Sony-Music-Chef Berger:"TV-Show als Karrierehindernis"

Edgar Berger, Chef von Sony Music Deutschland, über den Echo, Castingshows und die Erwartungen für 2010.

Christina M. Berr und Hans-Jürgen Jakobs

sueddeutsche.de: Herr Berger, die Verleihung der Echo-Musikpreise füllt am Donnerstagabend das Fernsehprogramm der ARD. Ist eine solche TV-Übertragung mehr als eine Image-Maßnahme?

Edgar Berger: Die Fernsehübertragung ist für die Musikindustrie sehr wichtig. Das breite Publikum - und es sind ja viele Millionen, die zuschauen - erlebt gewissermaßen eine Leistungsshow der Branche und die Breite des Repertoires. Das sind die deutschen Grammys.

sueddeutsche.de: Jahrelang hat sich der Privatsender RTL darum gekümmert. Wie zufrieden sind Sie mit der öffentlich-rechtlichen ARD, die nun die Echo-Verleihung zeigt?

Berger: Es werden auf allen Seiten große Anstrengungen unternommen. Was beim ersten Mal wirklich gut war, war die Kooperation mit den Radiostationen der ARD. Es sind dieses Jahr großartige Künstler am Start. Unter anderem Robbie Williams, Rihanna, Gossip, Sade und Peter Maffay.

sueddeutsche.de: Dann gibt's ja noch die berühmte Castingshow auf RTL, Deutschland sucht den Superstar. Inwieweit hilft die Singerei dort dem kriselnden Musikgeschäft?

Berger: Wir haben eine langjährige Partnerschaft mit RTL sowie der Produktionsfirma Fremantle und sind Miteigentümer von Formaten wie Das Supertalent oder X Factor. Natürlich ist es wichtig für uns, die Gewinner zu veröffentlichen.

sueddeutsche.de: Dabei gilt hier doch das Prinzip "Glühwürmchen" - das sind Stars, die vielleicht eine Saison en vogue sind ...

Berger: Generell haben Sieger von Castingshows einen schweren Stand. In Deutschland erwartet das Publikum nun einmal, dass sich ein Künstler seinen Ruhm langfristig erarbeitet und erspielt - also durch die Clubs tingelt und dann nach viel Schweiß oben ankommt. So sehr die Fernsehshow den Gewinner turbogleich in andere Sphären katapultiert, so sehr ist sie auch ein Karriere-Hindernis. Die Medien urteilen dann, der Erfolg komme nur wegen des TV-Spektakels zustande. So entsteht rasch Gegenwind - egal, ob es sich um DSDS oder Unser Star für Oslo handelt.

sueddeutsche.de: Ergo müsste man Talenten fast abraten, daran teilzunehmen.

Berger: Es ist ja jedem freigestellt. Viele haben eine Karriere gemacht, die sonst gar nicht zustande gekommen wäre.

sueddeutsche.de: Vielleicht gewinnen nicht die besten Künstler, sondern die, die am besten in die Show passen?

Berger: Es gewinnen die, die das Publikum wählt. Ich glaube nicht, dass gute Talente nicht durchgelassen werden. Am Ende sind die Entscheidungen immer subjektiv, aber ich denke, dass die Jury diejenigen auswählt, die sie am Ende für die besten Finalisten halten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Gewinner von Castingshows generell einen schweren Stand haben.

In zehn Jahren nur drei erfolgreiche Künstler

sueddeutsche.de: Eine deutsche Kelly Clarkson ist für Sie nicht denkbar? Der US-Star wurde in der Castingshow American Idol entdeckt und hat zwei Grammys gewonnen.

Berger: Es gab in zehn Jahren deutscher Castinggeschichte nur drei erfolgreiche Künstler: No Angels, Mark Medlock und Michael Hirte - und die hatten nichts mit Stefan Raab zu tun.

sueddeutsche.de: Wie meinen Sie das?

Berger: Ich schätze Raab und Unser Star für Oslo. Aber man muss auch auf die Fakten schauen: Im Moment sehen fast viermal so viele Menschen DSDS wie Stefan Raabs Castingsendungen. Aus den Castingshows, die von Raab bisher gemacht wurden, kam eine Single-Eins heraus. Bei DSDS waren es schon elf. Wenn es um Nachhaltigkeit geht, dann hat ein Michael Hirte doppelt so viel verkauft wie beide Castinggewinner von Stefan Raab zusammen in ihrer gesamten Karriere.

sueddeutsche.de: Immerhin könnte Raab aktuell helfen, dass Deutschland beim Eurovision Song Contest besser abschneidet als bisher.

Berger: Das würde ich mir sehr wünschen. Bei Unser Star für Oslo sind tolle Talente dabei.

sueddeutsche.de: Es handelt sich bei diesem Format nicht um Klamauk à la Dieter Bohlen, sondern um eine ernsthafte Art der Talentsuche.

Berger: Das sagen Sie. Ich sage, man sollte die Entscheidung der Zuschauer und der Musikkäufer extrem ernst nehmen. Sie stimmen mit der Fernbedienung und an der Kasse ab.

sueddeutsche.de: Bei Sony Music sind die Verkäufe mit Comedy-Künstlern immer wichtiger geworden. Greift die Strategie, sich vom Music Major zum "Rundum-Unterhalter" zu entwickeln?

Berger: Wir haben unser Ziel für 2009 erreicht, rund 30 Prozent der Geschäfte nicht im traditionellen Musiktonträgermarkt zu machen, sondern im digitalen Markt, mit Liveentertainemnt, im Management und Merchandise sowie mit Family Entertainment und Comedy. Das verbreitert unser Geschäft und gibt größere Stabilität.

Mario Barth hat mehr als eine Million DVDs verkauft und füllt Fußballstadien. Wir sind froh, dass er den Vertrag bei uns langfristig verlängert hat. oder nehmen Sie Michael Mittermeier, der seit Jahren viele Menschen zum Lachen bringt, Atze Schröder oder Cindy aus Marzahn. Wenn man die Top Ten der deutschen Comedycharts anschaut, stellt Sony Music mit dem Label Spassgesellschaft! neun von zehn Titeln.

sueddeutsche.de: Kann Sony Music mit noch mehr Spassgesellschaft! weiter wachsen?

Berger: Unser Wachstumstreiber ist der digitale Markt für Musik. Der physische Verkauf von CDs wird noch etwas abschmelzen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich Sony Music im deutschsprachigen Markt schlägt.

"Selbstbewusster mit den Inhalten"

sueddeutsche.de: Wie schlägt sich Sony Music im deutschsprachigen Markt?

Berger: Das Wichtigste ist, dass wir Künstlern zum Durchbruch verhelfen. In jüngster Zeit unter anderem Kings of Leon, Gossip, Ke$ha, Clueso und Marit Larsen. Wir freuen uns, dass wir Marktanteile gewinnen und mehr Umsatz machen als vor zwei Jahren - und das in einem sinkenden Markt. Die Branche ist seit zehn Jahren in der Krise. Trotzdem haben wir weiter eine definitiv zweistellige Umsatzrendite.

sueddeutsche.de: 2009 war ja das erste Jahr ohne Bertelsmann. Aus dem früheren Joint Venture Sony BMG ist eine Hundert-Prozent-Division des japanischen Konzerns Sony geworden. Macht das alles einfacher?

Berger: In der täglichen Arbeit hat sich nicht viel verändert. Meine Zentrale war ja immer in New York. Wir werden zum Glück mit viel Freiraum ausgestattet, weil wir jedes Jahr unsere Ziele schaffen oder übertreffen.

sueddeutsche.de: Das klingt, als seien Sie überhaupt kein Manager einer Krisenbranche?

Berger: Natürlich ist es nicht einfach, den Wandel vom physischen zum digitalen Geschäft zu gestalten. Keiner hat ein Patentrezept. Das Schwierigste ist die Balance zwischen dem Aufbau neuer Künstler, kreativem Erfolg und der Profitabilität.

sueddeutsche.de: Im Downloadgeschäft ist es schwieriger, hohe Preise durchzusetzen. Und es werden eher einzelne Titel als ganze CDs heruntergeladen.

Berger: Das ist nicht entschieden. Erstaunlicherweise ist im Januar der digitale Markt extrem stark gewachsen ist. Bei Gruppen wie Gossip oder Kings of Leon liegt die Downloadquote der Alben in Deutschland bei zwölf bis 15 Prozent, bei Ke$ha sogar bei 20 Prozent. Generell gilt: Rock- und Popsongs werden nun mal eher heruntergeladen als Schlager-Titel.

sueddeutsche.de: Sie haben ja in den vergangenen Jahren viel im digitalen Geschäft angerührt, zum Beispiel mit anderen Music Majors ein Angebot bei MySpace. Was bewährt sich?

Berger: Es gibt in Deutschland 41 legale Musikportale mit elf Millionen Songs. Wir werden in den nächsten zwölf bis 24 Monaten spannende neue Abo-Angebote sehen. Ein Musikabo als Geschäftsmodell ist erst durch die Digitalisierung möglich geworden. In einem solchen Konzept ist es nicht mehr so wichtig, Musik zu besitzen, sondern Zugang zu ihr zu haben - und zwar zum Angebot aller Musikfirmen. Die Musikbranche war als Erste von der digitalen Revolution betroffen - also sind wir Avantgarde.

sueddeutsche.de: Was sich beim Überleben auszahlt?

Berger: Die Musikfirmen müssen selbstbewusster sein mit ihren Inhalten. Was ist ein iPod oder MP3-Player ohne Musik, Film und Apps? Ein Stück Plastik. Der Respekt vor der kreativen Leistung sollte wieder größer werden. Die Umsonst-Kultur im Netz muss ein Ende haben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie das Internet den Markt verändert.

"Wichtig ist ein neues Verständnis für Urheberrechte"

sueddeutsche.de: Für die jungen Leute ist doch das Umsonst-Medium Youtube eine wichtige Plattform. Wie wollen Sie da reüssieren?

Berger: Leider gibt es zwischen Youtube und der Gema in Deutschland keine Einigung. Deshalb sind unsere Inhalte dort nur begrenzt abrufbar. In Amerika gibt es Vevo als Gemeinschaftsunternehmen von Youtube, Universal und Sony Music. Es wäre natürlich spannend, das auch hier zu sehen.

sueddeutsche.de: Im vergangenen Jahr haben Sie gesagt: Die Deutschen kaufen nichts im Netz. Hat sich das jetzt geändert?

Berger: Deutschland ist, was die Digitalquote angeht, weiter zurück als andere Länder. Der CD-Markt ist relativ stabil. Vielleicht hat der Konsument auch gewartet, um zu sehen, welches digitale Angebot sich durchsetzt.

sueddeutsche.de: Die Stars binden sich ja zunehmend weniger an Musikkonzerne, sondern gehen lieber als eigene Unternehmer selbst direkt ins Netz.

Berger: Das Internet in vernünftiger Bandbreite gibt es seit fünf, vielleicht zehn Jahren. Und in dieser Zeit ist maximal eine Handvoll Bands wie Arctic Monkeys allein durch das Internet entstanden. Theoretisch ist das möglich, praktisch passiert es nicht. Ich glaube ohnehin an eine Renaissance der Majors. Das sind die Einzigen, die wirklich in Talente investieren. Sony Music gibt allein in Deutschland pro Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag dafür aus, um neue Künstler zu fördern.

sueddeutsche.de: Künstler wie Madonna lösen sich doch von den Konzernen. Der US-Star kooperiert mit einem Konzertveranstalter.

Berger: Ich sage Ihnen, dass die Konzert-Agenturen gar nicht das weltweite Plattengeschäft alleine machen können oder wollen. Das ist zu komplex. Das heißt, sie werden Repertoire zurücklizenzieren.

sueddeutsche.de: Tim Renner, einst Chef von Universal, sagt, früher waren die Künstler Dienstleister der Plattenfirmen - heute aber sei es andersrum.

Berger: Ja, das ist richtig so. Wenn sich die Plattenfirma wichtiger nimmt als die Künstler, macht sie etwas falsch. Wichtig ist eine Partnerschaft auf Augenhöhe, bei der jeder das macht, was er am besten kann. Das Feedback, das wir von unseren Künstlern bekommen, ist positiv.

sueddeutsche.de: Haben sich die Plattenfirmen früher zu wichtig genommen?

Berger: Wenn stimmt, was erzählt wird, dann muss man annehmen, dass sich die Branche ihren schlechten Ruf hart verdient hat. Aber das hat sich brutal geändert.

sueddeutsche.de: Die Branche ist durch das Gröbste durch?

Berger: Ich gehe davon aus, dass es noch ein bisschen heruntergeht - und sich dann wieder fängt. Wichtig ist ein neues Verständnis für Urheberrechte im Netz.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Geschäftserwartungen für 2010 sind.

"Wir wollen besser sein als der Markt"

sueddeutsche.de: Und wie soll das aussehen?

Berger: Die Internet-Serviceprovider sollten in die Pflicht genommen werden. Für mich ist ein Provider so etwas wie die neue Post, weil er etwas von A nach B transportiert. Auch bei der traditionellen Post darf nichts befördert werden, das offensichtlich illegal ist. Bislang werden Kunden nicht ausgeschlossen, wenn Urheberrechte verletzt werden, obwohl das die Geschäftsbedingungen ermöglichen. Geistiges Eigentum muss respektiert und geschützt werden - schließlich ist das hier das Land der Dichter und Denker. Gerade hat ja das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil darauf hingewiesen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist und den Urheberrechtsschutz gestärkt.

sueddeutsche.de: Gibt es genug Musikkäufer?

Berger: Fast jeder Dritte kauft in Deutschland Musik - egal ob digital oder physisch. Musik wird immer stärker konsumiert, da es viel mehr Abspielgeräte gibt als Handys, iPods oder MP3-Player. Nur wird eben viel weniger bezahlt. Es ist Pionierarbeit, das zu ändern.

sueddeutsche.de: Wie sind Ihre Geschäftserwartungen für das Jahr 2010?

Berger: Die Marktentwicklung im Januar war schlecht, nachdem wir im Jahr 2009 unseren Umsatz im Vergleich zum Vorjahr stabil halten konnten. 2010 wird schwer, weil ich befürchte, dass die Wirtschaftskrise nun beim Konsumenten ankommt. Und es wird, beispielsweise durch die Fußball-WM in Südafrika, viel "free Entertainment" geben.

sueddeutsche.de: Wenn Sie eine Prognose für 2010 abgeben sollten, wie würde die lauten?

Berger: Wenn ich schätzen müsste, dann glaube ich, dass der deutsche Musikmarkt um circa fünf Prozent absinken wird.

sueddeutsche.de: Und Sony Music?

Berger: Wir wollen wie immer besser sein als der Markt. Es ist nicht unser Ziel, die Größten zu werden, sondern die Besten. Das heißt, dass wir die meisten Künstler breaken wollen. Dass wir profitabel sind und dass der Handel und unsere Medienpartner sagen, dass Sony Music der beste Partner ist. Größe alleine ist nicht unser vorrangiges Ziel.

sueddeutsche.de: Aber es könnte sich ergeben?

Berger: Marktanteil ist nur ein Aspekt. Ich könnte nach New York gehen, um viel Geld bitten und Marktanteile kaufen. Das ist nicht unbedingt eine sinnvolle Investition. Viel wichtiger ist für uns, dass wir zur Heimat für Künstler werden. Darum freue ich mich, dass sich mittlerweile auch Künstler aus dem Ausland wie Joe Cocker oder Marit Larsen für Sony Music Deutschland entscheiden.

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