arg freien Umgang mit historischen Fakten. Nicht immer entsprachen die Zitate der "Insta-Scholl" auch denen der historischen Sophie Scholl.

Diese Fiktionalisierung wird natürlich spätestens dann problematisch, wenn sie nicht als solche erkannt oder kenntlich gemacht wird. Und hier stellt Kuchlers Studie dem Projekt keine guten Noten aus: "Unter den Followern finden sich viele unkritische Stimmen, die die Fiktionalität der Darstellung nicht wahrnehmen." Instagram werde eine hohe Glaubwürdigkeit zugesprochen, bewusst trennten die Schüler das dortige Angebot von Plattformen wie Netflix, wo sie Fiktion erwarten. Deswegen "hätte man deutlicher darstellen können, was Fiktion und was Fakten sind", sagt Kuchler.

Die 1250 befragten Jugendlichen signalisierten immerhin Interesse an ähnlichen Projekten, in denen historische Figuren auf Social Media auftreten. Als besonders interessante historische Persönlichkeiten schlugen sie - in dieser Reihenfolge - vor: Anne Frank, Adolf Hitler und Julius Caesar.

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