BR-"Sonntags-Stammtisch":Der schärfste Senf

BR-"Sonntags-Stammtisch": 500. Folge "Sonntags-Stammtisch" mit (v. l.) Evelyn Ehrenberger, Harald Schmidt, Moderator Hans Werner Kilz, Ilse Aigner und Christian Neureuther.

500. Folge "Sonntags-Stammtisch" mit (v. l.) Evelyn Ehrenberger, Harald Schmidt, Moderator Hans Werner Kilz, Ilse Aigner und Christian Neureuther.

(Foto: BR Screenshot)

500. Folge "Sonntags-Stammtisch" im BR: Wie eine unterhaltsame Sendung der schnelllebigen Zeit trotzt.

Von Hermann Unterstöger

Sucht man nach einem entfernt vergleichbaren Jubiläum, muss man acht Jahre zurückgehen. Damals wurde im Kölner Stadtteil Niehl die 500. Auflage des "Mensch zu Mensch"-Kaffeenachmittags gefeiert. Das ist ein sozial ausgerichteter Kaffeeklatsch, bei dem es einerseits sehr gemütlich zugeht, andererseits aber auch der Allgemeinbildung mit Referaten wie "Wasserhahn statt Flaschenwahn" oder "Mythos Marzipan" Tribut gezollt wird. Nun also wurde der Sonntags-Stammtisch des Bayerischen Fernsehens zum 500. Mal ausgestrahlt. Laut Wikipedia handelt es sich dabei um eine "eher unterhaltsame Fernseh-Diskussionsrunde", ein insofern leicht vergiftetes Prädikat, als es der ohnedies schon weit verbreiteten Vermutung, Fernseh-Diskussionsrunden seien eher nicht unterhaltsam, Nahrung gibt.

Wie immer es sich damit verhalten mag: Dafür, dass er kein echter, sondern ein Studio-Stammtisch ist und dass er zudem in keinem wirklichen Wirtshaus steht, sondern in dem schwer potemkinschen "Brunnerwirt" aus der TV-Serie Dahoam is Dahoam - dafür ist er nicht nur eher, sondern entschieden unterhaltsam. Ob er seinem Motto "Bayerisch - Bissig - Bunt" in allen drei Punkten gleich gerecht wird, mag angesichts dieser doch schon ziemlich positiven Diagnose offenbleiben.

Titel: Der Sonntags-Stammtisch Untertitel: Moderation

Der frühere SZ-Chefredakteur Hans Werner Kilz moderiert den "Sonntags-Stammtisch" seit 2019. Das führte zu Metamorphosen, auch bei Kilz selber.

(Foto: Philipp Kimmelzwinger)

Wie bei allen Formaten, die der schnelllebigen Zeit durch Beharren trotzen, hat sich auch beim BR-Stammtisch eine kleine Betriebsgeschichte gebildet. Den Stammgästen vor den Bildschirmen ist noch der Gründervater Helmut Markwort in lebendiger Erinnerung, und viele von ihnen finden, dass der alles umfassende, wissende und übertönende Schwadroneur der echten Stammtische in ihm seine authentischste Ausprägung gefunden habe. Zur Historie gehören natürlich auch seine Genossen, der scharfzüngige Dieter Hanitzsch und der versponnene Wolfgang Heckl, von dem die Chronik darüber hinaus vermerkt, dass er am 6. März 2016 wegen planwidrigen Nasenblutens nicht antreten konnte. Schließlich soll Erwin Huber bei der ersten Sendung am 14. Oktober 2007, bei der er mit Veronica Ferres zu Gast war, sich gewundert haben, "dass an am boarischn Stammtisch aa Weiber sitzn derfa".

Seit Januar 2019 moderiert Hans Werner Kilz den Stammtisch, was zu zwei bemerkenswerten Metamorphosen geführt hat. Zum einen wurde die Riege der ständigen Gäste erweitert und hat nun in Evelyn Ehrenberger, Ursula Münch, Klaus Bogenberger und Christian Neureuther vier von ihrem beruflichen Hintergrund und Temperament her sehr unterschiedliche und sich eben darum gut ergänzende Diskutanten. Zum anderen ist der frühere SZ-Chefredakteur Kilz, den wir in diesem Blatt bereits ein paar Jahre lang bairisch zu imprägnieren versuchten, über den Stammtisch auf eine Weise ins hiesige Wesen hineingewachsen, dass er sich darüber selbst schon verwundert haben dürfte.

Es spricht für die Reife der Sendung, dass sie zum Jubiläum weder auf Knallerei noch auf Larifari aus ist

Bei der 200. Sendung hatte es Brezen in Form dieser Ziffern gegeben. Jetzt, 300 Sendungen später, begnügte man sich damit, in einem kleinen Blumengesteck eine goldene "500" zu präsentieren; außerdem stand auf der Tafel, wo die Wirte früher die Zechschulden notierten, ebenfalls "500". Neureuther erfreute die Runde mit einer Jubiläumszeichnung, die ihm seine Enkelin mitgegeben hatte, und Kilz prunkte mit einem orangefarbenen Einstecktuch, welches, Zufall oder nicht, farblich mit Evelyn Ehrenbergers Jacke korrespondierte.

Es spricht für die Reife der Sendung, dass sie sich zum Jubiläum weder in eitler Selbstbezüglichkeit gefiel noch auf Knallerei und Larifari aus war. Man hatte aber zwei Gäste geladen, von denen eine gewisse Weite der Standpunkte ebenso zu gewärtigen war wie eine jeweils sehr eigene persönliche Note, und in der Tat wurden Ilse Aigner, die Bayerische Landtagspräsidentin, und der Entertainer Harald Schmidt dieser Erwartung aufs Erfreulichste gerecht. Wie unterschiedlich sie auf ein und dasselbe Thema reagierten, zeigte sich, als die Rede auf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kam: Während Aigner Kilz' Gemunkel, ob sie sich in diesem Amt vorstellen könnte, mit Verweis auf dessen Würde lässig ins Leere laufen ließ, zeigte sich Schmidt als Fan Steinmeiers: Er höre sich dessen Reden auf CD abends zu Hause an. "Was für eine Power!", sagte er und ballte dazu die Faust wie ein Jungbauer, der am Dorfstammtisch den anderen zeigen will, was sein neuer Traktor draufhat.

Überhaupt war es Harald Schmidt, der, wie man es von ihm immer noch erwartet, den schärfsten Senf servierte. Es ist nicht jedem gegeben, aus Pflichtthemen wie der Wahl in Sachsen-Anhalt, der Rücktrittsankündigung von Kardinal Marx oder dem leidigen Gendern schöne Funken zu schlagen, aber Schmidt zeigte sich bei all dem auf der Höhe, wenn nicht vielleicht immer seines Witzes, so doch jedenfalls auf der seiner Schlagfertigkeit. So zum Beispiel sprang er von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff fix zu dem Sänger David Hasselhoff ("beide looking for freedom"), und was das Gendern anging, so sagte er, dass er, wenn er heute einem Mann namens Müller schreibe, den Brief zur Sicherheit an "Herrn Müller (m/w/d)" adressiere. Würde derlei im Bekennerton vorgetragen, gäbe es gewaltigen und nicht ganz unberechtigten Ärger, doch Schmidt ist nun mal alles andere als ein Bekenner.

Zu den Standards dieses Stammtisches gehören Ärger und Freude der Woche. Es waren, wie oft schon, auch in der 500. Sendung keine sensationellen Dinge, die dabei an den Tag kamen. So blieb es Christian Neureuther überlassen, in einer - für ihn nicht untypischen Gefühlswallung - die "grandiosen Zuschauer" in seine Freude der Woche einzubeziehen.

Sonntags-Stammtisch, in der BR-Mediathek

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