Sommerinterview:Das Leben als Baustelle

Collage

Unterhaltungstechnisch nehmen sich die beiden nichts: Schlagersängerin Andrea Berg befragt in Bild am Sonntag den Ministerpräsidenten.

(Foto: imago/dpa)

Horst Seehofers Frau macht einen großartigen Schweinsbraten, und Andrea Berg ist für Abgasnormen nicht zuständig: Im Wahljahr geht es zumindest medial ums große Ganze.

Von Willi Winkler

Groß war der Sommer bisher, Rilke'sch groß fast, reich an Starkregen, Krawall und Früchten. An Hitze hat er auch nicht gespart, der gute, und noch ist er nicht zu Ende. Ach, die schönen, langen, politikfreien Ferien!

Aber ganz ohne Politik, das geht natürlich nicht, die Politik kennt keine Ferien, sie drängt sich auch unterm schönsten Himmelblau nach vorn. Der Politiker sitzt dann krawattenbefreit im Grünen, schwadroniert wie sonst auch, nur noch substanzbefreiter, aber die Kulisse (die Berge, die See, eine restaurierte Fassade) hebt die Laune ganz ungemein, die das ganze Jahr über durch Terrorgefahr, Ausländerkriminalitätsstatistiken oder Negativzinsdrohungen gesunken ist. In diesem Sommer kommt erschwerend die Bundestagswahl hinzu. Wie geht es weiter? Stehen wir schon am Abgrund? Quo vadis, Diesel? Oder schafft es Deutschland noch so grad über die Fünfprozenthürde (oder wie das heißt)?

Die Interviewerin ist der Politik so fern wie der schönste Sommer

Antworten müssen her, kritisch-investigative Interviews, Gipfeltreffen. Den höchsten Gipfel hat Bild am Sonntag erklommen und kündigt den Auftakt zu einer ganzen Interviewserie flott als "Berg fragt Seehofer" an. Der Berg, der zum bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer gekommen ist, heißt Andrea Berg, ist im Hauptberuf Schlagersängerin und auch sonst von Politik so fern, wie es nur der schönste Sommer sein kann. Aber halt, das stimmt nicht ganz: Der Existenziallyriker Dieter Bohlen schreibt viele ihrer Lieder, und sie singt dann "Du hast mich tausend Mal belogen" - ist das nicht ein Ausdruck jener Politikverdrossenheit, von der in den Zeitungen so viel die Rede ist?

Andererseits geht es bei Seehofer zumindest diesmal nicht um Politik, sondern ums große Ganze. "Ach, wissen Sie, das ganze Leben ist doch eine Baustelle", seufzt er scheinbar machtmüde. Da Bayern zügig einer Monarchie mit einem Ministerpräsidenten auf Lebenszeit zustrebt, findet das Gipfeltreffen im ehemals königl. Hofgarten in München statt, von der ortsfremden Redaktion direkt "hinter" der Staatskanzlei platziert, aber dafür mit Weißbier, Brotzeitteller und - igitt! - Salzstangen in Zwiebelringen garniert.

Dass von hier und heute und dem Hofgarten deshalb eine neue Epoche der Weltgeschichte ausgehen würde, wäre eine gelinde Übertreibung, dafür ist das Arrangement doch zu schlicht. Immerhin kann Frau Berg dem Ministerpräsidenten einige agenturfähige Bekenntnisse entlocken, zum Beispiel, dass seine Frau einen "großartigen Schweinsbraten" herstelle, er am liebsten "Romane und Sachbücher über Tiere und Natur" lese und neuerdings ein E-Bike fahre. "Radfahren macht mir großen Spaß." Sogar Einblick in eine rechtzeitig abgebrochene Laufbahn als Kleinstkrimineller gibt Seehofer: Ohne zu zahlen, sei er bei Fußballspielen über den Zaun gekraxelt. Ja, varreck!

Unterhaltungstechnisch nehmen sich die beiden nichts: Seehofer kann manches, aber nicht singen, Andrea Berg hat zwar den Rhythmus im Blut ("stumpfa-stumpfa-stumpfa", wie Georg Seeßlen erspürt hat), ist aber trotz einer Vorgeschichte als Motorrad-Model nicht für Obergrenzen und Abgasnormen zuständig. Sie selber formuliert es schlicht und ehrlich: Ihr Geschäft sei "etwas ganz Banales: Ich mache Unterhaltungsmusik." Seehofer wiederum ist zumindest bayerischer Weltmeister im Hakenschlagen und Haut-den-Söder.

Je größer der Sommer, desto dümmer: Dem Schauspieler Harald Juhnke wuchs einst plötzlich eine politische oder zumindest Talkshow-Kompetenz zu, weil er in einem Film einen vogelwilden Rattenfänger gegeben hatte. So überzeugend Juhnke als "Papagei" eine Marionette der Rechtsradikalen spielte, so wenig war er als Experte für Neonazis zuständig. Jetzt soll Katharina Thalbach, die als Angela-Merkel-Double gelegentlich besser ist als das Original, auf dieser bescheidenen Geschäftsgrundlage dem Spiegel erzählen, wie sie sich die Inhaltslosigkeit der Politik erkläre.

Als nächstes spricht bei der BamS übrigens Désirée Nick mit Alexander Gauland. Die ehemalige Dschungelkönigin hat ihre Kernkompetenz für Politik im Allgemeinen und die der AfD im Besonderen bereits als Autorin des Programms "Säger und Rammler und andere Begegnungen mit der Männerwelt" nachgewiesen.

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