Süddeutsche Zeitung

Rechtsstreit mit Solarunternehmer:Millionenklage gegen SZ gescheitert

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Das Oberlandesgericht Nürnberg erklärt, die SZ habe "nicht pflicht- und rechtswidrig" gehandelt - und stärkt damit die Pressefreiheit.

Von Annette Ramelsberger, Nürnberg

Am 29. Dezember 2016 traf beim Landgericht Nürnberg-Fürth eine Klageschrift ein, drei Jahre, nachdem in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel erschienen war und genau drei Tage, bevor die Sache verjährt gewesen wäre. Die Klage stammte vom Solarunternehmer Hannes Kuhn und betraf eine Recherche der Süddeutschen Zeitung rund um den Niedergang seiner Firma Solar Millennium, die einmal das größte Solarkraftwerk der Erde in der Sahara errichten wollte. Die SZ hatte am 25. Juni 2013 in dem Artikel "Wetten auf den Absturz" akribisch und anhand von Unterlagen ein auffälliges Aktiengeschäft innerhalb des Konzerns von Kuhn nachgezeichnet. Der Verdacht auf Insiderhandel lag nahe. Kuhn bestritt das. Der Untergang von Solar Millennium wenig später brachte 30 000 Anleger um rund 100 Millionen Euro. Immer wieder wurde gegen den Unternehmer wegen Betrugs ermittelt. In Düsseldorf war er wegen mehrfachen Betrugs mit rund 9000 Geschädigten angeklagt, wurde aber freigesprochen.

Kuhn strengte zunächst ein Unterlassungsverfahren an, in dem die SZ seinerzeit nachgab, weil sie ihren Informanten nicht nennen wollte. Jahre später klagte der Unternehmer beim Landgericht Nürnberg-Fürth auf Schadensersatz: Die SZ und zwei ihrer Redakteure sollten ihm 78 Millionen Euro Schadensersatz zahlen, weil durch den Artikel "Wetten auf den Absturz" angeblich ein ganz anderes, unterschriftsreifes Projekt Kuhns mit einem Schweizer Geschäftspartner in Indien geplatzt sei. 78 Millionen - das ist eine Summe, die jeden Verlag in die Knie zwingen und kritische Wirtschaftsberichterstattung in Deutschland unmöglich machen würde. Die SZ wehrte sich dagegen.

Bereits im Oktober 2018 wies das Landgericht Nürnberg-Fürth die Klage von Kuhn ab, es sah den Zusammenhang zwischen dem SZ-Artikel und dem geplatzten Geschäft nicht gegeben. Denn Kuhns Geschäftspartner bezog sich auf einen Text im Zürcher Tages-Anzeiger, der den Ursprungsartikel der SZ erheblich verändert hatte. Nur diesen Artikel hatte der Geschäftspartner gelesen und dann umgehend - so Kuhn - die Geschäftsbeziehung mit ihm aufgekündigt. Der Schweizer Zeuge hatte sich aber vor dem Landgericht in erhebliche Widersprüche verstrickt. Unter anderem hatte er behauptet, kaum Kontakt mit Kuhn zu haben - dabei waren sie am Abend zuvor gemeinsam essen.

"Eine beeindruckende Entscheidung für die Pressefreiheit"

Der Unternehmer jedoch akzeptierte das Urteil nicht und ging in Berufung ans Oberlandesgericht Nürnberg. Das legte dem Unternehmer dann im März 2020 nahe, seine Berufung zurückzunehmen. Alle drei Richter seien einstimmig der Meinung, seine Berufung habe keine Aussicht auf Erfolg. Kuhn aber machte weiter. Nun hat das OLG die Klage Kuhns wie angekündigt abgewiesen. Der Anwalt der SZ, Martin Schippan, nannte die Entscheidung "eine beeindruckende Entscheidung für die Pressefreiheit": "Der Senat des OLG Nürnberg hat dem Frontalangriff auf die Pressefreiheit mit starken Argumenten eine Absage erteilt."

Damit ist der Rechtsstreit zwar noch nicht endgültig entschieden: Der Unternehmer hat immer noch die Möglichkeit, Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss beim Bundesgerichtshof einzulegen. Die Erfolgsaussichten dort sind aber überschaubar. In nur vier Prozent der Fälle werden solche Beschwerden überhaupt angenommen. Über ihren Erfolg sagt das noch nichts.

Die Entscheidung des OLG Nürnberg hat über den konkreten Fall hinaus weitgehende Auswirkungen auf den investigativen Journalismus in Deutschland - denn das Gericht stellte klar heraus, an was sich Journalisten halten müssen, wenn sie über einen bestehenden Verdacht berichten. Und dass sich Unternehmer nicht dagegen wehren können, wenn diese journalistischen Regeln eingehalten werden. Kuhn hatte der SZ sittenwidrige Schädigung vorgeworfen. Das OLG dagegen bescheinigte der SZ, "nicht pflichtwidrig und nicht rechtswidrig gehandelt" zu haben. Die Zeitung habe sich an die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung gehalten. Bei einem Streitwert von 78 Millionen Euro muss der unterlegene Unternehmer nun rund 1,5 Millionen Euro an Gerichts- und Anwaltskosten zahlen.

Von einer Vernichtungskampagne, wie sie der Unternehmer der SZ vorgeworfen habe, sei laut Gericht nichts zu sehen

Das OLG machte am 3. Februar in dem 63 Seiten langen Beschluss deutlich, welchen Stellenwert die Pressefreiheit hat, insbesondere die Berichterstattung über Missstände. Durch drohende finanzielle Risiken könnten Medien davon abgehalten werden, zu berichten. Das könnte zu einem "verfassungsrechtlich relevanten Einschnürungseffekt" führen.

Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Verdachtsberichterstattung seien fünf Kriterien: Journalisten müssen sorgfältig recherchieren, ob der Vorwurf zutreffen kann. Dafür müssen sie tragfähige Hinweise haben. Außerdem muss es sich um einen Vorgang von "gravierendem Gewicht" handeln. Die Darstellung darf keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten und den Eindruck erwecken, der Betroffene sei bereits überführt. Zudem muss der Betroffene vor Veröffentlichung die Gelegenheit zur Stellungnahme haben. Alle diese Kriterien habe die SZ eingehalten. Die SZ habe "vielfach und mit Detailwissen über den gesamten Komplex Solar Millennium berichtet", auch schon vor dem angegriffenen Artikel, schreibt das OLG.

Der Süddeutschen Zeitung sei nicht anzulasten, dass der Zürcher Tages-Anzeiger den SZ-Artikel "unsachgemäß" verändert habe. Das Gericht bemängelt allerdings, der Tages-Anzeiger habe nicht wie die SZ von einem "Verdacht" des Insiderhandels berichtet, sondern den Verdacht als feststehende Erkenntnis geschildert.

Der SZ bescheinigt das OLG, dass die Voraussetzungen für eine zulässige Verdachtsberichterstattung gegeben waren. Sie habe distanziert und ausgewogen berichtet, gerade angesichts des wachsenden öffentlichen Interesses an Insiderhandel. Von einer Vernichtungskampagne, wie sie der Unternehmer der SZ vorgeworfen habe, sei nichts zu sehen - auch andere Medien hätten kritisch über Kuhn berichtet. Und noch etwas bezweifelt das Gericht: Ob es jemals zu den 78 Millionen Euro Gewinn gekommen wäre, die Kuhn als zwangsläufig angenommen hatte.

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