Journalismus in Somalia:Berichten und überleben

Journalismus in Somalia: Frauen, die journalistische Berichte über Frauen produzieren: Das ist eine Rarität in Somalia. Und "Bilan Media" ist das einzige Start-up in dem afrikanischen Land, das auf eine junge, rein weibliche Redaktion setzt.

Frauen, die journalistische Berichte über Frauen produzieren: Das ist eine Rarität in Somalia. Und "Bilan Media" ist das einzige Start-up in dem afrikanischen Land, das auf eine junge, rein weibliche Redaktion setzt.

(Foto: Hasan Ali Elmi/AFP)

In Somalia arbeiten Journalisten unter Lebensgefahr - auch Nasrin Mohamed Ibrahim. Doch die 27-Jährige macht weiter, in einem rein weiblichen Team.

Von Julia Brader

Instabile Internetverbindung, veraltetes Equipment und mehrere Stromausfälle am Tag sind die kleinsten Probleme, mit denen sich Nasrin Mohamed Ibrahim herumschlagen muss. Die 27-Jährige ist Journalistin, Feministin, seit Kurzem auch Chefredakteurin. In der somalischen Hauptstadt Mogadischu leitet sie das rein weibliche Redaktionsteam des Medien-Start-ups Bilan Media. "Ich bekomme Drohungen von der Al-Shabaab-Miliz, und manche Menschen fordern mich dazu auf, mit dem, was ich mache, aufzuhören. Zwei, drei Mal war ich am Ort einer Explosion, die mich hätte umbringen sollen", sagt sie.

Nasrin Mohamed Ibrahim sitzt beim Videointerview verschleiert vor dem Bildschirm, die Vorhänge in ihrem Büro sind zugezogen. "Ich habe überlebt und mache weiter. Ich habe ein Ziel", sagt sie. Zur Redaktion von Bilan Media gehören sechs Journalistinnen, alle unter 28 Jahre alt. Die Vereinten Nationen fördern das Start-up bis Ende diesen Jahres finanziell und ermöglichen den jungen Frauen Coachings mit international tätigen, erfahrenen Mentoren, zum Beispiel von der BBC.

Die Bedingungen, unter denen Journalisten in Somalia arbeiten, sind kaum vorstellbar

Somalia ist das gefährlichste Land für Journalisten in Afrika. Auf der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RoG) steht das Land auf Platz 140 von 180. Die islamistische Al-Shabaab-Miliz, die weite Teile des Landes kontrolliert, gehe gegen alles vor, was nicht ihren eigenen Regeln und Vorstellungen entspricht, sagt Sylvie Ahrens-Urbanek, Kommunikationsteamleiterin von Reporter ohne Grenzen. Die Bedrohung sei so groß, dass manche der Journalisten, mit denen RoG gesprochen hat, jeden Tag einen anderen Weg zur Arbeit nehmen und bestimmte Wege mit schmalen Gassen sogar gänzlich meiden, weil ihnen die Militanten dort bereits auflauern.

Besonders gefährdet sind Radio- und TV-Sender, die sich mit den Rechten von Frauen auseinandersetzen. "Sie stehen auf der Abschussliste, und das meine ich wörtlich", sagt Ahrens-Urbanek. Ein Risiko, das Nasrin Mohamed Ibrahim täglich in Kauf nimmt. Ihre Redaktion Bilan Media berichtet zu 80 Prozent über Frauen - die übrigen 20 Prozent sind tagesaktuelle Nachrichten, etwa zu Politik und Wahlen in Somalia. Sie veröffentlichen ihre Beiträge seit April dieses Jahres auf dem lokalen TV- und Radiosender Dalsan sowie auf diversen sozialen Netzwerken. Ihr Ziel: Frauen in öffentlichen Positionen, in Politik, Wirtschaft und Bildung zu zeigen und denen eine Stimme zu geben, die in der medialen Berichterstattung Somalias sonst nicht gehört werden.

Die Stimme der Öffentlichkeit ist männlich, Frauen sollen sich in Somalia um den Haushalt kümmern

Viele Themen, über die sie berichten, gelten in Somalia als absolutes Tabu. Über Gewalt gegen Frauen und sexuellen Missbrauch redet man im ultrakonservativen, islamistisch geprägten Somalia nicht. Und trotzdem gehören sie hier zum Alltag. "Vor zwei Wochen wurde ein Mädchen vergewaltigt, und als wir zur Familie gingen, um ihre Geschichte zu erzählen, wollten die Angehörigen nicht mit uns sprechen. Sie schwiegen lieber", sagt Nasrin. Scham und die Angst davor, was andere Menschen über sie sagen könnten, dass sie keinen Mann zum Heiraten mehr finden, lähmen.

Journalismus in Somalia: "Ich habe überlebt und mache weiter. Ich habe ein Ziel", sagt Nasrin Mohamed Ibrahim über die täglichen Bedrohungen.

"Ich habe überlebt und mache weiter. Ich habe ein Ziel", sagt Nasrin Mohamed Ibrahim über die täglichen Bedrohungen.

(Foto: Hasan Ali Elmi/AFP)

Dass viele Menschen nicht mit ihr sprechen wollen, gehört für Nasrin Mohamed Ibrahim also zum Alltag. Hinzu kommt, dass Journalisten in Somalia einen besonders schweren Stand haben. Menschen verweigern ihnen Interviews, Soldaten halten die Journalisten vom Aufnehmen an Tatorten ab. "Manche finden sogar, dass Journalisten die schlimmsten Menschen auf der Welt sind", sagt Nasrin. Sie würden sich in das Leben anderer einmischen, gezielt Falschnachrichten verbreiten, so der Irrglaube.

Wenn die 27-Jährige über die täglichen Bedrohungen spricht, wirkt sie abgeklärt. Die Bombenanschläge, von denen sie erzählt, sind für sie zu einer so großen Normalität geworden, dass sie sie für kaum mehr erwähnenswert hält. "Die meisten Opfer sind ohnehin Männer", sagt sie fast schon beiläufig. Schließlich dürften die im Gegensatz zu Frauen überall hingehen.

50 unaufgeklärte Journalistenmorde und zahlreiche Inhaftierungen

Laut Reporter ohne Grenzen hat sich die Situation für Journalisten im Land in den vergangenen Jahren zumindest leicht verbessert. Aktuell säßen "nur" drei Journalisten im Gefängnis, weil sie Inhalte veröffentlicht haben, die bestimmten Medieninhabern oder Regierungskreisen nicht gefallen, sagt Ahrens-Urbanek. Willkürliche Verhaftungen soll es - so zumindest die Abmachung mit den staatlichen Behörden - keine mehr geben. "Ermordungen von Journalisten werden mittlerweile strafrechtlich nachverfolgt. Es ist in Somalia schon ein großes Verdienst, wenn ein Polizist, der einen Journalisten ermordet hat, zu fünf Jahren Haft verurteilt wird", so Ahrens-Urbanek weiter. Zumindest formal gibt es einen Sonderstaatsanwalt, der die ungelösten Journalistenmorde - 50 an der Zahl - aufarbeiten soll.

Leichter haben es Nasrin und ihre Kolleginnen heute deshalb aber nicht. Frauen sind innerhalb der Medienhäuser, die sich hier überwiegend auf Radio und TV spezialisiert haben, weil viele Menschen keine Zeitung lesen können und zum Teil aus dem Auslandsexil berichten, häufig verbalen Übergriffen ausgesetzt. "Sie werden nicht nur von Kritikern angefeindet, die keine weiblichen Stimmen im Radio hören wollen, sondern auch von männlichen Kollegen", sagt Ahrens-Urbanek. Und Nasrin bestätigt: "Ich habe Glück. Innerhalb des Teams, in dem ich vor Bilan gearbeitet habe, begegneten mir Männer meist respektvoll. Aber andere Medienhäuser respektieren weibliche Journalisten nicht. Sie sehen uns Journalistinnen als Problem, sind eifersüchtig und bemühen sich nicht darum, uns zu fördern. Für sie sind wir durchsichtig." Deshalb und weil Frauen in der somalischen Gesellschaft kaum gehört werden, wollen Nasrin und ihre Kolleginnen - trotz oder gerade wegen der vielen Anfeindungen und Bedrohungen - ihnen eine Stimme geben. "Wir müssen aufstehen und uns bemerkbar machen in der Öffentlichkeit."

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